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Bachofen: Das lykische Volk.
durch eine richtige Würdigung desselben, wie des Charakters und
Geistes des dieses Land bewohnenden Volkes zu veranlassen. Zwar
hat Lycien, so weit wir wissen, in der Geschichte des Alterthums
keine bedeutende Rolle gespielt, es ist, ungeachtet des kriegerischen
Geistes und der Tapferkeit seiner Bewohner, die sich besonders in
der Vertheidigung des heimathlichen Bodens bewährt hat, nie als
erobernd aufgetreten, aber es nimmt unsere Aufmerksamkeit durch
viele andere Rücksichten, namentlich religiöser und kunstgeschichtlicher,
wie selbst social politischer Natur in Anspruch. „Klein an Umfang und
Seelenzahl, überdiess für die politische Enwicklung des Alterthums
von sehr untergeordneter Bedeutung, ragt das Volk durch die Ori-
ginalität seiner Geistesart über andere hervor. Seine Auszeichnungen
gehören dem Gebiete des innere Lebens, sie fordern eben desshalb,
dass wir ihnen dahin nachfolgen.“ (jS. VI). So entstand in dem
Verfasser der Entschluss, alle „Aeusserungen des lykischen Volks-
geistes in den Kreis seiner Betrachtung zu ziehen und so das Ge-
mälde einer Gesittung zu entwerfen, deren grösstes Interesse in dem
Gegensatz zu den bewegenden Ideen des ausgebildeten Hellenismus
zu suchen ist.“ (S. V).; demgemäss „sammelt diese Schrift Alles,
was durch Schriftsteller und Denkmäler über die Mythen, die Ge-
schichte, die politischen und bürgerlichen Einrichtungen, die Sitten
und Gedanken des Volkes überliefert ist, stellt es nach einer Mehr-
zahl umfassender Gesichtspunkte zusammen, erörtert die Wechsel-
beziehung der einzelnen Ergebnisse unter einander und sucht zuletzt
durch die Entwicklung der lykischen Religionsideen in den Mittel-
punkt jener Geisteswelt, der so viel Eigenthiimliches entsprungen
ist, vorzudringen.“
Was also der Verfasser beabsichtigt, ist eine Darstellung des
lykischen Volkscharakters, wie er sich in den noch erhaltenen Denk-
malen erkennen und zuletzt auf gewisse bestimmte religiöse An-
schauungen zurückführen lässt: die historische Untersuchung ist nur
in so weit aufgenommen, als sie auf den Charakter des Volkes ein
Licht zu werfen geeignet ist; die sprachliche Forschung, die ohnehin
noch nicht eine feste Basis gewonnen hat, ist darum ganz wegge-
fallen: die Nachrichten der Alten sind über beides sehr dürftig, und
dürfte es schon aus diesem Grunde nicht leicht möglich sein, eine
vollständige, genau nach der Zeitfolge geordnete Geschichte des
lykischen Landes und Volkes aufzustellen.
(Schluss folgt.)
Bachofen: Das lykische Volk.
durch eine richtige Würdigung desselben, wie des Charakters und
Geistes des dieses Land bewohnenden Volkes zu veranlassen. Zwar
hat Lycien, so weit wir wissen, in der Geschichte des Alterthums
keine bedeutende Rolle gespielt, es ist, ungeachtet des kriegerischen
Geistes und der Tapferkeit seiner Bewohner, die sich besonders in
der Vertheidigung des heimathlichen Bodens bewährt hat, nie als
erobernd aufgetreten, aber es nimmt unsere Aufmerksamkeit durch
viele andere Rücksichten, namentlich religiöser und kunstgeschichtlicher,
wie selbst social politischer Natur in Anspruch. „Klein an Umfang und
Seelenzahl, überdiess für die politische Enwicklung des Alterthums
von sehr untergeordneter Bedeutung, ragt das Volk durch die Ori-
ginalität seiner Geistesart über andere hervor. Seine Auszeichnungen
gehören dem Gebiete des innere Lebens, sie fordern eben desshalb,
dass wir ihnen dahin nachfolgen.“ (jS. VI). So entstand in dem
Verfasser der Entschluss, alle „Aeusserungen des lykischen Volks-
geistes in den Kreis seiner Betrachtung zu ziehen und so das Ge-
mälde einer Gesittung zu entwerfen, deren grösstes Interesse in dem
Gegensatz zu den bewegenden Ideen des ausgebildeten Hellenismus
zu suchen ist.“ (S. V).; demgemäss „sammelt diese Schrift Alles,
was durch Schriftsteller und Denkmäler über die Mythen, die Ge-
schichte, die politischen und bürgerlichen Einrichtungen, die Sitten
und Gedanken des Volkes überliefert ist, stellt es nach einer Mehr-
zahl umfassender Gesichtspunkte zusammen, erörtert die Wechsel-
beziehung der einzelnen Ergebnisse unter einander und sucht zuletzt
durch die Entwicklung der lykischen Religionsideen in den Mittel-
punkt jener Geisteswelt, der so viel Eigenthiimliches entsprungen
ist, vorzudringen.“
Was also der Verfasser beabsichtigt, ist eine Darstellung des
lykischen Volkscharakters, wie er sich in den noch erhaltenen Denk-
malen erkennen und zuletzt auf gewisse bestimmte religiöse An-
schauungen zurückführen lässt: die historische Untersuchung ist nur
in so weit aufgenommen, als sie auf den Charakter des Volkes ein
Licht zu werfen geeignet ist; die sprachliche Forschung, die ohnehin
noch nicht eine feste Basis gewonnen hat, ist darum ganz wegge-
fallen: die Nachrichten der Alten sind über beides sehr dürftig, und
dürfte es schon aus diesem Grunde nicht leicht möglich sein, eine
vollständige, genau nach der Zeitfolge geordnete Geschichte des
lykischen Landes und Volkes aufzustellen.
(Schluss folgt.)