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450 Müller: Die Wissenschaft der Sprache.
Die erste Stufe nennt er die empirische (Inhalt der dritten Vor-
lesung), die zweite, höhere, die classificirende (Inhalt der vierten
Vorlesung) und die dritte, höchste, die systematische (Inhalt der
fünften Vorlesung). Die Erörterung dieser Eintheilung seines
Stoffes gibt der Verf. in sehr verständlicher Weise in der ersten
Vorlesung (Bearb. S. 13 u. f.).
Wenden wir uns, wie gesagt, zuvörderst zur dritten Vor-
lesung: „Die empirische Stufe der Sprachwissenschaft.“ — Der
Ltser wird zuerst mit der Vorstellung bekannt gemacht, welche
die Bramanen sich von der Sprache bildeten, die sie anfangs zum
Range einer Gottheit erhoben, deren heiligen Leib sie später aber
mit wunderbarer Geschicklichkeit secirten, so dass ihre Leistungen
in grammatischer Analyse, die aus dem sechsten Jahrh. v. Chr·
datiren, von keiner anderen grammatischen Literatur übertroffen
wurden. Darauf wendet sich der Verf. zu den Hellenen, die zwar
minder hoch von der Sprache dachten, ihren Problemen dafür in
ihren Philosophenschulen die fleissigste Berücksichtigung zu Theil
werden liessen. -— Die dieser Stufe zuzuweisende Geistesarbeit be-
steht ihm in der Erörterung der praktischen Anlässe, welche das
Hervorkeimen von Bildungen anregten, die später das Material der
grammatischen Analyse der Composition bildeten. Er behauptet,
dass die später von der Grammatik angenommene Nomenclatur
schon in den Schulen der Philosophen existirten, ehe sie dem
Grammatiker zurecht gelegt wurden. Regeln über Declination,
Paradigmen, syntaktische Beobachtungen sind vollends eine Arbeit
des praktischen Sprachlehrers. Die Hellenen, welche die Mensch-
heit in Hellenen und Barbaren theilten, legten das Vorrecht, Helle-
nisch zu sprechen, nur sich bei, wie denn auch die Byzantiner
(nach Constant. Porphyrog. cap. 30) den deutschen Stamm der
Baiern Νεμ,έτζιοι hiessen, und im Russischen noch jetzt „deutsch“
mit njemez ausgedrückt wird d. h. s. v. a. sprachlos (njemyi -
stumm), eine Vorstellung, die auch den Deutschen vorschwebte,
wenn sie von Welschen sprachen, womit die Germanen ihre Nach-
baren, die Celten, bezeichneten. So voll Selbstgefühl waren die
Deutschen freilich, als sie eine grosse Nation waren! — Für die
Art, wie die Hellenen zuerst fremde Sprachen lernten, stellte der
Verf. belehrende Vermuthungen auf. Er meint, es seien Kinder aus
sprachlich gemischter Ehe gewesen. Die Kriege mit den Persern
machten die Hellenen zuerst mit dem Gedanken bekannt, dass auch
andere Völker wirkliche Sprachen besassen; und die Züge Alexan-
ders machten die Bekanntschaft mit fremden Nationen und Sprachen
unumgänglich. Die Schwierigkeit der Verständigung lässt den Verf.
an Nachrichten von gewissen Reisen in entfernte Gegenden, wie sie
von diesen und jenen Hellenen erzählt werden, zweifeln. Er ver-
muthet, dass die Barbaren mehr Fähigkeit entwickelt hätten, das
Hellenische zu erlernen, und beruft sich dafür auf die Beispiele:
Berosus, Menander und Manetho. Geistiger \Terkehr zwischen Hel-
 
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