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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0076
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394

io. Kapitel.

Giebelreihen als Facadenabschluss.

532-
Eigen-
thümlichkeit
dieser
Anordnung.

Eine Stileigenthümlichkeit, die man, wie mir scheint, während der Renaissance-
Periode nur in Frankreich antrifft, besteht darin, dass die Fagade eines Gebäudes
mittels einer Reihe aufeinander folgender, fast aneinander stossender Giebel ab-
schliessend bekrönt wird. Diese Anordnung dürfte um so befremdender erscheinen,
als hinter dieser Reihe flacher Giebel, die keine Oeffnungen haben, sich ein
hohes Dach erhebt, mit welchem sie in keinerlei künstlerischem Zusammenhange
slehen.

533-
Gothische
Vorbilder.

534-
Beispiele
aus der
Renaissance.

535-
Schloss
Le Pailly.

Untere Aufinerksamkeit wurde zuerst auf diese
Ordnung geleitet durch den unbefriedigenden Eindruck,
den sie stets auf uns in der berühmten Fagade du
Bord de ! ean am Louvre zu Paris machte. Wir
hielten sie lange für eine vereinzelte unglückliche
Phantasie des Architekten. Erst allmählich wurde uns
eine Anzahl anderer Beispiele, und zwar älterer, be-
kannt , so dass es uns der Mühe werth schien, die
Aufinerksamkeit einen Augenblick auf diese Anordnung
zu lenken und nach dem Ursprung dieser Eigenthüm-
lichkeit zu forschen.
Wir slehen hier wohl vor den Resten gothi-
scher Gewohnheiten und Anschauungsweisen, die von
der französischen Renaissance herüber genommen wor-
den sind.
Die gothische Fagade des Hotel-de-Ville von
Saint-Quentin wird durch eine Reihe von drei gleich
hohen Giebeln abgeschlossen, die nur durch eine ganz
kurze Strecke wagrechten Gesimses getrennt werden.
Die Fagade des ehemaligen College de Navarre zu
Paris, von Philippe le Bel errichtet, war ebenfalls von
vier aneinander stossenden Giebeln gekrönt. Nach
den Eintheilungen der Fagade scheint diese wie
die Zusammenstellung von vier aneinander gerückten
Käusern zu sein.
Es ist möglich, dass der Gedanke einer solchen
Addirung von Einzelhäusern, die damals sämmtlich
Giebelfronten hatten, um eine einzige grosse Fagade zu


Schloss Le Pailly.
Südseite des Hofss51).
schaffen, der Ursprung war, dem das Motiv der

Giebelreihe seine Entstehung verdankt (siehe Fig. 251). ■ Der Gedanke konnte auch von den Wimpergen-
reihen oder von der Giebelreihe der Capellen gewisser Kathedralen entnommen sein, nachdem die Mode
aufgekommen war, jede Seitenschiff-Capelle mit ihrem eigenen Satteldach zu versehen.
Möglich wäre es auch, dass eine Disposition des Schlosses Madrid bei Paris das directe Vorbild
gegeben hätte (siehe Fig. 31 u. 221). Das oberste Geschoss des Pavillons zeigt eine Reihe von Tabernakel-
fenstern, deren Spitzgiebel dieses Motiv im Kleinen bilden. Nach der Gliederung dieses Stockwerkes könnte
man glauben, eine Reihe von Dachfenstern mit Giebeln sei zu einem attikaartigen Geschoss zusammen-
gezogen worden, und wegen der Analogie mit den Dachfenstern habe man diese auch mit Giebeln ab-
geschlossen. — Siehe ferner das Fig. 288 abgebildete Haus zu Chartres.
Pierre Lescot hatte übrigens in der ehemaligen Gestalt der Fontaine des Innocents zu Paris, wie
Fig. 40 zeigt, ebenfalls das Princip solcher Bekrönungen angewandt.
Eines der früheren Beispiele in grösserem Massslabe aus der Renaissance-Zeit
dürfte sich im Schlösse Le Pailly bei Chalindrey befinden. Man sieht sie an der
 
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