406
„Hm, ich weiß nicht, wie ich diese Frage beantworten
soll," sagte Wurm, gedankenvoll vor sich hinschauend. „Jahre
sind verstrichen, seitdem ich Bursche des Herrn Baron von
Feldern gewesen bin —"
„In jener Zeit müssen Sie ihn doch sehr genau kennen
gelernt haben!"
„Das wohl, aber ich sah ihn stets nur in Uniform, und
jetzt trägt er einen bürgerlichen Anzug, Sie glauben nicht,
wie sehr die Zivilkleidung einen Offizier verändert."
„Na, ich habe doch den Lieutenant von Feldern in seiner
Zivilkleidung immer sofort erkannt!"
„Das war eine andere Sache, Sie haßten den Lieute-
nant und er kam in seinem Zivilanzuge zu Ihnen oder
vielmehr zu Ihrer Schwester, da mußten Sie ihn ja er-
kennen! Hat Fräulein Helene ihm nun wirklich ganz ent-
sagt?"
„Vollständig!" nickte Ganter. „Hugo Rocholl ist ein
guter Mensch, was er ihr an den Augen absehen kann, das
thut er, und sie hat ihn lieb."
„So rate ich ihm, bald zu heiraten!"
„Fürchten Sie, meine Schwester könne ihm wieder un-
treu werden? Ich für meine Person glaube nicht an diese
Gefahr, Helene hat ihre Erfahrungen gemacht, sie geht fort-
an der Versuchung aus dem Wege. Ich möchte auch nie-
mand raten, meinem zukünftigen Schwager ins Gehege
zu kommen, wo seine Fäuste hinfallen, da wächst so bald
kein Gras mehr. Mit dem Heiraten geht es nicht so rasch,
alter Freund, vorher muß für eine Aussteuer gesorgt werden,
es kann noch eine Weile dauern, ehe die beiden so viel er-
spart haben. Hatte der Baron kein äußeres Erkennungs-
zeichen? Zum Beispiel eine Narbe im Gesicht, oder —"
„Nein, ich erinnere mich eines solchen Erkennungszeichens
nicht," unterbrach Moritz Wurm ihn rasch; „weshalb for-
schen Sie so angelegentlich darnach? Glauben Sie denn
wirklich, jener Herr sei nicht der Baron Franz von Feldern?"
„Darüber kann ich nicht urteilen," erwiderte Ganter
scheinbar gleichgiltig, obgleich sein lauernder Blick wiederum
durchdringend das Antlitz des kleinen Mannes streifte, „ich
habe ja damals den Baron nicht gekannt! Ich meine nur,
er könne es nicht sein, weil er kein Herz für das Kind
hat."
„Nun ja, das ist allerdings verdächtig, aber es beweist
nichts," sagte Moritz Wurm gedankenvoll. „Es gibt viele
herzlose Menschen in der Welt!"
Sie hatten das Haus, in dem sie wohnten, erreicht,
langsam stiegen sie die Treppen hinauf, der kleine Mann
war so rasch gegangen, daß er mehrmals stehen bleiben
mußte, um nach Atem zu ringen.
„Wenn das Kind stirbt, so bleibt ihm viel Ungemach
erspart und Fräulein Lenders ist von einer Last befreit,
die ihr mit jedem Jahre schwerer und drückender geworden
wäre," nahm Ganter wieder das Wort, „man könnte allen
Teilen dieses Ende nur wünschen."
„Eine Last, die man gerne trägt, drückt nicht so schwer,"
erwiderte Moritz Wurm, „der Tod des Kindes würde eine
große Lücke hinterlassen —"
„Die Sie ja ausfüllen können!"
„Ich?"
„Heiraten Sie Fräulein Lenders! Das Mädchen ist
zwar nicht mehr jung, aber noch immer hübsch und dabei
ein gutherziges Geschöpf, Sie werden's sicherlich nicht be-
reuen, denn Sie beide passen zusammen."
Ein wehmütiges Lächeln umspielte die Lippen des kleinen
Mannes, er schüttelte ablehnend das Haupt.
