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Die Gartenkunst — 8.1906

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Rettich, Heinrich: Bericht der vom Stuttgarter Gemeinderat zum Studium neuerer Friedhofanlangen bestellten Komission, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0094

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84

DIE GARTENKUNST

Vlll, 5

Friedhöfe, auf dessen Ursachen wir später zurückkommen
werden, sowie die notwendige Rücksichtnahme auf die
Grenzen der Steuerkraft hat denn auch in München selbst
neuestens eine heftige Reaktion gegen die bisherige ver-
schwenderische Friedhofarchitektur wachgerufen; sie fand
ihren Ausdruck in dem erwähnten Projekt eines Wald-
friedhofs, in welchem das Monumentalbauliche gegenüber
der landschaftlichen Ausstattung völlig in den Hintergrund
treten soll.

Nähert man sich dem Eingang eines der neuen
Münchener Friedhöfe, so nehmen die ausgedehnten Hoch-
bauten mit ihren klassisch schönen Linien allerdings so-
fort das Auge gefangen.' Allein man kann sich des
düsteren Gemiitsoindrucks doch nicht erwehren, der sich
daraus ergibt, dals die typische Anordnung der Leichen-
hallen zu beiden Seiten der Kapelle sofort auch nach
aufsen hin die Zweckbestimmung erkennen läl'st und daran
erinnert, dal's hinter dieser Architektonik lange Reihen auf-
gebahrter Leichen liegen. Betritt man alsdann die Kapelle,
so wird es allerdings leicht, für einen Augenblick die
grausige Nachbarschaft zu beiden Seiten unter der macht-
vollen Wirkung der herrlichen Kuppel zu vergessen. Aber
diese Wirkung hält auch nur insolango an, als wir die
Kapelle durchschreiten. Haben wir sie auf der anderen
Seite verlassen, so tut sich vor uns das endlose Totenfeld
in seiner ganzen traurigen Öde auf, und es hat sich ge-
zeigt, dass die prunkvolle Architektonik nicht imstande
war, lange genug nachzuwirken, um diesen düsteren Ein-
druck irgendwie auch nur eine Zeit lang zurückzuhalten.
Wir haben die Empfindung, dal's die Hunderttausende, die
ihr geopfert worden sind, ihren Zweck nicht erreicht
haben, wenn er darin lag, das Aussehen der Münchener
Friedhöfe Uber das Niveau der in Süddeutschland bisher
üblichen Friedhofsausstattung zu erheben. Auch die Er-
bauer der Münchener Friedhöfe scheinen das Gefühl ge-
habt zu haben, dafs mit den Hochbauten allein das, was
erstrebt wurde, noch nicht erreicht ist. So kamen auch
sie dazu, wenigstens die nächste Umgebung der Bauten
friedhofoinwärts unter nicht geringem Platzverbrauch
gärtnerisch ausschmücken zu lassen. Aber da die Ent-
würfe für diesen Schmuck offenbar lediglich aus dem
architektonischen Empfinden herausgeschafften wurden, so
ist der landschaftliche Eindruck ein unbefriedigender.
Denn streng symmetrisch abgezirkelt, wie die dahinter-
liogenden Gebäude, sind auch die Linien der gärtnerischen
Anlagen, der in sie verstreuten Treppchen, Balustraden,
Brunnen und Bassins. Man weifs nicht recht, was man
mit alledem auf einem Friedhof anfangen soll; ohne von
der düsteren Erinnerung an die eben verlassenen Leichen-
hallen befreit zu werden, schreiten wir hindurch, um uns
alsdann endgültig in der Öde der geradlinig angeordneten
Reihen von Kreuzen und Steinen zu verlieren.

