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Günther, Hubertus
Niederländisches Bilderbuch — München, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.11572#0130
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„Die Jugend
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Der schöne junge Herr, der auf den Bericht-
erstatter im Jahre 1657 offenbar einen
guten Eindruck machte, war niemand ande-
rer als der Statthalter-Prinz Wilhelm III. von Oranien
im Alter von sechs Jahren. Daß ein so hochgestellter
Bub wie ein Erwachsener mit Samtbarett und Feder-
busch gekleidet war, wundert uns nicht so sehr,
mußten doch die kleinen Prinzen in jener Zeit über-
all so eine unbequeme Kostümierung erdulden.
Aber die niederländischen Bilder zeigen, daß alle
Kinder dieses Landes die Unannehmlichkeiten des
fürstlichen Nachwuchses teilten: Die armen Dinger
wurden in Korsetts gepreßt, mußten drahtverstärkte
Glockenröckchen und hinderliche Pluderhosen,
Jäckchen und Hütchen tragen, ganz wie ihre Eltern.
Sie hatten zum Vater »Mijnheer« zu sagen und soll-
ten die Mutter »Mevrouw« anreden.

Wenn man die reizenden Geschöpfe mit ihren
Apfelbäckchen auf den Bildern des 17. Jahrhun-
derts sieht, sollte man denken, in ihnen die fromm-
sten und artigsten Kinder unter der Sonne zu finden.
Davon waren sie aber, leider Gottes, weit entfernt;
»trefflich wilde« waren sie vielmehr, wie derselbe
Reisende meldet, den der sechsjährige Wilhelm von
Oranien entzückte - und auch dieses Kind unter-
schied sich in dem unbefangenen Gehabe gegen-
über seiner Amme, die er mit den Füßen triezte,
nicht sonderlich von den übrigen.

Ein anderer Zeitgenosse entrüstet sich: »Die
Kinderzucht ist insgemein allhie auch nicht die
beste.« Hundert Jahre später erklingen dieselben
Klagen: »Die Erziehung der Jugend kann nicht
schlechter seyn, als sie größtentheils in der Republik
ist.« Und in der folgenden Zeit besserte sich die

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