„Das ist leicht gesagt," antwortete er, „Sie vergessen
nur, daß Fräulein Minna eine bessere Erziehung erhalten
hat als ich und daß ich aus diesem Grunde ihr nicht ge-
nügen würde."
Er blieb stehen und nahm mit einem Kopfnicken von
seinem Begleiter Abschied, dann trat er auf den Fußspitzen
geräuschlos in das Zimmer Minnas.
Das Mädchen saß am Fenster und hielt das Antlitz
mit beiden Händen bedeckt, Thränen schimmerten in ihren
Augen, als sie zu dem Eintretenden aufschaute.
„Sie kommen zu spät, Moritz," sagte sie mit zitternder
Stimme, „das Kind ist tot, es starb in meinen Armen."
(Fortsetzung folgt.)
Elite bequeme Eroberung.
(Bild S. 4VI.)
Wiederum ist ein selbständiger, unabhängiger Staat von der
Landkarte verschwunden. Das hinterindischs Königreich Birma,
vormals Ava genannt, siel vor kurzem dem britischen Länderhunger
zum Opfer. Dasselbe umfaßte in früheren Zeiten das ganze
Thalgcbiet des mächtigen Jrawaddh, des Sittang und des Saluen.
Dieses einstige Birmanenreich, von dem wilden Jäger Alompra
in der zweiten Hälfte Les verflossenen Jahrhunderts Lurch glück-
liche Kriege zu gebietender Stellung auf der hinterindijchen Halb-
insel eniporgehoben, mußte den Schlägen unterliegen, welche im
Interesse ihres Handels die überlegene britische Macht ihm ver-
setzte. Bereits zweimal hat das in Indien eingenistete England
das benachbarte Königreich bekriegt, nämlich 1824—182s und 1852.
Damals, 1825, reichten Lie Grenzen Birmas im Süden und Süd-
osten bis Siam, im Osten bis China, fast bis Tonkin, und im
Westen, Süden und Nordwesten bis zu den indischen Besitzungen
Englands. Seit dem Jahre 1826, in welchem der König von
Birma im Vertrage von Handabo Assam, Arrakan, dann die Land-
schaften He, Tavoy und Tenasjerim an die ostindijche Gesellschaft
Sllustrirte Welt.
abtreten mußte, haben sich die Grenzverhältnisse dieses Reiches be-
deutend verschoben. Die Grenze nach den englischen Besitzungen
zu bildeten damals die Patkoigebirge, welche ziemlich zwischen dem
Brahmaputra und dem Jrawaddh sich hinziehen, und Birma er-
streckte sich nordwärts bis auf die Höhen des östlichen Himalaya,
das heißt bis in die Nachbarschaft Tibets. Allmälich wurden
aber die Birmanen durch die Singsu oder Kachyen, die Bewohner
jener nördlichen Gebiete, südwärts gedrängt, bis Las Königreich
etwa auf die Hälfte seines früheren Umfanges eingeschränkt war.
In unseren Tagen zahlten die Singfu nicht einmal inehr Tribut
nach der birmanischen Hauptstadt Mandalay. Von China, Tonkin
und Annam, sowie von Siam ward Birma durch ein Gebiet ge-
schieden, das, im Norden schmal, sich nach Süden bedeutend ver-
breitert. Im Norden desselben schieben sich noch Singfu zwischen
China und Birma, während weiter südwärts bis nach Siam völlig
unabhängige Schanstämme unter souveränen Fürsten wohnen.
Andererseits rissen die Kriege der Engländer jedesmal auch von
Süden her dem Reiche einen Fetzen los. Der zweite Krieg gegen
Birma, 1852, ging durch die Besitzergreifung oder, um ein nun
schon wieder in der Gunst der Zeitgenossen erblassendes Wort zu
gebrauchen, durch die Annexion von Pegu, das heißt des unteren
Jrawaddygebietes, zu Ende, so daß der Ubriggebliebene Rest, das
unabhängige Königreich Birma, auf das eigentliche Oberbirma be-
schränkt und vom Meere abgeschlossen, teils von den oben genannten
Singfu und Schon, teils von den indischen Besitzungen Englands
umgeben war.
