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358

INu strirte Mett.

Seines Glückes Schmied.
Roman
von
Avald August König.
Dreizehntes Kapitel.
Jenny Wundermann bereute nicht, den Rat Flotwells
befolgt zu haben. Mistreß Wellingfild war ihr mehr eine
gütige Freundin als eine Herrin, und die wohlerzogenen
Kinder bereiteten ihr auch nur Freude.
Die Erkrankung Master Wellingfilds war nicht so
ernster Natur, wie seine Gattin es befürchtet hatte, die
Sehnsucht nach seiner Familie mochte ihn wohl zumeist be-
wogen haben, sie so plötzlich nach Homburg zu berufen.
Und nun sie einmal da war, wollte Master Wellingfild
auch den reizenden Badeort nicht so bald wieder verlassen,
in den Londoner Nebel könnten sie ja nie zu spät zurück-
kehren, meinte er, und seine Gattin erklärte sich gerne mit
dieser Anschauung einverstanden.
So waren Wochen verstrichen, auch Jenny sehnte sich
jetzt noch nicht nach London zurück, sie fühlte sich wohl in
den neuen Verhältnissen und in der schönen Natur, zudem
wußte sie ihr Kind in guter Obhut, von ihrem Vater und
von Henry Flotwell erhielt sie erfreuliche Nachrichten, und
je länger sie in den Diensten der Mistreß Wellingfild blieb,
desto größer wurde das Sümmchen, das sie sich ersparen
konnte.
Sie hatte sich in dem Hotel, in dem ihr Gatte gestor-
ben war, nach allen Einzelheiten seines Todes und seiner
Beerdigung erkundigt, man war ihr dort freundlich ent-
gegengekommen und auf keine Frage eine Antwort schuldig
geblieben, so erfuhr sie alles, was sie zu wissen wünschte.
Das Grab ihres Gatten besuchte sie fast täglich, sie
hatte es mit Blumen geschmückt und einen einfachen Denk-
stein mit seinem Namen bereits in Bestellung gegeben, es
gereichte ihr zum Tröste, daß sie diesen letzten Liebesdienst
ihm erweisen konnte.
Nur mit tiefer Wehmut gedachte sie seiner noch, in ihren
Augen ruhte kein Makel auf ihm, alle Sünden, die er an
ihrer treuen Liebe begangen hatte, waren ihr ja verschwiegen
geblieben.
Es kamen nun auch Stunden, in denen sie ernst über
ihre Zukunft nachdachte.
Im Hause Wellingfilds konnte sie auf die Dauer nicht
bleiben, man hatte ihr bereits zu verstehen gegeben, daß in
London das Verhältnis wahrscheinlich wieder gelöst werden
müsse. Man wollte sie dann reich entschädigen und sie
weiter empfehlen, aber das alles klang so unbestimmt, daß
Jenny Wohl einsah, sie könne darauf ihre Zukunft nicht
bauen.
Ihr Vater hatte ihr geschrieben, das Haus Bolderbing
L Söhne habe ihm das Geld übergeben, das von ihrem
Gatten hinterlassen worden sei. Es war für ihre Verhält-
nisse eine nennenswerte Summe, rechnete sie ihre eigenen
Ersparnisse hinzu, so glaubte sie damit ein kleines Geschäft
gründen und sich eine selbständige Existenz sichern zu können.
Dadurch erhielt sie alsdann die Mittel, ihrem Sohn eine
gediegene Erziehung zu geben und sich selbst ein sorgen-
freies Alter zu schaffen.
Henry Flotwell, der treue Freund, sollte ihr darin
raten und helfen, so lange er mit seinem guten Herzen und
seinem selbstlosen Wesen ihr zur Seite stand, brauchte sie
wahrlich nicht zu verzagen.
Wußte sie, wie treu und innig er sie noch immer liebte?
Sie legte sich in einsamen Stunden oft diese Frage vor
und fand immer nur eine bejahende Antwort darauf; ja,
sie wußte cs, und auch in ihrem Herzen regten sich Gefühle
für ihn, die mit Liebe gleichbedeutend waren.
Aber an die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung mit
ihm dachte sie nicht; sie hatte vor Jahren seine Liebe ver-
schmäht und einen andern ihm vorgezogen, sie hatte diesem
andern angchört, Henry Flotwell mochte ihr eine liebevolle
Freundschaft bewahren, aber begehrenswert konnte er sie
nicht mehr finden, sie durfte ihm nur noch eine Freundin
sein, wie sie es seit Jahren ihm gewesen war.
