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Marées-Gesellschaft [Hrsg.]
Ganymed: Blätter der Marées-Gesellschaft — 5.1925

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Hausenstein, Wilhelm: Mit einem Bilde des Charonton
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https://doi.org/10.11588/diglit.53469#0282

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MIT EINEM BILDE DES CHARONTON

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in der rechten astronomischen Proportion der „Welt“, die nur ein minutiöser Bruchteil
des Ganzen ist, des Alls, in dem die Krönung Mariae so unsäglich viel wichtiger und größer
sein muß! Die Mäntel Gottvaters und Christi und der Saum der Jungfrau, den kaum mehr
der Himmel der Erde erreicht, sind so viel bedeutender, so viel herrlicher, so viel groß-
artiger als die ganze herrliche und geschäftige Erde. Auf schmalem Streifen ist die weiteste
aller weltgeschichtlichen Spannungen gemalt — als ein unterer Fries in einem Drittel des
Universums. In einem Drittel, das größer und winziger aussieht als ein Drittel. Denn wunder-
bar: dies Bild der Welt (der Erde) hat nicht bloß die Kunst der weiten Spannung, die
Kunst der Größe, sondern auch — noch merkwürdiger — die Kunst der Verkleinerung,
des Winzigmachens! Winzig ist das Irdische und Unterirdische unter den Seligen und
Heiligen oben — von der inkommensurablen Größe der drei höchsten Personen gar nicht
zu reden. Die heraldische Taube allein, Spiritus Sanctus, könnte die Erde schon aufwiegen;
aber noch mehr: es kommt nicht einmal darauf an, daß dies geschähe!
Und noch geschieht ein neues Gegenspiel: in dem Maß, wie die Erde winzig gemacht wird,
in dem Maß, wie sie spezifiziert wird, im selben Maß wird sie — kein Mensch begreift, durch
welche innere Umwendung, durch welche Zauberei —auch wieder, wieder groß. Vielleicht
geschieht es dadurch, daß die Welt (die Erde) hier Midi ist: Größe der Provence. Die
Mauern sind Mauern provencalischer Städte — Mauern, die weit sind, so wenig oder so
viel sie nun umschließen mögen. Die Landschaft, das Gebirg, der Himmel ist die Welt, in
der eines Tages die Weite der Bilder, des Herzens und der Sinne des Paul Cezanne weben
würde — weben das kostbare Grablinnen der doch unsterblichen Provence.
Sie selbst ist das Spezifische im Weiten, im Universellen, das Besondere in der Klassik,
welche eine sehr menschliche, eine vielleicht mittelmeerländische Allegorie der Voll-
ständigkeit des ewigen Lebens ist.
So ist Gottvater, so das Haupt Mariae: das Besondre im Allgemeinen, das Klassische im
höchst Eigentümlichen. Das Antlitz dieser Jungfrau ist das Antlitz einer weiblichen Rasse,
einer rassigen Weiblichkeit. Dies Gesicht gehört zur profanen Provence. Es ist ein Midi-
Gesicht; ein Midi-Porträt; es ist vielleicht auch böse. Was tut es? Auch das Böse würde
aufgenommen sein: nicht anders, als wenn etwa alles Besondre (und auch das Böse) des
Mongolischen in der asiatischen Klassizität ein Gleichnis der Ewigkeit, des Absoluten wird.
Unnötig, hinzuzufügen, daß so das Französische aussieht, wo es groß ist. Und es ist eine
ganze, authentische, in ihrem Echtesten vereinte Nation, die rechts und links die höchste
Aufmerksamkeit auf diese gekreuzten Hände und dies gleichsam sich selbst kreuzende Ge-
sicht richtet — auf Hände und Gesicht,die so eigentümlich wie klassisch, so fein wie weit sind.
Es ist grotesk, daß man je auf den Gedanken kam, dies Bild dem Jan van Eyck zu geben.
Flämisch ist es nun wirklich in keinem Bezug. Ist es unsinnig, das Bild dem König Rene
zu geben, so hätte diese romantische Zuerkenntnis wenigstens einen symbolischen Sinn
gehabt. Der heftige Anreiz besteht, das Bild in einer persönlichen Kraft zu konzentrieren.
 
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