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Bock: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters.

durch die Seidencultur und Seidenfabrikation zu den lateinischen
Christen verpflanzte. Anfänge dazu waren in Sicilien schon vor der
normannischen Zeit unter den arabischen Dynastien gemacht wor-
den. Namentlich war zu Palermo an dem Hofe und zum Gebrauche
des Hofes eine Anstalt für Seidenweberei durch Frauen, wie über-
haupt die islamitischen Dynastien im Orient und Occident solche
Anstalten (zugleich eine Zugabe des Harems hatten) unter dem Na-
men Tiraz, welches Wort dann auch die Benennung eigener Gat-
tungen von Seidenstoffen bergab. Eine ähnliche Anstalt für Seiden-
fabrication war in Byzanz; ja in der frühsten Zeit schon wurde an
den Höfen der Herrscher in China und in Persien die Seidenzucht
und Seidenfabrication durch Frauen betrieben. In kurzer Zeit er-
hob sich die Seidenindustrie der Christen auf Sicilien zu grosser
Blüthe. Mit ihr wetteiferte die maurische Industrie im südlichen
Spanien, ganz besonders in der Stadt Almeria. Mit der gesteiger-
ten Fabrication trat in dem zwölften, dreizehnten Jahrhundert zu-
gleich eine grosse Steigerung der Consumtion in dem Occident ein,
da der Einfluss der Kreuzzüge, der Aufschwung des Lebens, der
sich vornehmlich in den grossen Kirchenbauten und in dem Ritter-
wesen zeigte, den Gebrauch der Seidenstoffe sehr vermehrte. Die
Seidenindustrie verbreitete sich nach dem Festlande von Italien:
zuerst nach Lucca und bei Gelegenheit dort ausgebrochener bürger-
licher Unruhen im Anfänge des vierzehnten Jahrhunderts von da nach
andern Städten namentlich: Florenz, Venedig, Genua. Hier war
die Seidenindustrie in diesen Jahrhunderten anfangs auf die Weberei
beschränkt und begriff nicht auch die Seidenzucht: die Rohseide
bezog man aus Griechenland und aus dem Orient. Von der da-
maligen Fabricationsweise während dieser Periode bis zu dem fünf-
zehnten Jahrhundert hebt unserVerfasserinsbesondere einen, sehr
interessanten Punkt zu näherer Besprechung hervor, nämlich die
Bereitung der bei den damaligen Geweben fast verschwenderisch
angebrachten Goldfäden (S. 48). Nach der im fünfzehnten Jahr-
hundert aufgekommenen und jetzt noch gewöhnlichen Praeparation
wird nämlich der Goldfaden dadurch erzielt, dass man einen star-
kem Seidenfaden mit einem dünngezogenen leichten Silberdrähtchen
überspinnt, welches vorher vergoldet worden ist. In den Geweben
des frühem Mittelalters aber orientalischer wie occidentalischer Fa-
brication, bestehen die Goldfäden entweder aus glatten, riemenfor-
migen nur auf einer Seite vergoldeten Streifchen von einer zarten
Substanz, oder diese nur auf einer Seite vergoldete Substanz ist
um einen Leinenfaden gesponnen. Was diese Substanz sei, ob ein
natürlicher vegetabilischer Stoff, irgend ein Bast oder eine Faser,
oder eine künstlich bereitete Masse, — das hat unsre heutige Tech-
nik und Wissenschaft bis jetzt noch nicht herausgebracht, obgleich
die Lösung dieses Rätbsels von einem grossen praktischen Gewinn
wäre, indem man dadurch einen wohlfeilem und schönem Goldfaden
 
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