Der nördliche Teil des Reiches ist wildes Gebirgsland, das
bis zu einer Höhe von 4500 Nieter ausstcigt, mit der Stadt Bhamo
am oberen Jrawaddh. Beträchtlich südlicher liegt an dem näm-
lichen Strome die eigentliche Reichshauptstadt Mandalay auf
sumpfigem Terrain und aus ineinandergeschobenen Vierecken be-
stehend. Im innersten Quadrat wohnte der König mit seiner
Familie und seinen Palastbeamten. Die äußere, durch große
Mauern von der innern abgeschlossene Stadt wird von den Kauf-
leuten, Handwerkern und Aerzten bewohnt. Die Gesamtbevölle-
rung Mandalays schätzt man aus 100,000 Köpfe. Den Haupt-
bestandteil der Landesbevölkerung bilden die buddhistischen Birmanen;
ihre Sprache ist einsilbig und ihre Schriftzeichen haben eine runde
Gestalt. Bei diesem Volke ist das Tättowiren noch immer im
Schwange. Die Kleidung besteht aus einem breiten Baumwoll-
tuche, das um die Hüften geschlagen wird. Polygamie ist zwar
gesetzlich erlaubt, kommt aber selten vor. Die Birmanen rechnen
nach Mondjahren und beginnen das Jahr mit dem April. Mit
dem achten oder neunten Jahre treten die Knaben in Klöster ein,
um dort dürftigen Schulunterricht zu genießen; für die Mädchen
fehlen alle Unterrichtsanstalten. Die Toten werden, wenn Lie
Nüttel es gestatten, feierlich verbrannt, die Armen beerdigt oder
in das Wasser geworfen. Musik und Schauspiel sind sehr beliebt;
die Birmanen sind auch leidenschaftliche Opiumraucher. Dem
Charakter nach gelten sie als höflich und gastfrei, aber auch als
unzuverlässig, lügnerisch und treulos. Die Regierung war natürlich
völlig despotisch und auf Leibeigenschaft aufgebaut. Seine gold-
sllßige Majestät war der unbedingte Gebieter des Landes, des
Besitztums und Lebens seiner Unterthanen. „Sklave des Königs"
war ein Ehrentitel; sämtliche Töchter des Landes standen, sobald
er es wünschte, zu seiner Verfügung. So lautete seine und feines
Volkes Ueberzeugung. Kein Beamter erhielt einen festen Gehalt,
sondern den höheren ward Land und ein Teil der Bewohner zu-
gewiesen, Lie anderen erhielten Lehen, Sporteln und dergleichen.
Die Rechtsprechung war sehr mangelhaft, Lie Leibesstrasen grau-
sam und raffinirt, das Volk in jeder erdenklichen Weise ausgesogen.
Alle Männer zwischen dem siebenzehnten und sechzigsten Lebens-
jahre waren zum Kriegsdienste verpflichtet. Die gewerbliche Thätig-
teit der Birmanen ist ziemlich entwickelt, besonders die Fabrikation
von Glocken, Waffen, Papierwaren, Holzschnitzereien, wie auch von
Baumwollen- und Leinenweberei. Gold, Blei und Marmor, auch
Bernstein und ausgezeichnete Edelsteine, Rubinen, Saphire, purpur-
rote Amethyste und Topase, oft von außerordentlicher Größe, werden
in Birma gewonnen und wanderten meist in den königlichen Schatz.
Reich ist der Ertrag des Erdöls. Obst und Gemüse aller Art
werden gezogen, dagegen steht der Ackerbau auf niedriger Stufe
und ist Viehzucht, weil der Buddhismus den Genuß von Fleisch-
speisen verbielet, gar nicht vorhanden; man hält bloß Zug- und
Lastvieh und andere Haustiere. Tie Hauptaussuhr des Landes
besteht aus Thee, Leder und Edelsteinen, Lie Haupteinsuhr aus
Baumwolle, Seide, Tuch, Stahl, Pulver, Waffen und Reis.