Wie ganz anders der Eingang eines der Kieler
Friedhöfe: Hier stehen wir vor einem Saume mächtiger
Baumreihen, welche den Friedhof umgeben und nach
aulsen abschlieisen. An Stelle der prunkvollen und kost-
spieligen Eingangsarchitektonik ist das grüne Tor getreten,
das die Bäume und ihre Wipfel bilden. Ein kleiner freier

Platz nimmt uns zunächst auf, aber keineswegs um unsern
Blick nun sofort auf endlose Gräberreihen zu lenken.
Vielmehr erhebt sich vor unseren Augen jenseits dieses
Platzes ein mäl'sig hoher, sanft ansteigender Hügel, dessen
Fufs eine herrliche Rasenfläche bildet und dessen Höhe
eine Gruppe prachtvoller, weitästiger Laubbäume krönt.
Um den Hügel herum aber führen zwei Hauptwege, die
mit Bäumen und Gebüschen aller Art dicht umsäumt sind,
in das Innere des Friedhofs. Kein düsterer Eindruck hat
uns bisher das Gemüt beschwort, im Gegenteil ruht
das Auge des Grofsstädters mit Wohlgefallen auf den
wechselnden Bildern, welche die gewundenen Wege ge-
währen, und aus tiefer Brust atmen wir das Ozon der
üppigen Koniferen ein. Ehe wir es merken, sind wir
vorwärts schreitend rechts und links von Belagsfeldern
umgeben; aber wenn wir nicht ein bestimmtes Grab auf-
suchen wollen, brauchen wir aus den Hauptwegen nicht
herauszutreten, die ausschliel'slich das Aussehen von
Spazierwegen inmitten eines stillen grünen Parkes ge-
währen. Erst wenn wir die kleinen Seitenpfade betreten,
stol'sen uns Gräber mit ihren Kreuzen und Denkmälern
auf. Da aber nicht Sektion an Sektion endlos gereiht ist,
sondern wiederum kleine einzelne Partien durch Säume
von Gebüsch und Bäumen abgetrennt sind, und da in
diesen kleinen Abteilungen gleichfalls reichlich für An-
pflanzung von Busch und Baum gesorgt ist, so verlieren
wir auf diesen eigentlichen Begräbnisplätzen das Bild des
Parkmäfsigon nicht, und der wohltuende, erfrischende Ein-
druck, den wir gleich beim Eintritt in den Friedhof
empfangen haben, bleibt uns auf der ganzen Wanderung.
Kommen dazu, wie dies auf dem Hamburger und den
Bremer Friedhöfen der Fall ist, gröfsere, in landschafts-
gärtnerisch wohldurchdachter Weise über den ganzen
Friedhof zerstreute, ausschließlich der Verschönerung des
landschaftlichen Bildes dienende Anlagen, (Abb. 1 u. 2) ja selbst
kleine Seen und Wasserläufe, welche geschickter Weise aus
der Trainierung des Areals gewonnen worden sind, so ergibt
sich hieraus für den fremden Besucher ein ganz neuer,
in eigenartiger Weise wohltuender Gesamtoindruck, den
er auf einer Sammelstätte des Todes niemals zu empfangen
erwartet hätte. Das war jedenfalls die Stimmung, welche
die Mitglieder unserer Kommission auf den Friedhöfen in
Kiel und Bremen, vor allem aber auf dem grofsen
Hamburger Zentralfriedhof beseelte. In der Überzeugung,
dafs hier das Schöne, das Nachahmenswerte und das Er-
strebenswerte, zugleich aber auch das für die Stuttgarter
Verhältnisse Erreichbare gegeben sei, liel's uns von da ab
die neidvolle Pracht der Münchener Hochbauten durchaus
kühl. Wir kamen in die gehobene Stimmung derjenigen,
die von sich sagen können, dal's sie auf ihrer Reise etwas
neues gesehen haben, dal's sie wertvolle Anregungen mit
nach Hause bringen, und wenn etwas unsere Stimmung
störte so war es das Bedauern darüber, dal's es unsern
Vorgängern, als es sich um die Anlage dos Pragfriedhofs
handelte, nicht beschieden war, ähnliche Anregungen in
sich aufzunehmen.

Wenn also die Kommission übereinstimmend eine
parkmäl'sige Ausgestaltung des neuen Friedhofs, wenn
 
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