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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0075
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würdiger Weise waren die Fensier mit Sturz in den schmalen Traveen angebracht und darüber, in den
Bogenzwickeln, Rundmedaillons, während im I. Obergeschoss in diesen Axen Nischen, die Fenster dafür
über den bloss die Mauer gliedernden Bogen des Erdgeschosses angeordnet waren.
Man begnügte sich somit nicht, die gleiche Abwechselung zweier Motive in zwei Geschossen anzu-
wenden, sondern hatte von einem Stockwerk zum andern das Alterniren von einem offenen und geschlossenen
Motiv erreicht, wohl ein sicherer Beweis für das Bewusstsein, mit welchem der alternirende Rhythmus hier
verwendet wurde848).
Die Anordnung, der wir den Namen concentrische Doppelarcade gegeben haben,
ist ein anderer, zu einer structiven Einheit erhobener Typus oder ein combinirtes
Motiv, welches sich in Italien entwickelt hat und im Zusammenhange mit der »rhyth-
mischen Travee« sleht849). Mir ist kein Beispiel in Frankreich bekannt, wo sie als
Motiv der Traveenbildung einer Fagade gebraucht worden wäre.
Der einzige Fall, welcher einigermassen sich diesem Typus nähert, ist die Gliederung des Chor-
bogens in der Grab-Capelle zu Anet850). Hier hat De VOrnie die breite Bogenssäche, die zwischen der
Archivolte der Apsisöffnung und dem concentrischen Tonnengewölbe des Schiffs liegt, mit drei Relieftafeln
gegliedert und eine an jedem Pfeiler darunter angebracht. Die Archivolte der Apsis ist allein betont und
in Stein, der Rest in Backstein ausgeführt. Die äussere Archivolte längs dem Intrados des Gewölbes und
auch die verbindenden Kreise fehlen somit, um den fixen Typus der concentrischen Doppelarcade zu bilden.
Die üblichen Stützengruppen des schmalen Joches der rhythmischen Travee
können auch den Charakter von componirten Gliederungs-Einheiten annehmen und
Fagadentheile trennen, die zu einander in einem steigenden Breitenverhältniss stehen
(siehe Fig. 164). Letzteres ist auch der Fall bei den beiden Kirchen-Fagaden in
Fig. 166 u. 167, nur dass hier gekuppelte Säulen die Stützengruppe der schmalen
Felder der rhythmischen Travee ersetzen.
Eintheilungen nach dem System der rhythmischen Travee kommen auch in
der Composition von Werken kleineren Massstabes oder im Detail vor.
In der Balustrade der Orgeltribune in der Schloss-Capelle von Ecouen giebt es sechs breite Travden,
ausgefüllt von einem Schrankenmotiv, beslehend aus jonischen Säulchen, auf einer hohen Brüstung slehend.
Diese breiten Traveen werden getrennt und an beiden Enden eingerahmt von schmalen Traveen, die aus
jonischen Säulen von der ganzen Höhe der Balustrade, verbunden durch eine Nische, bestehen. Die schönen
Verhältnisse und die vorzügliche Behandlung des Details und der zwei Ordnungen jonischer, cannelirter
Säulen machen diese Balustrade zu einem der schönslen Beispiele der rhythmischen Travee. Wir schwanken
nicht, sie als ein Werk Jean Goujoris selbsi anzuerkennen.
Man trifft auch eine rhythmische Eintheilung der Cassetten an denjenigen Ge-
wölben und Decken, die sich an das Muster der Bramante {chert Cassettirung der
Peters-Kirche in Rom anlehnen. Solche Beispiele sieht man an den Gewölben der
Treppe Heinrich II. im Louvre und einer Capelle in St. Aignan zu Chartres.
Beispiele der rhythmischen Travee wird man noch in folgenden Figuren finden: 21, 44, 154, 161
bis 164, 173, 187, 190, 193, 197, 198, 201, 203 (213, 222), 223, 225, 226, 227, 231, 264, 265, 268,
272, 280, 282, 318 bis 321, 324, 325, 328, 346.
Man kann hieraus ersehen, wie viele Architekten die Schönheit und das Leben,
welche dieser Bramante' Compositionsweise innewohnten, zu würdigen wussten,
wenn auch bei vielen die Anwendung auf einem feinen Geschmack und einem
richtigen Gefühl, nicht aber auf einem völligen Verständniss des ganzen Stilprincips
beruhen mochte.

S31-
Beispiele
kleineren
Massstabs.

8±8) Abgebildet in: Nodier u. Taylor, a. a. O., Picardie, Bd. III, Bl. x.
849) Ueber ihren Beginn in der Sacristei Brunellesco's in San Lorenzo zu Florenz und ihre Weiterentwickelung durch
Michelozzo, Bramante, Raffael, Gtulio Romano, Sanjovino und Antonio da Sangallo d. J. siehe untere Monographie über
Brunellesco in: Architektur der Renaissance in Toscana etc. München 1885—1900. S. 13 — ferner: The School os Bramante,
a. a. O., Fig. 44—47 u. 51.
85°) Siehe ihren Grundriss in Fig. 160.
 
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