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274 Bonivard: Advis et devis etc.
— „Was hat, fragt er also (S. 134), Luther nach so langem
Arbeiten eigentlich ausgerichtet? Die Tyrannei des Papstes und
seiner Gehülfen wurde von ihm zwar gebrochen, aber statt der-
selben eine Anarchie gestiftet, in welcher es so viele Gewaltherrn
als Köpfe gibt und daneben noch zahllose Wirren und blutige Auf-
stände. — Nur Wenige sind aus innerm Wahrheitsdrang, Viele
aus Nebenabsichten der Reform beigetreten. Auf Etliche wirkte der
Hass gegen das Papstthum mit den früher geschilderten Auswüchsen
und Missethaten, auf Andere die Fleischeslust, indem sie bald nach
den verbotenen Speisen, bald nach den für unerlaubt erklärten Ehen
begehrten; die Dritten, insonderheit Fürsten und Hochgestellte, war-
fen aus Habgier ihr Auge auf bewegliches und unbewegliches Kir-
chengut; die Unterthanen hofften dabei der Zehnten, Primizen und
anderer Gefälle ledig zu werden, fanden sich jedoch darin bitter ge-
täuscht; denn was früher die Priester, beziehen jetzt die Fürsten.
Kurz, man hat mit beiden Händen angenommen, was vom Evan-
gelium erlaubt wurde, aber nicht gleiches in Betreff des Verbotenen
gethan.“ •— Darauf folgt eine scharfe, sittenrichterliche Kritik evan-
gelischer Grossen und Höfe, namentlich des Landgrafen Philipp von
Hessen wegen unkeuschen Wandels, des Königs Heinrich VIII. von
England ob unlauterer Motive zur Reformation, des Grossmeisters
Albrecht von Brandenburg ob gleicher Schwäche, des Grafen Wil-
helm von Fürstenberg wegen Trunkenheit u. s. w. •— Besonders
strenge wird auch die lockere Sitte und Art in der Residenz Wit-
tenberg gerügt, wo keineswegs das Wort den Thaten entspreche.
Man wetteifere hier nach glaubwürdigem Zeugniss mit Frankreich
rücksichtlich des Spielens, Trinkens, Tanzens und Liebäugelns; es
gehe ärger her wie in den Tagen des Papstthums (S. 145). Darüber
dürfe man sich jedoch nicht wundern, weil leider! viele Prediger
dort und anderswo den Gläubigen kein Beispiel der Erbauung und
christlichen Zucht gewährten. — Ueberhaupt herrsche in dem Lager
der Papisten und Evangelischen dieselbe Heuchelei; dort wie hier
wollten Fürsten und Völker für Christus streiten, hätten aber nur
sich selber vor Augen; „sie kämpften mit einander unter dem Feld-
geschrei und Banner des Heilandes, wie es einst in Spanien die
Söhne von etwas und die Bürger (los villanos) (los ijos d’Argos?
soll heissen: hijos d’algo p. 160) thaten, welche trotz des Königs
mit einander blutige Fehden führten und dabei riefen: „Es lebe der
König!“ — So streiten wir mit einander entgegen dem Willen Christi
und schreien beide Theile: „Es lebe Christus!“ Wer uns aber ins
Herz schaut, wird finden, dass der Heiland zwar den Anlass, nicht
aber die Ursache des Streit’s gibt, sondern dass diese in dem Rock
des Erlösers liegt; darum haben wir das Evangelium angenommen.“ —
Die beiden letzten Aufsätze, welche hier das erste Mal ver-
öffentlicht werden, sind überschrieben: „advis et devis du menconge“
(Wege und Abwege der Lüge) und „advis et devis, desquelz sont
 
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