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Historische Vierteljahrsschrift — 1.1898

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Seeliger, Gerhard: Volksrecht und Königsrecht? [2]: Untersuchungen zur fränkischen Verfassungs- und Rechtsgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.58935#0329
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Volksrecht und Königsrecht?

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Längst hat Karl gleich seinen Vorgängern zur Pflege und Fortbildung
des Rechts Einzelbestimmungen ergehen lassen. Das war in der
karolingischen Zeit eine normale Aeusserung der staatlichen Gewalt.
Das Verordnungswesen der Karolinger hat eine überaus be-
deutsame Ausdehnung gewonnen. Erlasse aller Art, die nach
ihrer Einteilung in Kapitel „capitula“ oder „capitularia“ hiessen,
ergingen Jahr für Jahr: Vorschriften allgemeiner und besonderer
Natur, Normen für die Verwaltungsthätigkeit der Beamten, Er-
läuterungen zu bestehenden Rechtsbestimmungen, Ergänzungen
merklicher Lücken des Rechtssystems.
Alfred Boretius hat bekanntlich die Ansicht entwickelt1,
dass man drei Arten von Kapitularien zu sondern habe, ver-
schieden nach Inhalt, Entstehung und Geltungsdauer: Capitula
legibus addenda, Capitula per se scribenda, Capitula missorum.
Die ersteren enthalten Volksrecht (d. i. Strafrecht, Privatrecht,
Prozessrecht), die anderen Reichsrecht (d. i. Rechtsbestimmungen
über Verwaltung und öffentliche Verhältnisse), die dritten Ver-
waltungsinstruktionen; die ersten sind entstanden durch Zusammen-
wirken von König und Volk, die beiden anderen erlässt der
Monarch allein oder auf Grund von Beratungen mit dem Reichs-
tag; die ersten beanspruchen Geltung für unbeschränkte Zeit, die
zweiten in der Regel Wirkung für die Dauer der betreffenden
Regierung, die dritten nur ganz vorübergehende Bedeutung.
Vor einigen Jahren suchte ich die Unrichtigkeit dieser Lehre
nachzuweisen, die ja nicht nur auf die Rechts- und Gesetzes-
bildung, sondern auch auf die Stellung des Königtums im fränkischen
Reich charakterisierende Streiflichter zu werfen schien.2 Da meine
Ausführungen neben Zustimmung auch Widerspruch gefunden
haben3, und da noch neuestens die Boretius’sche Theorie in Hand-
und Lehrbüchern vorgetragen ward4, so sei hier kurz nochmals
dieser Gegenstand berührt.
1 Vergl. auch. Heft 1, oben S. 10 ff.
2 Seeliger, Die Kapitularien der Karolinger 1893.
3 So von V. Krause, allerdings ohne nähere Begründung, in der Histor.
Zeitschr. N. F. 37, 81; R. Hübner in Gott. Gel. Anz. 1894 S. 757—769;
R. Schröder in Histor. Zeitschr. N. F. 43, 227 ff.
i R. Schröder RG 2. Aufl. (1894) S. 247 ff. — Dahn, Könige VH. 2
S. 41 f. unterscheidet: 1. Allgemeines Reichsgesetz, 2. Capitulare legi additum,
3. Capitula per se scribenda; die Capitula missorum bildeten staatsrecht-
lich keine besondere Gruppe. Diese Einteilung läuft auf die von Boretius
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