Seitdem nun England in Pegu sich festgesetzt und diese Provinz
unter dem Namen Britisch-Birma seinen indischen Besitzungen ein-
verleibt hatte, warf es auch begehrliche Blicke auf den unabhängig
gebliebenen Teil des Jrawadoythales. Mit Rücksicht aus seine
eigene neue Provinz, wie im Interesse Vorderindiens, das heißt
in seinem (Englands) Interesse, verlangten Lie Briten, daß auch
das Hinterland, das noch unabhängige Birma, ihnen erschlossen
werde. Seinen Urgrund hatte dieses Begehren in dem Bemühen
der Engländer, einen Ucberlandweg für den Handel durch Birma
nach dem im Norden Hinterindiens sich emportürmcnden jüdchine-
sijchen Alpenlande zu erschließen. Dort liegt das zum himmlischen
Reiche gehörende Hünnan, weiterhin die reichen Provinzen Kweitschu
und Kuangsi. Birma unterbindet nun den Handel zwischen den
östlichen Provinzen Indiens und dem gewaltigen chinesischen Reiche,
von dessen Erschließung sich die englische Handelswelt goldene Berge
verspricht. Ties bildete den Kern der seit lange schwebenden
englisch-birmanischen „Frage". Was die Briten überall suchen,
ist bloß ein Vorwand, eine Handhabe zur Einmischung in die
Angelegenheit der begehrten Länder; bietet ihnen sich diese, so
folgt der Rest, Las heißt Las Vcrschlungenwerden von dem eng-
lischen Weltreiche, in längerer oder kürzerer Frist ganz von selbst.
Lv gespannt die Verhältnisse zwischen England und Birma auch
blieben, so kam es doch zu keinem vollständigen Bruche, so lange
König Munglon lebte. Als dieser aber am 2. Oktober 1878, wie
die offizielle Nachricht besagte, sehr wahrscheinlich aber schon am
11. September in seinem Palaste verschieden war, setzte sich die
Partei des Thi-Bo, das heißt des „Thronfolgers", in Besitz der
Macht und dieser bestieg den Thron unter Versprechungen einer
höchst konstitutionellen Regierung. Im Februar 1879 ward aber
plötzlich Europa durch die Mitteilung überrascht, daß der junge
König alle gefährlich scheinenden Glieder der königlichen Familie
und Les Hosstaates habe ermorden lassen. An hundert Personen
wurden hingeschlachtet. England machte Vorstellungen, sein Ver-
treter wurde aber verhöhnt und fand es rötlich, vor den drohend
aufsteigenden Gefahren, welche eine ähnliche Katastrophe wie in
Kabul besorgen ließen, im September 1879 die birmanische Resi-
denz zu verlassen. Der italienische Konsul übernahm die Ver-
tretung der englischen Staatsangehörigen. Auch der französische
Bischof für Birma blieb in Mandalay. Die Lage ward sehr
gespannt, doch kam es auch diesmal trotz gegenseitiger Truppen-
aufstellungen an den Grenzen zu keinem Bruche. Als aber Birma
seit 1883 in der äußeren Politik Anlehnung an Frankreich suchte
und im Januar 1885 seinen Abgesandten in Paris der Abschluß
eines neuen Handels- und Freundschaftsvertrages gelang, da er-
klärten die Engländer, irgend einer europäischen Macht zu gestatten,
politischen Einfluß in Mandalay zu erlangen, — wie Frankreich nicht
übel Lust zeigte — würde so viel bedeuten, als sie innerhalb ihrer
eigenen Citaoelle festen Fuß fassen zu lassen. Es galt also, rasch
zu handeln. Zudem hat sich China unter englischem Einflüsse ent-
schlossen, zum Eisenbahnbau überzugehen. Läge Birma nicht im
Wege, so könnte der englische Handel seine ehernen Fangarme un-
gehindert bis in das himmlische Reich ausstrecken. Also mußte
Birma fallen und cs handelte sich bloß noch darum, einen passen-
den Vorwand für einen neuen Raubzug zu finden.
Einen solchen lieferte der unkluge König gar bald, indem er
1885 die Forste der Bombay and Burma Trading Company be-
schlagnahmte, weil sich die Gesellschaft weigerte, eine Schuld von
etwa sieben Millionen Mark zu bezahlen. Diese Verfügung stützte
sich auf das Erkenntnis eines birmanischen Gerichtshofes. Die
indische Regierung focht nun die Gesetzlichkeit des gerichtlichen Ver-
fahrens aus dem Grunde an, weil in Gemäßheit eines zwischen
England und Birma abgeschlossenen Vertrages die streitige An-
gelegenheit einem gemischten Gerichte hätte unterbreitet werden sollen.
