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504

Kirchmann: Die Philosophie des Wissens.

sem ausschliesst, so gut muss man auch sagen, dass es dasselbe Subject
mit dem negativen Prädicate oder dem durch das positive Merk-
mal abgesteckten Gebiete des Gegensatzes des positiven Prädicats
verbindet. Nicht das Urtheil, sondern das Prädicat wird aufge-
hoben, und darum ist das verneinende Urtheil nicht die Ä^erneinung
des Urtheils. Man könnte überhaupt weder von verneinenden Ur-
theilen sprechen, noch solche aufstellen, wenn das verneinende Ur-
theil die Verneinung des Urtheils wäre. Wo das Urtheil verneint
wird, haben wir kein Urtheil mehr. Gerade, weil das Urtheil in
der Sprache (S. 555) vom Urtheil an sich unterschieden wird,
geht daraus hervor, dass das Urtheil an sich nicht die Mittheilung
der Vorstellungen sein kann, da ja eine Mittheilung eines Urtheils
erst durch die Sprache statt finden kann. Vom »Urtheile in der
Sprache« wird noch das »Urtheil im Gespräche« oder »in der
gegenseitigen Mittbeilung der Vorstellungen« unterschieden (S. 573).
Sonderbar ist die Eintheilung des Gesprächs: 1) in »Frage und
Antwort«, 2) in »Gespräch im engern Sinne« und 3) in den »Streit.«
Vom Streit wird behauptet, dass er sich um »die Wahrheit eines
Urtheiles bewege« (S. 575). Wie kann man aber diese Definition
des Streites dann durchführen, wenn sich bei beiden im Gespräche
Begriffenen dieses nicht um die Wahrheit bewegt? Das Wissen hat
zwei Seiten, wie zum Schlüsse S. 581, angedeutet wird, oder zwei
Richtungen, die eine »nach dem Wissenden«, die andere nach dem
»Gewussten.« Das Wissen mit »der vorwiegenden Richtung nach
dem Wissenden« ist das »Vorstellen«, mit der »vorwiegenden Rich-
tung nach dem Gewussten« das »Erkennen.« Schon der Beisatz
der »vorwiegenden Richtung« zeigt, dass auch nach dem Sinne des
Herrn Verf. das Verstellen und das Erkennen, beide, eine Beziehung
zum Subject und Object haben und nur bald mehr die eine, bald
mehr die andere Beziehung in den Arten dieses Wissens vorherrscht.
Daher werden auch beide am besten nicht als getrennt, sondern als ver-
bunden angenommen, da zudem das eine das andere voraussetzt. Musste
doch der Herr Verf., wie er selbst S. 582 gesteht, darum in dem
ersten Bande seiner Philosophie des Wissens, der Philosophie des
Vorstellens, »mannichfach in die Lehre vom Erkennen hinüber-
greifen« und darum schon im ersten Bande in den zweiten Band
Gehöriges anticipiren, in welchem des Zusammenhanges wegen bei
dieser Anlage Wiederholungen unvermeidlich sein werden.
Ungeachtet des hier Gerügten verdient die Arbeit des denken-
den und unterrichteten Herrn Verf. Anerkennung. Manche einzelne
scharfsinnige Bemerkungen, Beobachtungen und einzelne treffende
Beispiele finden sich in dem vorliegenden Buche, wenn gleich Ref.
mit der Ausführung im Ganzen nicht einverstanden ist.
Der erste Band, die Lehre vom Vorstellen, behandelt
den Inhalt und die Art des Vorstellens, die Entstehung, die Be-
wegung und das Vergehen der Vorstellungen. Der zweite Band,
die Lehre vom Erkennen, soll die Wahrheit der Vor-
 
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