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Die Gartenkunst — 8.1906

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Rettich, Heinrich: Bericht der vom Stuttgarter Gemeinderat zum Studium neuerer Friedhofanlangen bestellten Komission, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0092

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DIE GARTENKUNST

VIII. 5

dafür ausgespart würden, dafs also mit a. W. von dem Ge-
samtareal nur 30. eventuell 50°/0 für den eigentlichen
Beerdigungszweck verwendet werden könnten. Es wird
selbstverständlich jeweils von den örtlichen Verhältnissen
abhängen, ob und inwieweit diese Zahlen, sei es zugunsten
der landschaftlichen Ausstattung, sei es zugunsten dos
Beerdigungsbotriebs, verschoben werden sollen. Auf alle
Fälle ist der Arealvorbrauch bei derartigen Friedhöfen be-
trächtlich gröfser als bei Friedhöfen mit der bisher ge-
wohnten Anlage.

Der Bau einer Strafse samt Straf senbahn zu
dem fraglichen, etwa 7 km vom Zontrum und 2 '/2 km
von der Peripherie der Stadt entfernten Platze ist in Aus-
führung begriffen. Die Strafsenbahn gilt als selbstver-
ständliche Voraussetzung für den Betrieb eines derartig
abgelegenen Friedhofs, in welchem Falle dann aber auch
die Entfernung überhaupt keine Rolle mehr spielt. In
München haben die den Strafscnplatz abtretenden Anlieger
und die das Waldareal überlassende Vorortsgomeinde die
Erstellung der Bahn zur Bedingung gemacht. Diese sollte
mit der Errichtung des Friedhofs, spätestens aber im
Jahre 1904 eröffnet werden. Inzwischen wurde aber die
Aufmachung dos neuen Friedhofs infolge der Einführung
der sogenannten Reihengräber auf den älteren Friedhöfen
weniger dringlich, und die Stadtgemeindo München befindet
sich nun in der eigentümlichen Lage, entweder den Fried-
hof ohne ein vorhandenes Bedürfnis, oder aber die Bahn ohne
das ursprüngliche Endziel des neuen Friedhofs ausfuhren
zu müssen.;

Die hier erwähnten Peihengrä bor, welche bewirk-
ten, dafs ein kurz vorher als dringlich bezeichnetes Fried-
hofsprojekt auf Jahre hinaus verschoben worden konnte,
haben selbstverständlich die besondere Aufmerksamkeit
der Kommission erwecken müssen. Sie versäumte denn
auch nicht, am folgenden Tag dieses Begräbnissystem auf
einem der älteren Friedhöfe durch Anwohnung bei mehre-
ren Beerdigungen unter Führung des Magistratsreferenten
und des Friedhofinspektors genau in Augenschein zu
nehmen. Durch diesen Augensehein wurde die vorgefafste,
dem neuen Beerdigungsmodus keineswegs günstige Meinung
bei allen Mitgliedern der Kommission wesentlich geändert.
Die Münchener sog. Roihonbeordigungon vollziehen sich
tatsächlich nicht etwa in der Weise, dafs eine grofse
Grube aufgemacht, dafs in diese Grube gleichzeitig eine
Reihe von Särgen neben oder aufeinander gestellt und
dann etwa ein Massenritus vollzogen würde, bei welchem
sämtliche Leidtragende der verschiedenen Trauerfälle gleich-
zeitig mit- und nebeneinander vor der mit Särgen gefüllten
Grube sich versammeln müfsten. Vielmehr wird die Grube
nur in dem Umfang ausgeschachtet, als der Tagesbedarf
es erfordert. Hernach wird sie wieder mit Dielen zu-
gedeckt und in dieser Bedeckung nur die für die Ein-
senkung eines Sarges erforderliche Lücke gelassen, so
dafs tatsächlich jede Beerdigung Hofs als Einzelvorgang
in die Erscheinung tritt. Aber auch im Innern bleibt der
Charakter des Einzelgrabos dadurch gewahrt, dafs der
für den Sarg bestimmte Raum durch ■ Einsonkung einer
beweglichen Blechwand von dem übrigen Teil der offenen