Sie schlug daher vor, die ganze Angelegenheit einem Schieds-
gericht vorzulegen, was die birmanische Regierung jedoch mit der
Erklärung ablehnte, daß die Verordnung gegen die Gesellschaft
ohne Verzug in Kraft gesetzt würde. Ties war ein genügender
Vorwand zum Kriege, der übrigens Lurch Schilderungen von der
Grausamkeit und dem Wahnsinne Les birmanischen Monarchen in
üppigster Weise umkleidet wurde. Der trotzigen Antwort Birmas
folgte indischerseits das unvermeidliche Ultimatum, in welchem
kategorisch erklärt ward, Laß die Inkraftsetzung des Dekrets als
eine Kriegserklärung betrachtet würde. Mittels Expreßdampsers
ging dasselbe am 20. Oktober von Rangun nach Mandalay ab.
Die meisten englischen Blätter empfahlen, nicht viel Federlesens
mit dem birmanischen Fürsten zu machen, ihn zu entthronen und
sein Land zu annektiren, wenn kein besserer Herrscher gefunden
werden könne. Lord Ripon, der frühere Vizekönig von Indien,
riet allerdings von einer förmlichen Annexion Les Landes ab, da
seiner Ansicht nach zwischen China und Indien besser ein Busser
in der Gestalt eines unabhängigen Staates existiren sollte, aber
wer England kennt, gab nur wenig auf solche Worte und der edle
Lord selbst kam sehr bald von feiner Meinung zurück.
Mittlerweile wurden beiderseits militärische Maßnahmen ge-
troffen. In Birma wurde jeder verfügbare bewaffnete Mann ein-
berufen und im ganzen Lande herrschte im Herbst 1885 eine feind-
selige Stimmung gegen alle Ausländer. In der birmanischen
Regierung waren zwei sich widerstrebende Elemente vorhanden: die
Partei des Fortschrittes mit dem Premierminister an der Spitze,
deren Streben darauf ausging, das Land zu entwickeln und freund-
liche Beziehung mit dem zivilisirten Auslände zu pflegen, und die
Partei, welche die Einführung der westlichen Zivilisation bekämpfte.
Am 5. November lief die für die birmanische Antwort auf Las
englische Ultimatum gewährte Frist ab. Bis zum 10. mußte
dieselbe also in Rangun cintreffen, um den Ausbruch der Feind-
seligkeiten zu verhüten. Sie langte auch rechtzeitig an in Gestalt
eines langen Schriftstückes. Anstatt aber eine vollständige An-
nahme der englischen Bedingungen zu enthalten, lautete ihr Inhalt
unbefriedigend und feindlich. Auf die freilich für einen unab-
hängigen Staat ebenso unannehmbare als beleidigende Forderung
der Briten, die auswärtigen Beziehungen Birmas zu kontrolliren,
antwortete der König, daß er zuvor die befreundeten Mächte Deutsch-
land, Frankreich und Italien zu Rate ziehen müsse. Es läßt sich
Lenken, wie wenig eine solche Antwort Len Engländern entsprach,
welche durch ihre unverschämte Forderung Len französischen Einfluß
in Mandalay lahm zu legen bezweckten und nunmehr auch die er-
haltene Antwort dem Rate des dortigen französischen Konsuls
Haas zuschrieben. Angesichts ihres so unbefriedigenden Inhaltes
überschritt die unterdessen vorbereitete britische Expedition ohne
Verzug die Grenze. Der zum Befehlshaber ernannte General-
major Prendergast hat sich im persischen Kriege, sowie während
des Scpoyausstandcs in Indien vielfach ausgezeichnet. Auch hat
er den Feldzug gegen Abessinien mitgemacht und sich an der Ein-
nahme von Magdala beteiligt. Der bevorstehende Feldzug gegen
Birma bot freilich keine Gelegenheit zu neuen Lorbeeren. Wohl
aber beuteten englische Kaufleuie die Lage aus; sie schossen dem
Birmanenkönige zu ganz unerfüllbaren Bedingungen hohe Summen
vor in der fast offen ausgesprochenen Absicht, diese Summen nach
der Einverleibung mir Helfe des englischen Staatssäckels wieder
zurückzuerhalten!
