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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0080
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398

541-
Beispiele
an
Kirchen.

542-
Beispiele
an
Profanbauten.

Chartres ausgeführt. Dorische cannelirte Pilaster gliedern die Ecken und die Mitte des Baues und begleiten
die vordere untere Thüre und darüber ein weites Rundbogenfensier. An der Seitenfagade ist unter letzterem
bloss ein Fensterschlitz.
2) Früheste Beispiele in Italien.
Man muss zwischen dem Auftreten der grossen Ordnung an einer Kirche oder
an einem Profanbau unterscheiden. Im Innern von Kirchen kann sie als eine Fort-
setzung der Hauptdiensle des gothischen Bündelpfeilers angesehen werden.
In diesem Sinne kommen schlanke Pilaster an den Kuppelpfeilern der Basiliken Brunellesco’s in
Florenz vor. Um 1470 entsteht der Entwurf Alberti?, sür St.-Andrea in Mantua, welcher sie im ganzen
Innern und an der Fagade durchführt, und Giuliano da Majano, obgleich mit weniger Betonung, thut das-
selbe in seinem 1474 begonnenen Dom zu Faenza. Mit den Entwürfen Bramantes für St.-Peter tritt die
Anwendung der grossen Ordnung, in neue Bahnen und gelangt zur reichsten Ausbildung. Im Kapitel über
kirchliche Architektur werden wir darauf zurückkommen.
Auch in einzelnen Kirchenstudien Leonardo da Vincis ist man berechtigt, von einer Anwendung
einer grossen Ordnung zu sprechen 835).
An Profanbauten sieht man diese Form der Gliederung früher auftreten, als
gewöhnlich angenommen wird.
In Florenz, an Brunellesco’s angefangenem Palazzo di Parte Guelfa ist die
Ecke durch einen Pilaster grosser Ordnung gebildet, dessen oberer Theil nicht voll-
endet wurde.
Im Codice Atlantico^^ befindet sich eine Skizze Leonardo da Vincis zu einer Palastfagade, in welcher
auf hohem Erdgeschoss drei breite Pilaster grosser Ordnung sich erheben und die zwei folgenden Geschosse
einrahmend gliedern; ihr Gebälk ist verkröpft. In der einen Travee sind im ersten Stock drei Rund-
bogenfenster, im zweiten Stock deren fünf angebracht.
Bei Rassael findet man sie in zweien seiner Entwürfe für die Villa Madama. In dem frühesten Entwurf,
den wir kennen, nimmt die Ordnung P/2 Stockwerke des Hauptgebäudes ein und entspricht der Höhe
der zwei Stockwerke des vorderen Flügels.
Im zweiten Entwurf855 856 857) nimmt sie die Höhe des Erdgeschosses und des
Mezzanin ein, ähnlich, wie Giulio Romano sie auch an dem ausgeführten Bruchstück
angebracht hatte.
Hier sei nun schon darauf hingewiesen, dass Giulio Romano die rechte Hand Raffael''s und dass
Primaticcio der Schüler Giulios war, bei dem er einen grossen Theil des architektonischen Nachlasses
von Bramante und Raffael vielleicht zu studiren Gelegenheit hatte.
Viel ausgesprochenere Versuche, eine grosse Ordnung anzuwenden, sehen wir bei Antonio da San-
gallo dem Jüngeren. Auch er war Schüler Bramante's und Hilfsarchitekt bei Raffael am Baue der Villa
Madama. In einer seiner Studien sür die Fagade des Palazzo Farnefe ist über dem Erdgeschoss an den
Ecken ein korinthischer Pilaster von der Höhe der zwei oberen Stockwerke angebracht, und dessen Gebälk
wird als Abschluss der Fagade ohne Verkröpfung durchgeführt 858).
Die Zeichnungen Antonio's und seines Bruders il Gobbo in den Uffizien zeigen Beispiele anderer
Fagaden in derselben Weise behandelt.
Zur Zeit, als die ursprünglichen Entwürfe für St.-Peter und die wahre Geschichte des Baues so gut
wie nicht bekannt waren, glaubte man, das Verdienst der Einführung der grossen Ordnung, durch deren
einfache, majestätische Grossartigkeit alle älteren Meister, namentlich Bramante, in den Schatten gesleht
worden seien, gebühre Michelangelo. In Wirklichkeit hat dieser sich nur in sehr unvollkommener Form
855) Siehe: Geymüller, H. v. Die ursprilnglichen Entwürfe für St.-Peter etc., a. a. O., Bl. 43, Fig. 1 u. 2.
856) ln Mailand, auf der Ambrosiana. Fol. 214 v, Fig. 6.
857) Siehe: Geymüller, E. di. Rassaello Jludiato come Architetto. Milano 1884. Bl. IV u. Fig. 64; ssehe daselbst
ferner die Fig. 62 u. 63. Am Erdgeschoss der Villa Farnesina in Rom hatte bereits Rasfael ein Mezzanin mit dem Erdgeschoss
durch eine Pilasterordnung vereint. Eine ähnliche Disposition zeigt das obere Geschoss der Cancelleria in Rom. In diesen beiden
letzteren Fällen kann man jedoch nicht von diesen Pilastern sagen, dass sse eine grosse Ordnung bilden; denn sse wirken zugleich
als die Ordnung eines einzigen Geschosses.
Im Hof seines Palazzo Caffarelli, jetzt Vidoni in Rom, hatte Raffael den Pilastern ein Verhältniss zu der Höhe der
Fenster gegeben, welches ihnen den Anschein einer grossen Ordnung verleiht und beinahe eine zweite Fensterreihe zwischen
denselben gestattet hätte. Siehe ebendas., Fig. 61.
858) Abgebildet in: Letarouillv, P. Edifices de Rome moderne. Paris 1873. Text, Bd. II, S. 289.
 
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