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Historische Vierteljahrsschrift — 1.1898

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Bernheim, Ernst: Paläographische Glossen
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https://doi.org/10.11588/diglit.58935#0325
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Paläographische Glossen.

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und daher ihre Schrift von zersetzendem Einfluss wesentlich frei
geblieben war. Da Alcuin, der Hauptleiter der karolingischen
Reform, Angelsachse war, liegt es nahe, Einwirkung des angel-
sächsischen Musters anzunehmen, ohne dass bei der nahen Ver-
wandtschaft desselben mit der älteren römischen Halbunziale
gleichzeitiger Einfluss dieser letzteren auszuschliessen wäre. Es
wird schwer sein, zu entscheiden, ob man in Tours und anderen
Reformkreisen mehr dieses oder jenes Vorbild vor Augen hatte,
immerhin wäre die Frage mit Heranziehung’ des verfügbaren
Materials noch zu untersuchen. Wieweit und ob überhaupt die
in Irland und bei den Angelsachsen im 8. Jahrhundert auftretende
spitzere Schriftart1 bei der fränkischen Reform in Betracht kommt,
ist angesichts des spärlichen und meist nicht bestimmt zu
datierenden Materials aus der Zeit vor der Reform äusserst frag-
lich; und bei den Ueberresten spitzer irisch-angelsächsischer Schrift,
die aus der Zeit bald nach Beginn der Reform erhalten sind, ist
bereits umgekehrt ein Einfluss des Kontinents nicht ausgeschlossen,
vielmehr wahrscheinlich.
Wenn dies nun die Gesichtspunkte sind, die bei der Ent-
wickelung der karolingischen Minuskel massgebend erscheinen
und daher im Unterrichte veranschaulicht werden müssen, so
brauchen wir dazu, äusser den erwähnten Specimina von Alenins
Schreibschule, vor allem mindestens ein typisches Beispiel der
älteren römischen Halbunziale (wie Tafel 52 bezw. 53 im Supple-
ment von Zangemeister und Wattenbachs Exempla codi cum lati-
norum oder Tafel 6 von Delisles Album paleographique) und
typische Beispiele der entsprechenden irisch-angelsächsischen Halb-
unziale (wie die, auf welche Thompson S. 238 f. und 246 f. ver-
weist, und wovon sich genug Proben in den bekannten grossen
englischen und irischen Publikationen, auch in Westwoods Palaeo-
graphia sacra pictoria, finden). Wir brauchen ferner, falls wir
auf die betr. oben beregten Fragen eingehen wollen, Proben der
frühesten, sicher vor der karolingischen Reform geschriebenen
irisch - angelsächsischen Spitzschrift.
Augenblicklich kann man alle diese Schriftproben zu Unter-
richtszwecken nur notdürftig, meist nur in einzelnen Exemplaren
zusammenbringen, allenfalls zum Ansehen, aber nicht so, dass ein

1 Vgl. Thompsons Handbook S. 241 f., 248 f.
 
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