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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0047
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Basel

dekorativen Zwecken, ebenso wie die Kampfstellung; die diagonal verschobenen Glieder
sind nichts weiter als Zugeständnisse an den erwachten Naturalismus, an dem aus mittel-
alterlicher Starre gelösten Körper.

In weit höherem Maße macht sich der niederländische Einfluß in dem bereits erwähnten
Liebesgarten-Teppich (H. 1,02 m, L. 3,55 m, Abb. 16a) bemerkbar. Der Behang, wohl
der künstlerisch am höchsten stehende Vertreter der Basler Minneteppiche, stammt aus
der Sammlung Engel-Gros (vordem bei Meyer-am-Rhyn); er ging 1921 in den Besitz
des Basler Historischen Museums über. Der ursprüngliche Fundort war das Gut Seematt
in der Nähe von Luzern; die Wirkerei diente zum Decken der Frühbeete. Eine vornehme
Gesellschaft vertreibt sich im Freien die Zeit mit Kurzweil: ein Paar huldigt dem Schach-
spiel — die Dame trägt die Krone der Minnekönigin —, der Kavalier überreicht der Aus-
erwählten seines Herzens die obstgefüllte Schale; ein Pärchen sitzt kosend am Tisch,
während der Freund Trauben schneidet; Jüngling und Jungfrau klopfen im Sitzen Karten,
die Dame überreicht ihrem Galan ein Blumenschappel. Den Hintergrund schließt ein Reb-
spalier, buntfarbige Vögel erhöhen den malerischen Reiz; ein Flechtzaun begrenzt den
„cour d'amour"; in dem blühenden Rasengrund treiben Vierbeiner, in winzigem Maßstabe
wiedergegeben, ihr Wesen. Als Material sind Wolle, weißer Leinenfaden und in spar-
samer Weise Silberlahn verwandt. Französische Autoren, wie Müntz und Migeon, gliederten
den Behang der französisch-niederländischen Bildwirkerei an, tatsächlich ist der Einfluß
der großen nordburgundischen Wirkereizentralen nicht zu leugnen. R. F. Burckhardt setzt
den die Fruchtschale überreichenden Herrn (er glaubt in ihm einen Diener zu erkennen)
mit dem Spielkartenmeister, die Dame (Dienerin) mit der Martha des 1431 von Lucas
Moser gemalten Tiefenbronnener Magdalenenaltars in Beziehung81). Andererseits zeigt
gerade der obstspendende Jüngling in seiner typischen Haltung (Abb. 17a) — selbstver-
ständlich nicht in der Tracht — starke Verwandtschaft mit den Figuren einer um fast
50 Jahre späteren Brüsseler Jakobsfolge (ehedem im Besitz der Berliner Kunsthandlung
J. Klausner & Sohn). Der schachspielende Kavalier in der ausdrucksvoll sprechenden Pose
verzeichnet nahe Vettern in den Herren der Tournaiser Behänge aus den sechziger und
siebziger Jahren. Dagegen verrät das Liebespaar am Tisch (Abb. 17 b) — ein im deutschen
Kupferstich häufig vorkommendes Motiv — ausgesprochen oberrheinisches Stilempfinden;
das gleiche gilt von dem etwas tapsig dastehenden Empfänger der Blumenkrone. Die Ge-
samtvorlage, zweifelsohne oberrheinisch, ist unter Einfluß niederländisch-französischer
Vorbilder in vollkommen freier Verarbeitung entstanden. Gewisse Einzelheiten der Klei-
dung finden sich in fast unveränderter Form in Stichblättern wieder. Der turbanartige
Kopfschmuck der blumenwindenden Dame deckt sich mit der Bedeckung der Elisabeth in
der Heimsuchung des Meisters E. S.82), das Maiglöckchenschappel findet sich sowohl auf
oberrheinischen Stichen, als auch auf verschiedenen noch zu besprechenden Teppichen.
Das Rebengeländer, ein im Westen seltenes Motiv — die Niederlande bevorzugen das Rosen-
spalier —, erklärt sich zwanglos aus der täglichen Beobachtung des entwerfenden Künst-
lers, der in dem weinfrohen Basellande ähnlich abgeschlossene Hausgärten, in denen sich
das gesellig preziöse Leben des ausgehenden 15. Säkulums abspielte, unschwer belauschen
konnte. Im übrigen ist das Weinlaub-Trauben-Motiv ein in der Glas- und Bildmalerei be-
liebter, stets dankbarer Vorwurf, der sicherlich nicht nur mit dem vorliegenden Behang
Aufnahme in die Bildwirkerei fand; so besaß u. a. der Basler Bischof Kaspar ze Rhyn ein
„heidnischwerktuch mit truebel gewerkt", das 1482 nach Schloß Pruntrut überführt
wurde usw.

Vergleichen wir die Technik mit der Arbeitsweise der früheren, Basel zugesprochenen
Gruppe, so fällt zunächst der sich ungleich stärker bemerkbar machende niederländische
Einfluß ins Auge. Die Schraffengebung bleibt nach wie vor von untergeordneter Bedeutung;

Göbel, Wandteppiche III.

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