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Gladstone’s homerische Studien.
eben so sehr die homerische Welt und Erdkunde, wie die Mytho-
logie und die religiösen Anschauungen des homerischen Zeitalters,
die politischen und sittlichen Zustände desselben betreffen und selbst
die ästhetische Seite, die Würdigung und Beurtheilung der home-
rischen Gedichte im Ganzen wie im Einzelnen nicht ausschliessen,
ja daran in einigen Excursen sogar die Besprechung einiger gram-
matisch-sprachlicher Punkte knüpfen. Was, wie bemerkt, deutsche
Leser wohl eher erwarten mochten, ist die nähere Erörterung der
grossen Frage, durch welche alle diese Untersuchungen gewisser-
massen bedingt sind, wir meinen die Frage nach der Entstehung
und Bildung der homerischen Gedichte selbst. Es ist diese Frage
allerdings in den Prolegomenen des ersten Bandes (die in der deut-
schen Bearbeitung, wie oben bemerkt, weggefallen, von dem deut-
schen Bearbeiter aber an einem andern Orte*) besprochen worden
sind) berührt, aber eine näher eingehende und selbständig sie be-
handelnde Untersuchung hat sie nicht gefunden, wenn auch der
Verfasser gelegentlich an mehreren Stellen des Werkes ihr sich
nicht entziehen konnte, sondern einigemal darauf zurückkommen
musste; denn der Verfasser, im Gegensatz zu seinem gelehrten
Landsmann Grote, tritt als ein entschiedener Vertreter der Einheit
der homerischen Gedichte auf, wie sie uns jetzt durch die Be-
mühungen der Alexandrinischen Gelehrten vorliegen, diese wird
gewissermassen bei allen seinen Erörterungen vorausgesetzt, und lässt
er gar keinen Zweifel an der Einheit wie Aechtheit aufkommen;
man vergleiche nur die fünfte Section dieser Prolegomenen (The
probable Trustworthiness of the text of Homer S. 42 ff.) und man
wird sich davon überzeugen, aber auch eben so bald wahrnehmen,
dass die Forschungen deutscher Gelehrten aus den letzen Decennien
dem Verfasser mehr odei’ minder fremd geblieben sind, während er
sich an Mure anschliest, in dessen Geschichte der griechischen
Literatur der den homerischen Gedichten gewidmete Theil wohl zu
den schwächsten des ganzen Werkes gehört. In so fern mochte
der deutsche Bearbeiter wohl im Recht sein, wenn er diese Ab-
schnitte gänzlich von seiner deutschen Bearbeitung ausgeschieden
hat, da deutschen Lesern darüber wohl Etwas Anderes zu bieten war.
Mit diesen Bemerkungen schliessen wir unsern Bericht über
ein Werk, das allerdings geeignet ist, die Aufmerksamkeit auf sich
zu ziehen, und zu weiteren Betrachtungen und Erörterungen reich-
lichen Stoff bietet. In eine Kritik der Ansichten und Behauptungen
des englischen Verfassers einzutreten, konnte uns nicht in den Sinn
kommen, weil, wie schon oben erinnert w’orden, dazu hier weder
Zeit noch Raum gegeben ist. Wir hoffen aber, dass ein Jeder aus
diesem getreuen Bericht ersehen wird, um was es sich in diesem
*) In Mützell’s Zeitschrift für das Gymnasialwesen. Vierzehnter Jahr-
gang. 1. Bd. S. 513 ff.
Gladstone’s homerische Studien.
eben so sehr die homerische Welt und Erdkunde, wie die Mytho-
logie und die religiösen Anschauungen des homerischen Zeitalters,
die politischen und sittlichen Zustände desselben betreffen und selbst
die ästhetische Seite, die Würdigung und Beurtheilung der home-
rischen Gedichte im Ganzen wie im Einzelnen nicht ausschliessen,
ja daran in einigen Excursen sogar die Besprechung einiger gram-
matisch-sprachlicher Punkte knüpfen. Was, wie bemerkt, deutsche
Leser wohl eher erwarten mochten, ist die nähere Erörterung der
grossen Frage, durch welche alle diese Untersuchungen gewisser-
massen bedingt sind, wir meinen die Frage nach der Entstehung
und Bildung der homerischen Gedichte selbst. Es ist diese Frage
allerdings in den Prolegomenen des ersten Bandes (die in der deut-
schen Bearbeitung, wie oben bemerkt, weggefallen, von dem deut-
schen Bearbeiter aber an einem andern Orte*) besprochen worden
sind) berührt, aber eine näher eingehende und selbständig sie be-
handelnde Untersuchung hat sie nicht gefunden, wenn auch der
Verfasser gelegentlich an mehreren Stellen des Werkes ihr sich
nicht entziehen konnte, sondern einigemal darauf zurückkommen
musste; denn der Verfasser, im Gegensatz zu seinem gelehrten
Landsmann Grote, tritt als ein entschiedener Vertreter der Einheit
der homerischen Gedichte auf, wie sie uns jetzt durch die Be-
mühungen der Alexandrinischen Gelehrten vorliegen, diese wird
gewissermassen bei allen seinen Erörterungen vorausgesetzt, und lässt
er gar keinen Zweifel an der Einheit wie Aechtheit aufkommen;
man vergleiche nur die fünfte Section dieser Prolegomenen (The
probable Trustworthiness of the text of Homer S. 42 ff.) und man
wird sich davon überzeugen, aber auch eben so bald wahrnehmen,
dass die Forschungen deutscher Gelehrten aus den letzen Decennien
dem Verfasser mehr odei’ minder fremd geblieben sind, während er
sich an Mure anschliest, in dessen Geschichte der griechischen
Literatur der den homerischen Gedichten gewidmete Theil wohl zu
den schwächsten des ganzen Werkes gehört. In so fern mochte
der deutsche Bearbeiter wohl im Recht sein, wenn er diese Ab-
schnitte gänzlich von seiner deutschen Bearbeitung ausgeschieden
hat, da deutschen Lesern darüber wohl Etwas Anderes zu bieten war.
Mit diesen Bemerkungen schliessen wir unsern Bericht über
ein Werk, das allerdings geeignet ist, die Aufmerksamkeit auf sich
zu ziehen, und zu weiteren Betrachtungen und Erörterungen reich-
lichen Stoff bietet. In eine Kritik der Ansichten und Behauptungen
des englischen Verfassers einzutreten, konnte uns nicht in den Sinn
kommen, weil, wie schon oben erinnert w’orden, dazu hier weder
Zeit noch Raum gegeben ist. Wir hoffen aber, dass ein Jeder aus
diesem getreuen Bericht ersehen wird, um was es sich in diesem
*) In Mützell’s Zeitschrift für das Gymnasialwesen. Vierzehnter Jahr-
gang. 1. Bd. S. 513 ff.