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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0060
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378

5i7-
Strenge
Symmetrie
und
Schloss
Richelieu.

518.
Wichtigkeit
dieses
Princips.

italienischen Kunst uns über die tägliche Prosa erhebt und der Ressex eines höheren,
vollkommeneren Lebens ist, erfüllt sie die ihr anvertraute göttliche Mission. Sie soll
stets mit der Religion in uns die Ueberzeugung von der höheren Bestimmung des
Menschen wach halten und nähren und die Sehnsucht nach Gott stärken.
Von gewißen Theilen des Palastes zu Versailles sprechend, sagt Choisy: »cette
archilecture qui femble rietre point faite pour des mortels, plaifait au rot.«..
Nach der italienischen Ausfassung des Ideals der Kunst wäre dies nichts weniger
als ein Fehler. Man könnte im Gegentheil der französischen Renaissance den Vor-
wurf machen, dass sie die ideale Mission der Kunst, ihre Poesie, zu wenig ver-
standen und sie zu sehr nur als einen Luxus oder eine Befriedigung materieller
Bedürfnisse angesehen hat.
Streng symmetrische Grundrissbildung und Aufbau einer Composition, sobald
man in ihren Formen fühlt, dass man in der Lage war, sich über die praktischen
Bedürfnisse und Gewohnheiten des täglichen bürgerlichen Lebens zu erheben, wie
dies z. B. in Palladio’s Villa La Rotonda bei Vicenza der Fall war, verleiht der
Schöpfung etwas Ungewöhnliches, welches mitwirkt, um den Charakter der Ideal-
bestimmung hervor zu bringen.
Im Bunde mit den rein rechtwinkeligen Formen des Rechteckes und der Quadrate und mit einer
Steigerung der Formen und der Concentration der Composition nach dem Mittelpunkte zu vermag diese
Symmetrie einen Idealbau zu schaffen. Wenn sich so bedeutende Abmessungen hinzugesellen , wie dies in
dem Schlösse der Fall war, das der Cardinal Richeliett durch Lemercier in Poitou errichten liess, so erhält
die Composition den Charakter eines idealen Königsbaues oder eines majestätischen Ideal-Schlosses. Es ist
nicht zu leugnen, dass hier, wie Fig. 99 826) zeigt, die einheitliche Kunst wahrer architektonischer Com-
position durch die Steigerung der Mittel diesem Schlösse eine Majestät verleiht, die dem grossen Schlösse
Ludwig XIV. in Versailles, an der Stadtseite, gerade aus Mangel dieser Eigenschaften fehlt.
In solchen Fällen ist es aber vor Allem wichtig, dass der Architekt es verliehe, durch die Gliederung
und das Detail der grossen Gefahr zu entgehen, kalt oder arm zu scheinen, oder in die kaum bessere, rohe,
derbe Rücksichtslosigkeit und Inhaltslosigkeit des Barock-Details zu verfallen.

9. Kapitel.

Princip der Alternirung und rhythmische Travee.

a) Bedeutung desselben.
Das Princip der Alternirung ist eines der wichtigsten Mittel, die dem Archi-
tekten zur Verfügung stehen, um Leben in eine Composition zu bringen. Die
»rhythmische Travee« ist eine Anwendung der Alternirung auf besondere Ver-
hältnisse.
Wenn hier diese architektonische Anordnung und dieses Compositionsprincip besonders besprochen
wird, so geschieht dies, weil, so weit uns bekannt ist , in Lehrbüchern wenigstens , derselben noch lange
nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die Wichtigkeit und das Wesen derselben, so
wie die Dienste, die sie dem Architekten leiden kann, noch nicht klar genug in das Licht gestellt
worden sind.
Irren wir nicht, so hat man die Beispiele dieser Axeneintheilung mehr wie schöne Einzelerscheinungen
oder im besten Falle als Eigenthümlichkeiten eines einzelnen Meisters, wie Bramante, und seines Ge-
schmackes, angesehen, nicht aber als den Ausdruck wichtiger Principien, die fähig sind, dem Architekten

826) Facs.-Repr. nach: Marot, J. Z,e magnifique chafteau de Richelieu. (Ohne Ort und Datum.)
 
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