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Die Gartenkunst — 8.1906

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Müller, Albert: Natur und Kunst im Gartenbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0125

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114

DIE GARTENKUNST

VIII, C

schlage nicht ernst zu nehmen seien. Kein vernünftiger
Mensch wird den Wort und die Bedeutung gründlicher
Fachkenntnis unterschätzen. Am besten weifs sie gewifs
der emstschaffende Künstler zu würdigen. Aber es scheint
mir doch, als ob die paradox klingende Rede, dafs Fach-
kenntnis leicht den Blick trübe, gerade beim Gartenbau
Anwendung finden könne. Denn es liegt sehr nahe und
ist zu begreifen, dafs der Gartenfachmann, dessen
Schaffen in so intimer Beziehung zur Natur steht,
der für seine Schöpfungen des reinen Natur-
produktes der Pflanze bedarf, schwerer die Grenze
zwischen Natur und Kunst zu ziehen vermag.

Die starke Bewegung um die künstlerische Gestaltung
des Gartens hat viel Ähnlichkeit mit den vor ca. 10 Jahren
einsetzenden Bestrebungen zur Neubelebung der ange-
wandten Kunst. Auch hier waren es nicht die „Fach-
leute", die Kunstgewerbetreibenden, die dem Kunstgewerbe
aus der Sackgasse, in die es hineingeraten war, heraus-
halfen, sondern es waren Laien, Maler und Autodidakten,
die trotz aller Fachunkenntnis oder gerade deswegeu dem
Kunstgewerbe neue Wege wiesen und ihm zur Gesundung
verhalfen.

Dem Fachmanne bleibt es nun überlassen, den künst-
lerischen Anregungen feste Basis zu geben und auf dieser
weiter zu bauen. Sehr selten vereinigt sich eben Künstler
und Fachmann in einer Person. Meist aber glaubt derauf
seine Fachkenntnis pochende Geschäftsmann des Künstlers
entbehren zu können. Dann tritt — wie Sie alle zugeben
werden und wie tausend Beweise vorliegen — das Muster-
buch, die Vorlage, die Schablone in Tätigkeit, da wo nur
künstlerischer Geist, künstlerisches Fühlen und
Können walten soll. Und wenn heute das ganze Heer
der Landschaftsgärtner und Garteningenieuro statt des so-
genannten landschaftlichen Garten sich mit architektonisch-
geometrischen Anlagen befassen, so tritt an Stelle des
einen Schemas eben nur ein anderes, und wir erleben das
gleiche, was wir bei der angewandten Kunst erfahren
mufsten, wo die nicht das innere Wesen erkennenden
Nachahmer das Äufserliche der neuen Formgebung auf-
griffen und so der Jugendstil gezeitigt wurde, dessen un-
heilvolle Wucherungen das Gesunde der Neubildung zu
ersticken drohten.

Nicht darauf allein kommt es an, ob im Garten
die Wege gerade oder krumm lau f'en, ob Symmetrie
oder Unsymmetrie waltet, sondern auf die (»esetz-
niäfsigkeit aller (Jestaltung. Keine Rcifsschienen-Nivel-
lierung wollen wir, sondern eine, den jeweiligen Verhält-
nissen und Bedürfnissen entsprechende Zweck-
mäl'sigkeit der Anlage, eine durch ästhetisches
Empfinden bedingte Ordnung und Harmonie. Das
Werk soll und mufs, um der Natur gegenüber bestehen zu
können, den Stempel gesunden Menschenwillens zeigen.

