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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 2): Denkmäler des Mittelalters, Erste bis fünfte Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3502#0214

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Mittelalterliche Briickeobauten.

Die Brücken von Avignon und von Cahors.

Man erkennt leicht, weshalb die Brücken des Mittelalters so wenig bekannt sind. Gewöhnlich sind
sie einfach, von keinen grossen Dimensionen und verrathen ihr Alter nicht durch Kennzeichen, die sich
bei einer blos oberflächlichen Prüfung gleich darbieten; auch ziehen sie nicht so die Aufmerksamkeit auf
sich wie Kirchen und Schlösser, denen auch der minder sorgsame Archäologe nicht vorbei gehen kann
ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Man kennt ihrer auch noch wenige; denn auf den befahrensten
Strassen sind sie Neubauten von grösseren Dimensionen gewichen; man findet sie daher nur noch an
wenig besuchten Orten, wo allein der Zufall sie entdecken lässt.

Während der ersten Hälfte des Mittelalters sind, mit Ausnahme der Regierung Karls des Grossen, unter dem
eine grosse Zahl von Nützlichkeitsbauten ausgeführt wurden, ohne Zweifel wenig Brücken von einiger
Wichtigkeit erbaut worden. In Gallien bestanden noch die von den Körnern erbauten und genügten dem
Bedürfniss in einer Zeit, wo das Reisen mit Hindernissen und Gefahren verknüpft und überhaupt selten
war. Wahrscheinlich beschränkte man sich auf die Erhaltung dieser Brücken und auf den Bau einiger
anderen minder beträchtlichen an Orten, wo das Bedürfniss dazu drängte. Die Barbarei, die in Frankreich
unter den beiden ersten Herrscher-Dynastien verbreitet war, lässt vermuthen, dass diese Brücken damals
nur aus Holz erbaut wurden, eine minder schwierige und minder kostbare Constructionsweise, als die in
Stein. Aber als gegen Ende des XI Jahrhunderts die Baukunst grosse Fortschritte machte und grössere
Bildung zu erstehen anfing, konnte man Arbeiten unternehmen und zu gutem Ende führen, die früher
nicht möglich gewesen waren. Im XII und XIII Jahrhundert wurden Bauten ausgeführt, die heute noch
Bewunderung erregen müssen, wie die Brückenhauten von Avignon und von Saint-Esprit es beweisen.
Die letztere hat einen europäischen Ruf erlangt und ist ein wahrhaft bewundernsvverthes Werk, auf das
jedes Land und jede Zeit stolz sein könnte. Sie wurde im Jahre 1265 begonnen und 1309 vollendet,
und hat nicht weniger an Länge als 2595 Rheinl. Fuss (816 Metres); sie vermochte durch ihre überraschend
solide Bauart fünfhundert Jahre den Ueberschwemmungen und dem Wogenangriff der Rhone zu widerstehen,
eines Flusses bekanntlich von ausserordentlichem Ungestüm. Eben so kann man als einen ausgezeichnet
kühnen Bau die seit einigen Jahren zerstörte Brücke von Alt-Brioude nennen, die aus einem einzigen
Bogen von 195 Fuss Länge und 84 Fuss Höhe unter dem Scheitel, bestand. Letztere Brücke datirte
erst aus dem XV Jahrhundert.

Leider sind die merkwürdigsten Brücken des Mittelalters, und wir haben den Hauptgrund dafür
angegeben, bis auf sehr wenige verschwunden, und man kann jetzt nur noch Brücken von seeundärer
Wichtigkeit studiren*); übrigens genügen diese um sich eine Vorstellung von den anderen und von den
Grundsätzen zu machen, die bei dem Bau derselben gewaltet haben. Es ist nur zu bedauern, dass, so
selten sie sind, sie auch schwer aufzufinden sind, denn sie existiren an entlegenen Orten, wo nichts ihr
Dasein verrälh; übrigens sind sie zahlreicher als man glauben sollte, da Niemand in Frankreich von ihnen
noch gesprochen hat; wir erinnern uns deren vier auf einer Strecke von etwa sieben Wegstunden an den
Ufern eines kleinen Flusses in Poitou entlang entdeckt zu haben. Im Gegensatz zu den Kirchen und aus
einem leicht zu erklärenden Grunde sind die im Spitzbogen gewölbten Brücken häufiger als die romanischen
oder die im Kreisbogen gewölbten. Jene sind aus einer späteren Epoche als diese und waren deshalb
auch nicht so lange den zerstörenden Einflüssen der Zeit ausgesetzt.

Die Erbauung einer Brücke galt für ein Werk christlicher Barmherzigkeit; man findet dieser in den
Nekrologen ebenso erwähnt wie der Gründung einer Kapelle oder eines Hospitals. Die Kosten ihres Baues
wurden oft auf eine grosse Zahl von Personen repartirt. Oft wurde jeder Bogen einer Brücke auf Kosten
einer anderen Person erbaut, die sich ausserdem noch verpflichtete denselben ferner in gutem Zustande
zu erhalten. Oft wurde der Bau von Brücken unter Leitung einer religiösen Gesellschaft betrieben, die
in Frankreich und Deutschland verbreitet war, und sich die Brückenbau-Brüder, fratres imntis oder
pontifices, nannten. Dieser Verein war durch Benezet, den Baumeister der Brücke von Avignon, gestiftet
worden; seine Mitglieder trugen auf ihrem weissen Rocke das Bild einer Brücke und eines Kreuzes, und
stellten es sich zur Aufgabe, den Reisenden bewehrtes Geleite zu geben, Brücken zu bauen und zu unter-

*) Es muss hier ausgesprochen werden, dass grosse steinerne Brücken niemals zahlreich gewesen zu sein scheinen, die
Schwierigkeit, die zu ihrer Ausführung notwendigen Geldmittel zusammenzubringen zu einer Zeit, wo die Staatseinkünfte
erschrecklich schlecht verwaltet wurden, musste dazu führen, dass man sich mit einfachen hölzernen Brücken begnügte.
Paris sogar hatte bis zum Anfang des XVI Jahrhunderts fast nur hölzerne Brücken, in anderen grossen Städten ersetzte
man dieselben durch Schiffbrücken.

Denkmäler der Baukunst. LXXIIL Lieferung.
 
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