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Nr. 21.

HEIDELBERGER

1862

JAHRBÜCHER DER LITERATUR

Joh. Heinrich Löwe: Die Philosophie Fichte’s nach dem Ge-
sammtergebniss ihrer Entwicklung und in ihrem Verhältnisse zu
Kant und Spinoza. Mit einem Anhang: Ueber den Gottesbe-
griff Spinoza’s und dessen Schicksale. Stuttgardt 1862. bei
Nitzschke. III und 823 S. in 8.
Nachdem die speculative Philosophie, die in einem Zeitraum
von 50 Jahren (von Kant’s Kritik der reinen Vernunft 1781 bis zu
Hegel’s Tod 1831) alle Probleme der wissenschaftlichen Erkenntniss
zu lösen versucht hatte, seit 30 Jahren ihren Lauf vollendet, und
theils der Anwendung ihrer bedeutendsten Resultate und ihrer Methode
in der historischen Kritik und Entwicklung theils dem Empirismus
der Naturwissenschaften Platz gemacht hat, ist es für jeden Gebil-
deten von Interesse, den Gang derselben durch die verschiedenen
Stadien des Idealismus vom Standpunkt einer objectiven Kritik und
in allgemeinverständlicher Darstellung zu überschauen. Es fehlt unn
zwar nicht au Geschichtswerken über die deutsche Philosophie seit
Kant, aber meistens stehen die Verfasser derselben doch zu sehr
unter dem Einfluss eines der Systeme, die sie darzustellen unter-
nommen haben, um ganz unparteiisch zu sein, und besonders hat
derjenige Philosoph, welcher am kühnsten in die Tiefen des Idealis-
mus eingedrungen ist, der eigentliche Schöpfer der speculativen
Philosophie, J. G. Fichte, die verdiente selbständige Würdigung
noch nicht gefunden.
Fichte steht mit seinen Arbeiten im Dienst der reinen Vernunft
auf dem Wendepunkt des 18. und 19. Jahrhunderts und der manig-
faltige Wechsel in den zVnschauungen der Menschen, welcher diese
Uebergangsperiode bezeichnet, hat auch bei ihm zu verschiedenen
Zeiten einen verschiedenen Ausdruck für die höchsten Begriffe her-
beigeführt. Da Fichte zugleich der einzige unter den Häuptern der
neuern Philosophie ist, welcher wegen seiner philosophischen An-
sichten zum Gegenstand kirchlicher Verfolgung und durch seine Ab-
setzung vom Katheder in Jena sogar zum Märtyrer der neueren
Philosophie wurde, so ist es kein Wunder, dass man die Modifica-
tionen im Ausdruck seiner Ideen (dass er z. B. in späteren Schriften
sich mehr der Ausdrücke „Gott, ewiges Leben“ u. s. w. bediente)
als eine Veränderung der Ansichten selbst ansah und das, was viel-
leicht nur Anbequemung an hergebrachte Formen oder Populari-
sirung des abstracten Ausdrucks war, für Nachgiebigkeit gegen das
kirchliche System nahm. Das war aber gewiss ein Unrecht gegen
einen Mann, der nicht nur in seinem Prozesse mit eiserner Conse-
quenz seinen Grundgedanken festhielt und vertheidigte, sondern auch
LV. Jahrg. 5. Heft. 21
 
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