Wenn er darüber anders gedacht hätte, würde er ihr
dann den Rat gegeben haben, London zu verlassen und
Mistreß Wellingfild zu begleiten?
Würde er nicht im Gegenteil alles aufgeboten haben,
sie in seiner Nähe zu behalten?
Wie kindlich hatte er sich gefreut, als sie das Anerbieten
der Dame annahm! Mit welchen glänzenden Farben hatte
er ihr das Bild ihrer Zukunft gemalt, ohne seiner eigenen
Person in diesem Bilde zu gedenken!
Nein, nur freundschaftliche Liebe war es, was er für
sie fühlte, und Jenny verlangte auch nichts weiter von ihm,
sie war ihm von ganzem Herzen dankbar dafür und flehte
täglich des Himmels Segen auf ihn herab, es war ja der
einzige Dank, den sie ihm geben konnte.
Ueber das alles dachte sie an einem Nachmittag nach,
als sie in den Anlagen des Kurgartens einsam auf einer
Bank saß.
Vor ihr auf der großen Wiese belustigten die Kinder
sich mit dem Ballspiel, Master und Mistreß Wellingfild
hielten daheim ihre Siesta, wie sie es stets nach dem Diner
zu thun pflegten; so blieb Jenny ungestört ihren Gedanken
überlassen.

Die Rückkehr der Kinder weckte sie aus ihrem Brüten,
das Spiel hatte die Kleinen ermüdet, sie äußerten den
Wunsch, das Gruppenbild zu sehen, das vor einigen Tagen
am Brunnen von einem Photographen ausgenommen wor-
den war.
Master Wellingfild hatte seinen Kindern versprochen,
das Bild zu kaufen, wenn es tadellos ausgefallen war,
und Jenny fügte sich nun gerne dem Wunsche, der auch sie
ihren trüben Gedanken entriß.
Mit den lebensfrohen Kindern plaudernd und scherzend,
ging sie in das Geschäft des Photographen, das Bild wurde
ihr vorgelegt, es entsprach nicht den Erwartungen, die man
gehegt hatte.
„Es ist zu schwierig, eine vollständig tadellose Aufnahme
zu ermöglichen," sagte der Photograph achselzuckend. „Wenn
ich die Herrschaften auch noch fo dringend bitte, sich um
den Brunnen zu gruppiren und nur einige Sekunden sich
ruhig zu verhalten, im letzten Moment entsteht immer wie-
der eine leise Bewegung in der Gruppe, und wie Sie sehen,
ist das diesmal gerade an der Seite der Fall gewesen, wo
Sie stehen. Vielleicht gelingt es in der nächsten Woche
besser, in jeder Woche nehme ich eine neue Gruppe auf."
„Es ist bis jetzt noch nie gelungen!" klagten die Kinder,
die sogleich einsahen, daß sie dieses Bild nicht kaufen
durften.
„O doch!" nickte der Photograph, „ich habe in dieser
Saison Gruppenbilder geliefert, die völlig tadellos sind.
Wenn es Ihnen Vergnügen macht, bitte ich, die Blätter
durchzusehen."
Er holte eine große Mappe herbei und legte sie auf
den Tisch, dann widmete er seine Aufmerksamkeit anderen
Personen, die inzwischen in den Laden eingetreten waren.
Mechanisch betrachtete Jenny die Blätter, um sie dann
den Kindern zu geben, die mit lebhafter Neugier darnach
griffen und einen angenehmen Zeitvertreib darin fanden,
bekannte Personen herauszusuchen.
Plötzlich blieb ihr Blick wie gebannt auf einem Blatte
haften, Todesblässe überzog ihr Antlitz, die Hand, mit der
sie das Blatt hielt, zitterte.
Es war eine Gruppe wie jede andere, aber oben an
einer Säule stand ein Herr, in dem sie augenblicklich ihren
verstorbenen Gatten erkannte.
Er hatte sich halb abgewendet, es schien fast, als ob er
keine Ahnung davon habe, daß in diesem Moment eine
photographische Aufnahme stattfand, die auch sein Porträt
auf die Platte bannte, den Blick starr in die Ferne gerichtet,
zeigte er dem Beschauer nur sein scharf ausgeprägtes Profil.
Ja, das war er, das war feine Nase und sein langer
Bart, sein Hut und fein Stock, es konnte gar kein Zweifel
obwalten.
Mit dem Bilde in der Hand trat Jenny zu dem Pho-
tographen; die Kinder achteten nicht auf sie, sie waren zu
sehr mit ihren eigenen Entdeckungen beschäftigt.
„Wann haben Sie dieses Bild ausgenommen?" fragte
sie, ihre Erregung gewaltsam bezwingend.