Grube und durch eine zweite Blechwand von dem vorher
bestatteten und mit Erde bedeckten Sarg separiert ist.
Ist der Beerdigungsritus vollzogen, und haben sich die
Leidtragenden entfernt, so wird die letztere Blechwand
omporgezogen und der neue Sarg teils durch die von
selbst nachrutschende Erde, teils durch die x\rbeit der
Totengräber bedeckt. I >iese in Einzelheiten übrigens modi-
fizierbare Technik ermöglicht es nun, den Zwischenraum
zwischen den einzelnen Särgen auf ein beliebiges Minimum,
etwa 10—20 cm zu reduzieren und dadurch im Durch-
schnitt auf dem gleichen Platze 2 Erwachsene bezw.
3 Kinder zu beerdigen, auf welchem nach der früheren
Anlage nur die Leiche eines Erwachsenen bezw. eines
Kindes hätte untergebracht werden können. Oder wenn
man die beiden Proportionen zusammennimmt, so ist eine
Jiaumbelegung mit Leichen im Verhältnis von 2,5 beim
neuen Grabsystem zu 1 beim früheren System gegeben.
Welchen Einfiuls eine solche Raumersparnis auf den Ver-
brauch von Friedhoffläche pro Jahr äirfsert, wird in einer
späteren besonderen Behandlung dieser Frage näher aus-
geführt werden können. Kür heute mag nur darauf hin-
gewiesen werden, dafs eine derartige Verminderung des
Flächenverbrauchs für den eigentlichen Beerdigungszweck
als teilweiser Ausgleich des vermehrten Aufwandes an
Fläche für die parkmäfsige Anlage des Friedhofs, zumal
im Hinblick auf die Stuttgarter beengten Verhältnisse, ge-
wifs nur erwünscht sein könnte. Unsere heutigen Kennt-
nisse über den Verlauf der Leichenzersetzung und über
das Verhalten des Bodens gegenüber diesen Zersetzungs-
vorgängen würden auch keine hygienischen Bedenken
gegen diese, übrigens in allen graben norddeutschen
Städten seit Jahrzehnten geübte Beerdigungsweise recht-
fertigen.

Noch woniger aber wären Bedenken angezeigt wegen
dos ästhetischen Aussehens der solcherweise entstandenen
Gräberreihen. Zunächst steht nichts im Woge, dafs die
Hinterbliebenen die Graboberflächo wie bisher durch einen
kleinen Stein, durch ein Grabkreuz auszeichnen, mit
Blumen schmücken und durch Anbringung einer Einfassung
ans Buchs, Efeu und dergl. vom Nachbargrab separieren.
Verzichten aber die Angehörigen auf den Gräberschmuck
und lassen sie das Grab ungepflegt, so wird die Ober-
fläche durch die Friedhofverwaltung selbst als Rasen an-
gelegt, und es bleibt derer weiteren Opulenz überlassen,
durch Anpflanzung mit Gebüschen und Bäumen der ganzen
Fläche jenes wohltuende landschaftliche Aussehen zu ver-
leihen, das insbesondere in den von der Kommission be-
suchten norddeutschen Friedhöfen die Bewunderung aller
ihrer Mitglieder erweckte. Die Kommission hat gefunden,
dafs gerade die sog. Reihongräbor der Minderbemittelten,
die von den Angehörigen nicht oder nicht mehr und an
deren Stelle von der Gemeinde gepflegt werden, die
schönsten landschaftlichen Bilder gewährten und nichts
weniger als jenen pietätlosen, traurigen Eindruck machten,
den man auf anderen Friedhöfen von den Grabstätten der
ärmeren Volksschichten empfängt. Das Verfahren hat
beispielsweise in Kiel und Hamburg Partien der Friedhöfe
geschaffen, die von Freunden der Natur, der Pflanzenwelt
 
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