Kurze Anzeigen.
141
scheinbare Vermählung zwischen dem Dogma und der Speculation zu feiern,
die sich nun schon lange in einen blutigen Unfrieden aufgelöst hat. Dieser
messianische Zustand, wo der träumerische, unschuldige Glaube, wie ein Kind
mit den giftigen Nattern der Dialektik friedlich spielte, kehrt nun und nimmer
wieder; der Geist muss aus der ungewissen Schwebe heraus und sich rechts
oder links entscheiden. — Ueberdiess widerlegt sich der Verf. selbst dadurch,
dass er eingestellt, wie unbehaglich und fremd sich jene jüdischen Metaphysi-
ker auf die Länge in dem öden Dunstkreis der damaligen Spekulation fühlten,
und dass diese religiöse Poesie eigentlich nur eine Flucht sei aus jenem Gebiet
auf den verlassenen heimischen Boden des positiven Glaubens. Es ist also nur
eine süsse Selbsttäuschung , wie sie die Romantik zu ihrer Existenz immer be-
darf, wenn der Verf. in dem mittelalterlichen Geistesleben eine Harmonie findet,
die der Mitwelt als Beispiel vorgehalten werden könnte , eine Selbsttäuschung,
die gefährlich wird, wenn sie zur Grundlage praktischer Bestrebungen verwen-
det wird. Der Verf. spannt überdiess seine apologetischen Tendenzen zum
Behufe theologischer Polemik noch weiter aus, als es der Kreis seiner literar-
historischen Darstellung erfordert. In dem ersten Abschnitte seiner geschichtli-
chen Entwicklung der jüdisch - religiösen Poesie gibt er nämlich Andeutungen
über den Bildungsgang der jüdischen Literatur nach der Zerstreuung über die
Entstehung der Thalmude und der Midraschim. Nun hat sich bekanntlich diese
Literatur eine fast canonische Autorität im Judenthum erobert und mehr als
zwölf Jahrhunderte das ganze jüdische Leben in seiner wissenschaftlichen und
religiösen Thätigkeit so sehr beherrscht, dass es der gegenwärtigen jüdisch -
theologischen Kritik nicht leicht wird, den ungeheuren Einflüssen eines, wenn
auch aus ganz'fremden politischen und sittlichen Elementen hervorgegangenen
Geistes ein Ende zu machen. Unser Verf. aber, der, wie es scheint, den Thal-
mud noch immer für das Haupt- und Grundbuch des Judenthums hält, sucht
denselben als eine organische Entwickelung des jüdischen Bewusstseins aus dem
Kern und Mittelpunkt der Bibel heraus darzustellen, und so demjenigen, was
eine nüchterne Kritik nur für ein Produkt momentaner Anschauungen erkennt,
eine grössere Geltung zu vindiciren, als stände es im innigsten Zusammenhänge
mit den unerschiitlerten Fundamenten des Glaubens. Aber auch hiebei ist der
Verf. durch seine romantische Betrachtungsweise getäuscht. Er zeigt uns nur
die eine, ihm verständliche volksthümliche poetische Seite des Geisteslebens
jener Zeit, die sich in den s. g. haga dis eben (mythischen) Elementen des
Thalmuds ausspricht, in welchen allerdings der Zusammenhang mit den ge-
schichtlichen Voraussetzungen sichtbar und die Produktion sich noch organisch
erweist. Dagegen übersieht der Verf. das ungeheure Gebiet des Doctrinellen
und Praktischen, die halachische Seite des Thalmuds, die sein eigentliches
Wesen ist, und die im Grunde allein und ausschliesslich die Herrschaft geübt
hat. In diesen praktisch - doctrinellen Elementen den organischen Zusammen-
hang mit den geschichtlichen Voraussetzungen, ja nur mit der heiligen Schrift
zu entdecken, in ihnen eine wahrhafte Fortbildung des Volksbewusstseins und
nicht vielmehr grossentheils eine labyrinthische Verirrung und Verwirrung ein-
facher, überkommener Normen zu finden, dürfte dem Unbefangenen und Vorur-
theilsfreien sehr schwer werden.