„Sie finden das Datum unten in der Ecke, gnädiges
Fräulein," erwiderte er mit einem flüchtigen Blick auf das
Blatt, „am elften Juli."
„Am elften? Das muß ein Irrtum sein. Kennen
Sie diesen Herrn?"
„Nein, ich erinnere mich nicht, ihn in meinem Geschäft
gesehen zu haben."
„Er starb in der Nacht vom zehnten auf den elften
Juli," sagte Jenny mit leise zitternder Stimme, „wahr-
scheinlich, ja jedenfalls ist diese Aufnahme schon am zehnten
erfolgt."
„Ich werde nachsehen, gnädiges Fräulein."
Der Photograph trat an sein Schreibpult und blätterte
in einem Buche, er fand bald, was er suchte.
„Es ist kein Irrtum möglich," sagte er in bedauerndem
Tone, „am elften Juli, sieben Uhr morgens hat die Auf-
nahme stattgefundcn."
Jenny schüttelte ungläubig das Haupt, wieder heftete
ihr Blick sich auf das Bild, der Gedanke, daß sie sich täu-
schen könne, fand auch nach dieser Erklärung noch keinen
Raum in ihrer Seele.
„Es kann nicht sein," erwiderte sie, „dieser Herr war
mein Gemahl, er ist plötzlich hier gestorben, und zwar in
der Nacht vom zehnten auf den elften."
„Dann wird man Ihnen den Todestag falsch angegeben
haben, gnädige Frau," antwortete er achselzuckend.
„Wäre das denkbar?"
„Wenigstens nicht unmöglich!"
„Ich glaube nicht an die Möglichkeit," sagte sie mit
wachsender Erregung, „der Todesfall wurde mir von der
hiesigen Behörde nach London gemeldet, und in einem amt-
lichen Dokument darf doch kein Irrtum vorkommen."
„Ein solcher Irrtum soll allerdings nicht Vorkommen,
aber auch der gewissenhafteste Beamte kann sich einmal
irren. Es wäre ja auch ein anderer Fall denkbar, der,
daß Sie Ihren verstorbenen Gemahl mit einer andern
Person verwechseln."
„Auch das kann ich nicht annehmen, die Aehnlichkeit ist
zu frappant."
„Je nun, solche Aehnlichkeit zweier Personen, die ein-
ander ganz fremd sind, kommt vor. Sie sehen hier das
Gesicht nur im Profil, die Aehnlichkeit braucht also nur in
der Form der Nase und dem Schnitt des Bartes zu liegen,
und wie sehr leicht ist das möglich! Die Farbe des Bartes
und der Augen fällt hier als Erkennungszeichen fort —"

„Dafür finde ich andere Erkennungszeichen in dem Hut
und dem Stock."
„Die doch gar keine Bedeutung haben!" erwiderte der
Photograph, der bereits ungeduldig wurde, da andere
Kinder eingetreten waren, die sich den Kindern Wellingfilds
zugesellt hatten. „Hüte und Stöcke von derselben Form
werden dutzendweise angefertigt, genau denselben Hut und
Stock wie diese beiden werden Sie hier in manchem Laden
kaufen können. Indessen, wie sich die Sache auch aufklären
mag, ich kann nur wiederholen, daß das Bild am elften
Juli und nicht früher ausgenommen worden ist."
Die Kinder kamen, sie wollten mit ihren Genossen auf
den Spielplatz zurückkehren. Gerne hätte Jenny es ihnen
abgeschlagen, um daheim in ihrem Zimmer den Gedanken
wieder nachzuhängen, die auf sie einstürmten, aber sie
mochte den Kleinen die Freude nicht trüben und ihnen auch
nicht die Gründe ihrer Weigerung nennen, die sie ja doch
nicht verstanden.
„Ich werde das Bild kaufen," sagte sie rasch entschlossen,
„was kostet es?"
Der Photograph nannte den Preis, Jenny gab ihm
das Geld und ging mit den Kindern zum Kurgarten zurück.
Sie empfand keine Freude 'über die gemachte Entdeckung
und fast bereute sie, das Bild gekauft zu haben, das fortan
nur eine Quelle der Beunruhigung für sie war.
Sie erinnerte sich jetzt, daß ihr Gatte an einem Nach-
mittage in Homburg angekommen und schon in der darauf-
folgenden Nacht gestorben war, er konnte also an keinem
Morgen am Brunnen gewesen sein!
