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Günther, Hubertus
Niederländisches Bilderbuch — München, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.11572#0096
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Die Patrizief*

Holland ist im allgemeinen als ein offenes,
heiteres, wenn auch in manchen Sitten
etwas schnurriges Land geschildert worden.
Aber die gestrengen Patrizier haben den Fremden
doch einen gewissen Respekt eingeflößt. Den un-
nahbaren Ratsherren in ihren schwarzen Röcken
und schwarzen Filzhüten haftete etwas Geheimnis-
volles an. Johann Peter Hebel charakterisiert in der
Erzählung »Kannitverstan« den Eindruck, den diese
kühle, verschlossene Welt auf den Ausländer
machte. Das Gefühl der Fremdartigkeit steigert
sich bei manchen Dichtern des vorigen Jahrhun-
derts zu einer unwirklich verzauberten Atmo-
sphäre - erinnern wir uns nur an E. T. A. Hoffmann,
Hauff oder Brentano und natürlich an die über-
mächtige Gestalt des Mijnheer van Peeperkorn im
»Zauberberg« von Thomas Mann.

Die wenigsten Fremden bekamen freilich
Gelegenheit, die Patrizierfamilien persönlich
kennenzulernen. Um so interessanter ist der aus-
führliche Bericht des William Temple, der zur Zeit
des Ratspensionärs de Witt in Den Haag weilte.
Als englischer Botschafter hatte er reichlich Zeit und
Gelegenheit, diesen Kreis zu studieren. Die Regie-
rung des Staates und der Städte, führt er aus, lag
in den Händen der Patrizierfamilien, sie hatten
gewöhnlich die leitenden Stellen in den Behörden
und Parlamenten inne. Diese Familien bildeten
einen in sich geschlossenen Kreis. Sie lebten von
den Renditen ihrer ererbten Vermögen und betei-
ligten sich nicht aktiv am Handel oder an anderen dienstbar zu sein, mit der Hochachtung ihrer Städte
Geschäften. Sie sind deshalb, belehrt uns Temple, und ihres Landes, welche ihnen auch selten vor-
von den Kaufleuten zu unterscheiden, auch wenn enthalten wird wegen der Genügsamkeit ihrer
sie ihnen sonst in Sitten und äußerlicher Erschei- Lebenshaltung, die wohl ursprünglich aus Not-
nung glichen. Die Patrizierfamilien pflegten ihre wendigkeit unter ihnen üblich war, dann aber als
Söhne auf die Universiät und später auf Reisen zu ehrenhaft galt.«

schicken, damit sie die Gebräuche anderer Völker Diese Familien waren wohlhabend, aber nicht

kennenlernten. Temple zeigt sich beeindruckt von eigentlich reich; sie lebten von den Einkünften aus
der Weisheit, die sich die Patrizier durch Studien Landgütern, Dividenden von Aktien der Ostindi-
und Erfahrungen erworben haben; er glaubt, daß sehen Kompanie und Gewinnanteilen aus stillen
sie gerecht regieren würden, weil sie keine Ge- Teilhaberschaften an Kontoren. »Das gewaltige
schäftsinteressen verfolgten. Die Gehälter der Wachstum und der Überfluß an Reichtümern« floß
Staatsbeamten waren außerordentlich gering: »Sie in die Hände der Kaufleute. Allerdings strebten
begnügen sich mit der Ehre, der Allgemeinheit diese danach, in die Patrizierfamilien einzuheiraten,

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Rechts: Frans Floris (Antwerpen 1516—1570),
Jäger mit Falken.

Braunschweig, Herzog-Anton-Ulrich-Museum.

Rechts unten: Frans Hals (Mecheln um

1580—1666 Haarlem), Porträt eines Ehepaares.

Amsterdam, Rijksmuseum.

Unten: Frans Hals (Mecheln um 1580—1666 Haarlem),
Die St.-Adrians-Schützengilde.
Haarlem, Frans-Hals-Museum.

wenn sie genügend Vermögen erworben hatten.
Soweit Temples Ausführungen zu der Bedeutung
der Patrizierfamilien.

Am interessantesten wird sein Bericht dort,
wo er die Lebensweise dieser Schicht schildert.
Temple bewunderte sie wegen ihrer »Schlichtheit
und Bescheidenheit, die so allgemein üblich ist,
daß ich nicht einen unter ihnen fand, der die Gren-
zen der Genügsamkeit, die das Volk gewöhnlich übt,
überschritten hätte: und so groß ist sie selbst bei
den beiden höchsten Staatsbeamten meiner Zeit, wären, oder mit mehr als einem Diener, der ihm
dem Vizeadmiral de Ruiter und dem Ratspensionär folgte, oder in einer Kutsche; und die Größe seines
de Witt, daß ich den ersteren nie in Kleidern sah, die Hauses, seine Einrichtung und seine Lebenshaltung
besser als die des gemeinsten Kapitäns gewesen unterschied sich in keiner Weise von dem, was bei

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