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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0292
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6io

Wir sagen »vielleicht« der Vater, weil dieser Stil identisch ist mit dem Stil der strengen Reaction,
an deren Spitze Heinrich IV. und der Hugenotten-Minister Sully standen, von dem Art. 233—234, S. 210
bis 211 die Rede war, und auch andere Meister, wie die Du Cerceau’s, hierbei thätig waren. Die welt-
liche Hälfte der Grande Galerie du Louvre mit ihrer grossen Ordnung kann ebenso sehr als Hugenottenstil
gelten als das 1640 errichtete Mauritshuis im Haag. Zu derselben gehören auch die Backstein-Architekturen
der Place Royale und der Place Dauphine zu Paris 1253), gelegentlich welcher wir Sully ebenfalls als Vater
des Hugenottenstils auf dem Gebiete der Profanarchitektur erkannt haben. (Siehe: Art. 624, S. 448.)
Der Hugenottenstil ist also auch in Frankreich unter Heinrich IV. und
Ludwig XIII. vorhanden. Man darf aber, abgesehen von der originellen Richtung
in der Bildung der Temples, ebensowenig von einem eigentlichen Hugenottenstil,
als, wie wir sahen, von einem eigentlichen Jesuitenstil sprechen. Auch sallen wir,
dass der Stil des Jesuitenarchitekten Marteilange an Strenge dem des Hugenotten
Salomon de Bro/fe verwandt war. Beide bedienten sich in der Hauptgliederung
der Formen der damaligen Entwickelungsphase der Renaissance.
Dagegen darf, wie von einer Jesuitendecoration, von einer hugenottischen
»Richtung« der Decoration gesprochen werden. Durch den Geist der Einfachheit,
durch Ernst und Strenge, erstrebt diese allerdings das Gegentheil von dem, was
die Jesuiten mit ihrer Decoration erreicht haben, die vielfach ein Fluch für den
grossartigen Zug des Barocco gewesen ist. Die Jesuitendecoration allein ist es
vielfach, die letzteren von der erhabenen Hoch-Renaissance Jidius II. und des
St.-Peter-Stils Bramante’s unterscheidet.

848- Da die Hugenotten lange als ein Element der Geschichte Frankreichs, seiner Cultur und Kunst
Vernachlässigung vers(_]iwun(jen waren, jp per Charakter des Hugenottenstils bei De BroJJe eine Erscheinung, die so manche
dieser Fragen
in Frankreich Franz°sen in ihrem Urtheil über diesen Meister befremdet hat, so dass sie, wie wir sahen 1204), nicht
wussten, welche Stellung er in ihrer Geschichte einnimmt und welches die Natur seiner Kunst ist.
In Frankreich hat man sich daher auch, so viel ich weiss, nie mit der Frage eines Hugenottenstils
beschäftigt. Viele Kreise möchten am liebsten die Hugenotten ganz aus der französischen Geschichte aus-
löschen. Andererseits ist in Frankreich fast allgemein der Gedanke verbreitet, der Protestantismus sei für
die Entwickelung der Kunst nicht fördernd und ein Hinderniss. Die französischen Protestanten pssegen, um
diesem Vorwurfe zu begegnen , darauf hinzuweisen , dass eine Reihe der bedeutendsten ihrer Künstler im
XVI. Jahrhundert zur Reformation übergingen, Jean Coujin, Jean Goujon, Bernard Palijgy, die Du Cerceaug
Salomon de Broffe u. a. m.
Diese Thatsache scheint mir jedoch nichts zu entscheiden; denn mit Ausnahme des letzteren waren
alle anderen als römische Katholiken erzogen und zu Künstlern geworden. Ausserdem findet man in ihren
Werken, mit Ausnahme einer gewissen Geschmacksrichtung in den Schriften Paliffyg nicht das geringste
Element, das als Ausdruck einer protestantischen Idee gelten könnte. Das Einzige , was man aus ihren
Werken zu schliessen berechtigt wäre, ist, dass in Folge ihres Uebertritts zum Protestantismus ihr Stil in
gar nichts von dem ihrer Zeitgenossen abgewichen ist.
849- Aber selbst angenommen, dass der Einssuss Calvin! s auf lange hinaus Sculptur und Malerei von
Emssuss den Tempie$ verbannt, und selbst bei deren Errichtung der Architektur die Flügel gestutzt hätte, so ist
auf den Stil es lmmer noch wahrscheinlich, dass in anderer Weise und wenigstens auf dem Gebiete der profanen Kunst
eine normale Behandlung der Protestanten der französischen Kunst. seit Heinrich IV. ein sehr kostbares,
unsehätzbares Element hinzugefügt hätte, nämlich durch den Einssuss der Erziehung die Ausbildung des
individuellen Charakters und des Temperaments.
Die Folgen dieser protestantischen Erziehung sind gerade dasjenige Element, das den Werth der
holländischen und englischen Kunst bildet, d. h. der beiden einzigen, die man als protestantische be-
zeichnen kann. Es ist das intime individuelle Leben, das lebendige persönliche Gefühl, der Ausdruck der
eigenen Ueberzeugung und des Gewissens, der Ernst, der das Gefühl der persönlichen Verantwortung er-
weckt, die männliche Unabhängigkeit des Charakters, also gerade diejenigen Eigenschaften, die sämmtlich
der bildenden Kunst im Grand Siede Ludwig XIV. gefehlt haben. Nun sind aber Anhaltspunkte für

1253J Siehe: Art. 22g und Fig. 53, S. 208.
J254) Siehe : Art. 402, S. 295.
 
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