Und dennoch war es das Porträt ihres Gatten, das
ließ sie sich nimmermehr ausreden. Es mochte andere
Männer geben, die ihm glichen, aber so frappant ähnlich
wie auf diesem Bilde, konnte niemand ihm sein, das war
ganz undenkbar!
So lag denn plötzlich ein Rätsel vor ihr, das sie nicht
zu lösen vermochte. Sie wollte mit Master Wellingfild
darüber reden und beraten, er hatte ihr immer herzliche
Teilnahme bewiesen, vielleicht gelang ihm die Lösung des
Rätsels.
Die Kinder spielten auf der Wiese, Jenny saß wieder
einsam auf der Bank und zeichnete mit ihrem Sonnen-
schirmchen Figuren in den Sand, der den Boden bedeckte.
Sie erinnerte sich nicht, im Nachlaß ihres Gatten Hut
und Stock gefunden zu haben, auch der Anzug fehlte, den
er auf dem Bilde trug.
Sie kannte diesen Anzug, Theodor hatte ihn kurz vor
seiner letzten Reise von seinem Schneider erhalten, sie selbst
war über die Eleganz dieses verhältnismäßig billigen An-
zuges entzückt gewesen. Sie begriff nicht, daß sie ihn nicht
sofort vermißt hatte, als ihr sein Nachlaß übergeben worden
war!
Und dennoch, welche Fragen sie sich auch vorlegen, welche
Antworten sie darauf auch finden mochte, das eine stand
fest: ihr Gatte war in jener Nacht aus dem Leben ge-
schieden, er schlummerte auf dem Friedhof unter den Blu-
men, mit denen sie seinen Hügel geschmückt hatte, darüber
konnte kein Zweifel obwalten!
Was nützte es, über diese Entdeckung nachzugrübeln!
Der Photograph mochte am Ende doch recht haben, daß
sie durch eine Aehnlichkeit sich täuschen ließ, die allerdings
rätselhaft war, immerhin aber in der Möglichkeit lag.
Das Bild lag neben ihr auf der Bank, sie wollte es
aus der Papierhülle nehmen, um es noch einmal zu be-
trachten, als eine bekannte Stimme plötzlich ihren Namen
nannte. (Fortsetzung solgt.j

Ketischdienst in China.
Einem Artikel des „North China Herald" nach zu urteilen, ist
der Fetischdienst in China sehr verbreitet. Wenige Meilen östlich
von Peking befindet sich ein enormer Baum, der vor mehr als
zweihundert Jahren gefallen und seither an derselben Stelle ge-
blieben ist. Zur Verehrung dieses Baumriesen, der den Namen
Götierbaum führt, ist ein Tempel errichtet worden, denn das
Volk glaubt, daß ein Geist in dem Baume oder doch wenigstens
in seiner Nähe Hause und aus Vorsicht verehrt werden müsse.
Tie ungeheure Größe des Baumes ist das Resultat der Energie
des Geistes, denn ohne die Gegenwart einer Gottheit wäre er
gewiß nicht so groß geworden. In Hantau, fünf oder sechs Tag-
reisen südlich von Peking, befinden sich in einem Brunnen einige
Eisenbarren. In Zeiten der Trockenheit werden sie nach Peking
befördert und um Regen angerufen, was in einem Tempel nach
dem andern so lange geschieht, bis Regen eintritt. Dann geleitet
man sie ehrfürchtig wieder nach Hantan zurück und läßt sie an
ihrer Stelle, bis man sie neuerdings braucht. In einem solchen
Falle glaubt der Chinese, daß ein mächtiger Geist oder Genius
in dem Brunnen wohnt und die Barren nach Peking und wieder
zurück begleitet. So sieht der FctischLienst der Gegenwart aus;
in den alten Büchern findet sich keine Spur eines solchen. Gegen-
stände der Verehrung waren entweder individuelle Geister oder
Naturobjekte. Die herrschenden Gewalten des Universums wurden
in vier große Klassen von Gottheiten eingeteilt: die untergeord-
neten himmlischen Mächte, die höheren irdischen und die zahllosen
Geister, welche Erde und Luft bevölkern. Die untergeordneten
himmlischen Mächte waren die Jahreszeiten, Sonne, Mond, Sterne,
Hitze und Kälte, Flut und Trockenheit. Die irdischen Mächte
bildeten die Gottheiten der Berge und Flüsse, und in die beiden
letztgenannten Klassen gehörten die übrigen Geister. Obwohl von
den menschlichen Geistern nichts gesagt wird, waren und sind sie
Gegenstand der Verehrung in den Tempeln der Vorfahren. Iw
letzteren Falle bestand die Verehrung nur im Knien, Beten und
Opsern.
 
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