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Historische Vierteljahrsschrift — 1.1898

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Seeliger, Gerhard: Volksrecht und Königsrecht? [2]: Untersuchungen zur fränkischen Verfassungs- und Rechtsgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.58935#0328
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Gerhard Seeliger.

salischen und ribuarischen Volksrechts bezeugen zwar, dass
in karolingischer Zeit, und zwar vermutlich eben auf eine An-
regung Karls d. Gr. hin, Neuaufzeichnungen alter Gesetze vor-
genommen wurden, aber es handelte sich dabei nur um eine rein
formelle sprachliche Verbesserung, die Rechtsbestimmungen selbst
blieben unverändert, und zwar auch da, wo sie ihre Giltigkeit
längst verloren hatten.
Weit bedeutungsvoller sind die Aufzeichnungen bisher un-
geschriebener Rechte, die Karl d. Gr. hat vorn eh men lassen. Ist
es auch ungewiss, ob und welche Teile des friesischen Volksrechts
einer Anordnung Karls ihr Dasein verdanken, so dürfte es trotz
mancher Abweichungen der Ansichten feststehen, dass Karl d. Gr.
die Aufzeichnung des sächsischen und thüringischen Rechts ver-
anlasst hat. Dasselbe gilt auch von der Ewa Chamavorum.1
Die Gesetze selbst enthalten allerdings keine Nachricht über
ihre Entstehung. Ist es aber erlaubt, die Meldungen des Lorscher
Annalisten, ihrer Uebertreibungen entkleidet, mit denen Einhards
zu verbinden, dann müssen wir den Aachener Reichstag als den
Schauplatz der legislatorischen Massregeln betrachten. Und wir
müssen ferner annehmen, dass die Rechtskundigen der einzelnen
Völker, nach Aachen berufen, das Material herbeigeschafft haben.
Von einer weiteren Teilnahme des in den kleinen Gerichtsver-
sammlungen zusammengetretenen Volkes dagegen verlautet nichts.
Das erhaltene Material bestätigt auch die anderen Aussagen
Einhards. Nur der Anlauf zu einer Reform der Volksgesetze
war von Karl gemacht. Beim Anfang war er stehen geblieben.
Und da der grosse Plan einer umfassenden Reform unausgeführt
blieb, so war das Erlassen zahlreicher Einzelnormen unerlässlich,
denn das Bedürfnis war da, dass die alten Aufzeichnungen ergänzt,
berichtigt, die Rechte fortgebildet werden. Einhard sagt, der
Kaiser habe nach dem Scheitern des Reformplans den Gesetzen
„pauca capitula“ beigefügt. Das war nicht erst damals der Fall.

1 Die Ewa Chamavorum unterscheidet sich formell von den anderen
Volksrechten. Sie ist eine Aufzeichnung der Aeusserungen der Chamaven über
mehrere Punkte des herrschenden Gewohnheitsrechts. Ob kaiserliche Missi
die Fragen auf einer chamavischen Provinzialversammlung gestellt, wie
Brunner 1, 353 u. A. annehmen, oder ob chamavische Legislatoren auf dem
Aachener Reichstag die Fragen beantwortet haben, ist dem Rechtsdenkmal
selbst nicht zu entnehmen.
 
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