Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Gartenkunst — 8.1906

DOI article:
Rettich, Heinrich: Bricht der vom Stuttgarter Gemeinderat zum Studium neuerer Friedhofsanlagen bestellten Komission, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0117

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
106

DIE GÄRTENKUNST

VIII, 6

in bunter Mannigfaltigkeit der Arten die Wege umsäumen-
den Koniferen und Laubbäumen.

Dieser Eindruck wird auch in denjenigen Teilen des
Friedhofs nicht verwischt, wo bessere Gräber geringeren
Aufwands in der Weise angeordnet sind, dafs der Grab-
platz zwar nach der Wegseite zu völlig offen, das Monument
selbst aber soweit zurückgestellt ist, dafs es nur sichtbar
wird, wenn man direkt vor ihm steht. An beiden Seiten
und im Hintergrund mit Bäumen und Buschwerk bepflanzt,
ist auch hier dem Grabmonument die herrliche Umrahmung
und die Möglichkeit der individuellen Wirkung, der Einzcl-
betrachtung gesichert, die Aufstellung in Reihenparade
vermieden und dadurch wiederum dem Weg das land-
schaftlich schöne Ansehen gewahrt (Abb. 7 S. 105).

Das sind die Grundgedanken, nach welchen im Ham-
burger Friedhof die Gräber der Wohlhabenden angeordnet
sind. Im einzelnen wird je nach den lokalen Verhältnissen
die Ausführung zu modifizieren sein. Dort wurden die
Anlagen aus dem nackten Feld herausgeschälten, und eine
wunderbare Vegetationskraft hat den Baumwuchs in
wenigen Jahrzehnten zu der Pracht gedeihen lassen, in
welcher er sich heute dem entzückten Boschauer zeigt.
In Stuttgart wird es sich darum handeln, wenigstens für
einen Teil des neuen Friedhofs bereits vorhandenen Wald-
bestand in ähnlicher Weise zu diesem Zweck auszunützen,
wie dies zurzeit schon auf dem neuen Friedhof in Elber-
feld zu tun versucht wird. Dort hat man zur Aufnahme
gekaufter Gräber geringeren Aufwands einen hoch-
stämmigen Buchenwaldbestand insoweit gelichtet, dafs oben
noch die Kronen leicht aneinanderstoßen. Es entstehen
dadurch weite Laubhallen, die ein weihevoller Schatten
bedeckt, die aber doch nicht düster genug sind, um den
Boden nicht mit grünem Rasen bedecken zu lassen. Andere
Kaufgräber höheren Preises, deren Platz je eine Stätte für
sich bilden soll, sind an die verschiedenen Waldwoge an-
geordnet und in der Weise hergestellt, dafs aus dem auf-
steigenden Terrain ein muldenförmiges Stück ausgehoben,
die entstandene halbkreisförmige Böschung grün bepflanzt
und in die Mitte das Grab gelogt wurde. Auch hier
können die einzelnen Monumente einmal bestens zur
Geltung kommen. Um den Geschmack des Publikums für
solche Familiengrabstätten zu wecken, hat die Friedhof-
verwaltung verschiedene Schaugräber herstellen und aus-
schmücken lassen. Der Eindruck derselben auf die Kom-
mission war wohl wesentlich deswegen ein geringer, weil
die Monumente zurzeit noch fehlten und die junge Vege-
tation auch nicht annähernd die Üppigkeit der Hamburger
Einzelgräber erreichte. Bei der forstlichen und geologischen
Individualität, welche die Stuttgarter Wälder bieten, ist es
nicht angängig, dem künftigen Erbauer unseres Friedhofs
mehr als diese Grundgedanken nahezulegen. Aber er
wird um so Bedeutenderes leisten, je mehr und je ge-
schickter er diese vorhandene Natur der Grundidee mög-
lichster Landschaftlichkeit der ganzen Anlage und ihrer
einzelnen Partien dienstbar zu machen verstehen wird.