141
scheinbare Vermählung zwischen dem Dogma und der Speculation zu feiern,
die sich nun schon lange in einen blutigen Unfrieden aufgelöst hat. Dieser
messianische Zustand, wo der träumerische, unschuldige Glaube, wie ein Kind
mit den giftigen Nattern der Dialektik friedlich spielte, kehrt nun und nimmer
wieder; der Geist muss aus der ungewissen Schwebe heraus und sich rechts
oder links entscheiden. — Ueberdiess widerlegt sich der Verf. selbst dadurch,
dass er eingestellt, wie unbehaglich und fremd sich jene jüdischen Metaphysi-
ker auf die Länge in dem öden Dunstkreis der damaligen Spekulation fühlten,
und dass diese religiöse Poesie eigentlich nur eine Flucht sei aus jenem Gebiet
auf den verlassenen heimischen Boden des positiven Glaubens. Es ist also nur
eine süsse Selbsttäuschung , wie sie die Romantik zu ihrer Existenz immer be-
darf, wenn der Verf. in dem mittelalterlichen Geistesleben eine Harmonie findet,
die der Mitwelt als Beispiel vorgehalten werden könnte , eine Selbsttäuschung,
die gefährlich wird, wenn sie zur Grundlage praktischer Bestrebungen verwen-
det wird. Der Verf. spannt überdiess seine apologetischen Tendenzen zum
Behufe theologischer Polemik noch weiter aus, als es der Kreis seiner literar-
historischen Darstellung erfordert. In dem ersten Abschnitte seiner geschichtli-
chen Entwicklung der jüdisch - religiösen Poesie gibt er nämlich Andeutungen
über den Bildungsgang der jüdischen Literatur nach der Zerstreuung über die
Entstehung der Thalmude und der Midraschim. Nun hat sich bekanntlich diese
Literatur eine fast canonische Autorität im Judenthum erobert und mehr als
zwölf Jahrhunderte das ganze jüdische Leben in seiner wissenschaftlichen und
religiösen Thätigkeit so sehr beherrscht, dass es der gegenwärtigen jüdisch -
theologischen Kritik nicht leicht wird, den ungeheuren Einflüssen eines, wenn
auch aus ganz'fremden politischen und sittlichen Elementen hervorgegangenen
Geistes ein Ende zu machen. Unser Verf. aber, der, wie es scheint, den Thal-
mud noch immer für das Haupt- und Grundbuch des Judenthums hält, sucht
denselben als eine organische Entwickelung des jüdischen Bewusstseins aus dem
Kern und Mittelpunkt der Bibel heraus darzustellen, und so demjenigen, was
eine nüchterne Kritik nur für ein Produkt momentaner Anschauungen erkennt,
eine grössere Geltung zu vindiciren, als stände es im innigsten Zusammenhänge
mit den unerschiitlerten Fundamenten des Glaubens. Aber auch hiebei ist der
Verf. durch seine romantische Betrachtungsweise getäuscht. Er zeigt uns nur
die eine, ihm verständliche volksthümliche poetische Seite des Geisteslebens
jener Zeit, die sich in den s. g. haga dis eben (mythischen) Elementen des
Thalmuds ausspricht, in welchen allerdings der Zusammenhang mit den ge-
schichtlichen Voraussetzungen sichtbar und die Produktion sich noch organisch
erweist. Dagegen übersieht der Verf. das ungeheure Gebiet des Doctrinellen
und Praktischen, die halachische Seite des Thalmuds, die sein eigentliches
Wesen ist, und die im Grunde allein und ausschliesslich die Herrschaft geübt
hat. In diesen praktisch - doctrinellen Elementen den organischen Zusammen-
hang mit den geschichtlichen Voraussetzungen, ja nur mit der heiligen Schrift
zu entdecken, in ihnen eine wahrhafte Fortbildung des Volksbewusstseins und
nicht vielmehr grossentheils eine labyrinthische Verirrung und Verwirrung ein-
facher, überkommener Normen zu finden, dürfte dem Unbefangenen und Vorur-
theilsfreien sehr schwer werden.