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Die Gartenkunst — 8.1906

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Heicke, C.: Die Nachahmung der Natur in der Gartenkunst, [1]: Vortrag gehalten auf der Nürnberger Hauptversammlung der D.G.f.G. am 19. August 1906
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https://doi.org/10.11588/diglit.22778#0225

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212

DIE

GARTENKUNST

VIII, 11

viel wichtiger als die der eigentlichen Fach-
schriften und jemand, der irgendwie und wo
mitreden will, mufs von ihnen Notiz nehmen.

Nach dieser Abschweifung wieder zu unserem Thema.
Also einig sind sich die modernen Künstler in der Ver-
werfung des landschaftlichen Gartenstils und einer der
wichtigsten Beweisgründe, den sie hierfür anzuführen,
lautet: Ks ist eine gänzliche Verirrung, die Natur
mit allen ihren Zufälligkeiten und belanglosen
Nebensächlichkeiten im Garton nachzuahmen.
Die Natur nachzuahmen, dazu ist der beste Mensch zu
schwach und deshalb soll man auch gar nicht den
Versuch machon, da os doch nie gelingen kann. Dos-
halb soll man alle Anlehnung an dio Natur im Garten
vermeiden und gerade durch die Gestaltung des Gartens
zeigen, dafs er Menschenwerk ist, also soll und mufs er
gradlinig, rechtwinklig angelegt werden, denn nur so ge-
staltet der vernunftbegabte Mensch.

Nun, meine Herren, diese Sätze, die Sie, wenigstens
dem Sinne nach, bei allen modernen Künstlern und Schrift-
stellern finden, welche über die Roformbediirftigkeit der
Gartenkunst sich geäul'sert haben, enthalten soviel Un-
richtigkeiten wie sie Worte onthalton und es bedarf keiner
grofsen Gowandthoit, um dies nachzuweisen.

Wenn der Mensch es aufgeben sollte, allen den
Zielen nachzustreben, die er vollständig nie erreichen
kann, dann wäre es schlimm um uns und unsere Kultur
bestellt. Gerade die höchsten Ziele werden niemals und
nirgends vollkommen erreicht und da sollte man doch
mit solchen Sätzen fortbleiben. Einon Beweis für die Ver-
kehrtheit dos landschaftlichen Prinzips im Garton kann ich
nicht darin erblicken. Ähnlieh ist es mit dorn vernunft-
begabten Menschen, der angeblich nur gradlinig und recht-
winklig gestalten darf. Es lohnt sich nicht, sich ernstlich mit
der Widerlegung dieser Behauptung zu befassen. Ich be-
schränke mich darauf hinzuweisen, dafs ich gerade die aus-
schliefsliche Verwendung gradlinig rechtwinkliger Formen
in den Grundrissen der modernen Künstlergärten für eine
Schwäche halte und zwar für eine sehr bedenkliche
Schwäche. Bs liogt oft etwas Gesuchtes darin. Wenn man
einmal das rogelmäl'sigo Gartenschema bevorzugt, so ist
doch gar nicht einzusehen, weshalb man nicht auch ge-
bogene Linion dabei vorwenden soll. Ich denke hier
natürlich nicht an beliebige Kurven. Aber jede Bogenlinie,
selbst die als das Sinnbild strengster Regelmäi'sig-
koit geltende Kreislinie bleibt gegenwärtig unbenutzt.
Warum das'.' Ist es etwa lediglich eine Künstlorlauno, die so
verfährt? Eckig ist modern, ebenso wie noch vor kurzem die
inzwischen glücklich abgotanon Bogcnlinien dos Jugendstiles
modern waren. Auch mit ihrer Einführung in den Grund-
ril's dos Gartens befafsten sich einige Schwärmer, aber sie
drangen glücklicherweise nicht durch und wir sind davor
bewahrt geblieben, den sogen. Jugendstil im Garten ver-
allgemeinert zu sehen. Heute sind os nun die Vierecke,
die uns Olbrich, Bohrens, Läuger, Billing und wie sie
hoifsen, vorführen — übor einige Jahro wird os vielleicht
wieder etwas anders sein, was modern ist. Solche
Dingo überraschen zunächst durch ihre Neuheit nament-

lich wenn sie von bedeutenden Künstlern ausgehen,
die sich schon mal eine Extravaganz erlauben können,
obschon sie es besser nicht tun sollten, denn es ist ein
gefährliches Spiel mit solchen Dingen. Sie werden
von der Menge als Offenbarungen dos Genies angestaunt,
überall nachgemacht und verallgemeinert, während das-
jenige, worauf os dem Künstler bei seinen neuen
Schöpfungen besonders ankommt, unbeachtet und
unverstanden zu bleiben pflegt, wie es eben auch beim
Jugendstil ergangen ist.

Von allen Beweismitteln, die gegen dio künstlerische
Berechtigung der landschaftlichen Gartenform erhoben
werden, erscheint mir der Einwand, es sei unzulässig, die
Natur, wie sie ist, nachzuahmen, der wichtigste. Aber
gerade dieser Einwand zeigt am deutlichsten, dafs sich
diejenigen, welche ihn erheben, noch recht wenig mit
dem Gegenstand, den sie zu bekämpfen vorgeben, ernst-
haft befällst haben. Sie beurteilen augenscheinlich das
Wesen der Sache nur nach den allerdings zahlreich zu-
tage getretenen Entartungen. Und weil ein erfolg-
reiches Zusammenarbeiten aller, die ein warmes
Interesse für die schöne Gartenkunst hegen, nur
I)ei voller Klarheit der Ziele möglich ist, so liegt
mir aufserordentlich daran, falsche Auffassungen
über die Frage der Naturnachahmung im Garten
zu widerlegen.

Man kann zu einer klaren Stellung in dieser Frage
nur gelangen, wenn man sie mit Bezugnahme auf das
gesamte Kunstgebiet prüft; denn nicht allein bei der
Gartenkunst spielt sie eine Rolle, man begegnet ihr bei
allen Kunstgattungen und zu allen Zeiten ist sie erörtert,
bekämpft und verteidigt werden.

Die ganze Entwickelung der Kunst von alters her
hängt eng mit der Stellung zusammen, die man zu den
verschiedensten Zeiten zur Frage der Naturnachahmung
einnahm. Von Plato und Aristoteles her ist der Satz,
dafs in der Nachahmung der Natur das Wesen aller Kunst
zu erblicken sei, verfochten worden. Aristoteles teilte die
schönen Künste ein nach den Mitteln der Nachahmung, nach
den Gegenständen der Nachahmung und nach den Formen
der Nachahmung. Gegen eine derartige Systematik ist
aber schon früh eingewandt worden, dafs die Nach-
ahmungstheorie sich nicht auf alle Künste anwenden lasse.
Die Architektur arbeitet mit Naturkräften und Natur-
elemonten, ihr Schaffen hat mit der Natur an sich aber
gar nichts gemein, sie hat dabei keine Naturvorbilder, ab-
gesehen von einigen Ornamenten, die aber nicht das
Wesen der Architektur ausmachen.

In der Musik ist zwar wiederholt versucht worden,
das Tosen des Sturmes, das Dröhnen des Donners, Vogol-
gosang und andere Naturlaute nachzuahmen, aber solche
Tonmalereien sind von ernsten Künstlern stets als effekt-
haschende Virtuosenstückchen betrachtet worden und
haben mit dem Wesen der Tonkunst so gut wie nichts
gemein.

Und nun erst dio Poesie. Bei ihr kann es sich doch
im besten Falle nur um Schilderungen der Natur, nie
aber um ihre Nachahmung handeln. Es bleiben also für
 
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