4. Wir haben nun die bevorzugten Gräber betrachtet
und gesehen, wie bei ihrer Anlage, unter höchster Währung
des künstlerischen Interesses im einzelnen Falle, auf die

Erzielung eines möglichst erfreulichen landschaftlichen Ge-
samteindrucks Bedacht genommen wurde. Nun werden
aber Gräber solchen Aufwands höchsten 5—10 °/0 des
ganzen Jahresanfalls ausmachen. Und wenn sich auch
für weitere 10 — 20 °/0 noch Abstufungen des Aufwands
denken lassen, so wird doch für die grol'se Masse der
Beerdigungen das Utilitäts-, das Billigkeitsprinzip in zwin-
gender Weise ausschlaggebend sein müssen. Ist es nun
möglich, auch die Durchschnittsbeerdigungen in einer
Weise zu vollziehen, die für das Auge nicht blol's ein
Grauen zurückläfst und nicht blofs nur ein unabsehbares
Feld von Leichensteinen an die Oberfläche zieht? In der
Tat kann auch hier viel des Guten geschehen. EUe beiden
wichtigsten Mittel haben wir bereits oben angedeutet. Das
erste besteht in der Vermeidung geradliniger Wege und
damit schachbrettartiger Einteilung des Gesamtfriedhofs.
Das zweite in der Umsäumung der hierdurch entstandenen
Flächenausschnitto mit Busch und Baumwerk, sei es dafs
dieses Baumwerk erst angepflanzt worden mute, wenn es
sich um die Anlage des Friedhofs auf freiem Feld handelt,
sei es, dafs es bei der Rodung stehen gelassen wird,
wenn man in der Lage ist, den Friedhof in den Wald zu
verlogen. Wir haben diese Maßnahmen schon oben
empfohlen mit Rücksicht auf den gewissermal'sen neutralen
Besucher des Friedhofs, dorn die grünumsäumten Wege
den Eindruck des Waldspaziergangs machen sollen. Sie
ist aber von nicht geringerer Bedeutung, wenn man sich
als Beteiligter in die Mitts des solcher Weise entstandenen
Begräbnisfeldes denkt. Der Eindruck der Massengrab-
stätte wird um so mehr schwinden, je kleiner diese Felder
sind, je näher der sie umschliol'sende grüne Saum dem
Auge gerückt ist, und umgekehrt wird das Gefühl des
Intimen, des Abgeschiedenen, des Ruhigen wachsen. Beim
Besuch wird der Anblick der auf den anderen Teilen des
Friedhofs fortwährend sich vollziehenden Beerdigungsakte
abgesperrt, während man sonst bis ans äul'serste Ende
der ganzen Anlage jeden Vorgang mit sehen und erleben
mul's. Es steht nichts im Wege, dal's Genossenschaften,
Innungen, Kassen je für sich ein grösseres oder kleineres
Feld erwerben, es in individueller Weise ausschmücken
und dadurch eine Art Familiengrab sich schaffen. Wo
dies nicht der Fall ist, wo insbesondere diejenigen Be-
völkerungsschichten in Frage kommen, welche auf freie
Beerdigung Anspruch erheben, wird die Gemeinde selbst
für geeignete Herrichtung der Grabstätten im Sinne wohl-
tuenden Gesamtoindrucks sorgen können und müssen.
Gerade in Kiel und Hamburg boten, wie wir schon ein-
gangs erwähnt* die sogenannten Reihengräber den schönsten
Gesamtanblick. Durch zweckmäfsige Bepflanzung seitens
der FYiedhofverwaltung wurde es erreicht, dafs die kleinen
schmalen Wege, welche durch die Gräborreihon führen,
wahren Laubgängen gleichen, unter denen zum Grab eines
Angehörigen zu wandeln ebenso wohltuend für den Geist
wie für die Sinne ist. Gerade auch mit Rücksicht auf
den freundlichen landschaftlichen Anblick, den sie soweit
als irgend möglich gewähren sollen, haben wir eingangs
das System der sogenannten Reihengräber in späterer Zeit
auch für Stuttgart als näherer Prüfung wert bezeichnet und
 
Annotationen