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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0340
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658

vollkommen Befriedigung verschafft hatte — konnte nicht aus freien Stücken (de gaite de cceur) die Uebel-
stände, welche sie mit so vielem Ersolg beseitigt hatte, von Neuem heraufbeschwören 1403).
Die künstlerische Folge hiervon auf dem Gebiete der Kirchenarchitektur war, dass Geistlichkeit
und Volk so gut wie unfähig waren, aus sich heraus andere Formen und Raumgestaltungen der Kirche
sich vorzustellen , als gerade diejenigen, die sie allmählich als Ausdruck ihrer eigenen Gefühlsweise ausge-
bildet hatten, d. h. der gothischen.
919- Anders verhält es sich mit der Rolle der Geistlichkeit im XVII. Jahrhundert.
Einssuss der .. . . .
Geistlichkeit Nach den Religionskriegen und dem Siege Roms treten andere Rücksichten für sie
im in den Vordergrund und sie wird eine Quelle anderer Hindernisse.
XVII. Jahr-
hundert. ^3 war sozusagen ein religiöses Princip geworden, auch in der Form der Kirchengebäude mög-
lichst klar zu zeigen, dass man an den Satzungen des Papstthums treu festhielt. Flierfür bestand das archi-
tektonische Panier darin, dass man sich an das Bild der 1612 bis auf die Thürme fertig gewordenen
Peterskirche oder an Vignola’s Kirche II Geju hielt.
Welches auch das meistens architektonische Interesse einiger dieser Werke sein mag, so ist doch im
Ganzen das Urtheil H. Martiris über den Charakter dieser Zeit wahr. Er schreibt:
»Die kirchliche Baukunst hechte mehr und mehr dahin. Der durch den Fall der gothischen Kunst
gelassene leere Raum vergrösserte sich, statt ausgefüllt zu werden.«
Nur zu oft scheint man vor gefühllosen todten, mechanisch-schematischen Variationen der von Rom
als Regel vorgeschriebenen Vorbilder zu slehen.

b) Ueberlicht der nicht ausgeführten oder bloss sragmentarisch
vorhandenen Stiltypen.

92°- Bei der grossen Anzahl kleiner Fragmente, aus welchen hauptsächlich die
Eiiautemdes. j^jrcpen]-)aupunp- jer französischen Renaissance besteht, war es nicht möglich, die-
selben in einer Ordnung zu beschreiben, die eine klare Uebersicht über die Gattungen
dieser Fragmente gewährt und zu gleicher Zeit gestattet hätte, die verschiedenen
Typen der Entwickelungsstufen hervorzuheben, zu welchen diese verschiedenartigen
so zerstreuten Fragmente sich vereinigen laßen.
Neben den Denkmälern, welche die drei Haupttypen bilden und nach welchen
der Werth der Leistungen der Kirchenbaukunst allein beurtheilt zu werden pssegt,
bilden diese fragmentarischen Typen ein anderes sehr ausgedehntes Gebiet von der
grössten Wichtigkeit, welches offenbar so gut wie nie berücksichtigt worden ist. Diese
intereslante Quelle durfte hier nicht unbenützt bleiben, gerade weil sie nur von
einem Architekten überhaupt und nach langer Arbeit zusammengestellt werden
konnte. Ist sie aber einmal vorhanden, so wird sie von entscheidender Wichtigkeit
für die Beurtheilung des Werthes dieses Stils.
Die Absichten und das hohe Kunstvermögen der damaligen Architekten werden in Ermangelung
grösserer und vollständiger Bauwerke erst durch diese kleineren Compositionen, die man oft wie köstliche
Modelle für grössere Motive oder Ressexe nicht ausgeführter Entwürfe ansehen kann, geoffenbart.
Da besonders der Grundriss der Kirchen und auch das Syslem ihres Aufrisses das gothische Thema
festhalten und der Charakter der Kirche und ihr Typus im Wesentlichen aus dem Grad von Gentilezza
und der Formencultur des jeweiligen Moments der Stilentwickelung sowie des Talents des Architekten
hervorgehen, so wird es oft möglich, sich mittels eines blossen Fragments wie Chor- oder Capellenschranken,
Altar, Arcatur, Travee oder Capelle, eine ganze Kirche im Charakter dieses Fragments zu ergänzen.
Durch Zusammenstellung von Gruppen aus solchen Theilen von engverwandten Formen lässt sich
eine Reihenfolge von Stiltypen feststellen. Diese bilden eine Art Stufenleiter von typischen Stationen
der Stilentwickelung. Mit dem Typus jeder dieser Stufen kann sich dann der Architekt eine Gruppe

U03) Siehe: Anthyme Saint-Paul, bei Planat, a. a. O., Bd. VI, S. 373 u. 360.
 
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