Niemand wird verlangen, dafs da, wo die Natur rein
unverfälscht zu uns spricht, wo z. B. ein natürliches
Gelände von Wiesen, Wäldern, Bächen, Seen u. dgl. be-
steht, dieses in regelmäfsige Teile zerschnitten werde, oder
dafs auf eine natürliche Anhöhe eine schnurgerade Strafse
hinaufführen müsse, wo durch Biegungen des Weges der

Aufstieg erleichtert werden kann. Nur gegen die Nach-
ahmung der Naturgebilde und aller jener durch die Natur
bedingten Erscheinungen machen wir Front. Wir wolleu
uns die Freude an der reinen Natur nicht durch Imitation
trüben lassen. Imitation ist Fälschung, ist keine Kunst,
sondern Künstelei.

Und ist es nicht verwunderlich: Der Gärtner, der dem
Schaffen der Naturkräfte nachspürend, Pflanzen zu ziehen
versteht, der sie durch Beschneiden der Triebe zwingt,
Blüten zu treiben oder Fruchtholz anzusetzen, der den
Bau der Baumkrone regulieren und bestimmen kann, der
Blumen züchtet und Gattungen edelt, der weifs bei Ein-
ordnung dieser gezogenen Bäume, Sträucher und Blumen
in seinem Werke, dem Garten, nichts weiter mit ihnen
anzufangen, als Zufälligkeiten der Naturerscheinungen nach-
zuahmen. Hier, wo es so ganz in seiner Macht liegt, zu
zeigen, dafs er der Herr der Situation ist, der zu ordnen
und zu bestimmen hat, der über dem Stoffe stehend, diesen
bezwingt. (Man spreche nicht von falschen Ansichten und
Vorschriften des Bestellers. Der Besteller mufs eben auch
erzogen werden, und er ist zu erziehen.)

Damit ist nicht gesagt, dafs dem Pflanzenmaterial
Gewalt angetan werden mufs. Der Garten kann durchaus
architektonisch in seiner Erscheinung sein, ohne dafs alles
auf geometrische Formen zugeschnitten ist. In den meisten
Fällen wird sich die geometrische Anordnung allerdings
schon aus reinen Zweckmäfsigkeitsgründen ergeben.

Die Verfechter des landschaftlichen Gartens führen ins
Treffen, dafs das sogenannte „Zwanglose" im Garten, z. B.
der Kurvenweg, heute bekämft werde, während man beim
Städtebau mit Recht statt der geraden Strafse gebogene
oder gebrochene verlange. Stadtbebauungspläne und
Gartenpläne sind nun aber doch grundverschiedene Dinge
trotz vieler gemeinsamer Gesetze, denen sie sonst unterliegen.
Bei der langen geraden Strafse der Stadt mit den parallel
laufenden Häuserreihen vermissen wir die Merkpunkte, den
Abschlufs, der die Strafse beherrscht und weniger lang-
weilig macht. Der Passant ist zwischen Häuserreihen ge-
wissermafsen eingemauert. Es ist. abgesehen von der
Rücksichtnahme auf den wogenden Verkehr, nicht gut
möglich, die in der Häuserfront liegenden „etwaigen Archi-
tekturen" voll ins Auge zu fassen, da sie seitlich und
aufserhalb dos Sehwinkels liegen. Ganz anders die ge-
bogene oder im stumpfen Winkel gebrochene Strafse. Die
in der Biegung liegenden Gebäude werden vor das Auge
gerückt, die Strafse erscheint dadurch abgeschlossen, die
endlose Langweiligkeit ist beseitigt, ohne dafs der Verkehr
gehindert wird.

Bei der geraden Allee des Gartens oder des Parkes
bieten sich dagegen auf Schritt und Tritt zwischen den
Baumstämmen Ausblicke auf andere Baumgruppen, auf
Rasenflächen und Blumenbeete, dessenungeachtet wird aber
wohl niemand für eine endlos lange Allee ohne beherr-
schende Archtitektur oder sonstigen Abschlufs eintreten. Der
Vergleich des Gartenplanes mit dem Stadtplan ist darum
nicht stichhaltig.

An gleicher Stelle wird bei Verteidigung des land-
schaftlichen Gartens dieser poetisch mit Beethovenscher
 
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