Die britischen Truppen versammelten sich zu Thayetmyo, dem
letzten Orte von einiger Bedeutung innerhalb des briteschcn Ge-
bietes, und bewegten sich im Jrawaddythale aufwärts. Aue 20. No-
vember nahm Lie Flottenbrigade die birmanische «taüt Magwe
nach schwachem Widerstande und machte drei der italienischen
Techniker zu Gefangenen, welchen die Birmanen ihre Kriegsvor-
bereitungen anvertraut hatten. Am 23. langte Las Geschwader
in Dalay an, ohne auf Widerstand zu stoßen. Vier Vizekommissäre
und vier Gehilfin wurden ernannt, um die Verwaltung des Landes
zu übernehmen. Mit Ausnahme eines Gefechtes bei dem »er-
schau >ten Orte Myngyae konnten Lie Engländer ungehindert in
diesem rühmlosen Feldzüge bis Mandalay vordringen; der König
sandte ihnen Parlamentäre entgegen, um einen Waffenstillstand zu
erbitten. Prendergast forderte bedingungslose Unterwerfung des
Königs selber, seiner Armee, des ganzen Landes und Uebergabe
der gesamten Kriegsmunition. Nachdem diese vernichtenden Be-
dingungen zugcstanüen worden, landeten am 28. November die
britischen Truppeei lediglich zu dein Zwecke, die birmanischen Werke
zu besetzen, anstatt sie anzugreifen. Der König selbst ward gleich-
falls in seinem Palaste gefangen genommen. Nicht anders wenig-
stens ist es zu verstehen, wenn es heißt, daß am 29. November
1885 der König sich in Gegenwart seiner Minister an General
Prendergast überlieferte. Der letzte der Alompra hatte ausgehört
zu regieren. Seine Majestät bat dringend, daß ihm noch een
weiterer Tag seiner Freiheit erlaubt weroe, General Prendergast
lehnte aber das Gesuch ab und verlangte, daß sich der König neu
seinen zwei Frauen, seiner Familie und Schwiegermutter unver-
züglich an Bord begebe. Die Truppen standen in Reih und Glied
„Hm, ich weiß nicht, wie ich diese Frage beantworten
soll," sagte Wurm, gedankenvoll vor sich hinschauend. „Jahre
sind verstrichen, seitdem ich Bursche des Herrn Baron von
Feldern gewesen bin —"
„In jener Zeit müssen Sie ihn doch sehr genau kennen
gelernt haben!"
„Das wohl, aber ich sah ihn stets nur in Uniform, und
jetzt trägt er einen bürgerlichen Anzug, Sie glauben nicht,
wie sehr die Zivilkleidung einen Offizier verändert."
„Na, ich habe doch den Lieutenant von Feldern in seiner
Zivilkleidung immer sofort erkannt!"
„Das war eine andere Sache, Sie haßten den Lieute-
nant und er kam in seinem Zivilanzuge zu Ihnen oder
vielmehr zu Ihrer Schwester, da mußten Sie ihn ja er-
kennen! Hat Fräulein Helene ihm nun wirklich ganz ent-
sagt?"
„Vollständig!" nickte Ganter. „Hugo Rocholl ist ein
guter Mensch, was er ihr an den Augen absehen kann, das
thut er, und sie hat ihn lieb."
„So rate ich ihm, bald zu heiraten!"
„Fürchten Sie, meine Schwester könne ihm wieder un-
treu werden? Ich für meine Person glaube nicht an diese
Gefahr, Helene hat ihre Erfahrungen gemacht, sie geht fort-
an der Versuchung aus dem Wege. Ich möchte auch nie-
mand raten, meinem zukünftigen Schwager ins Gehege
zu kommen, wo seine Fäuste hinfallen, da wächst so bald
kein Gras mehr. Mit dem Heiraten geht es nicht so rasch,
alter Freund, vorher muß für eine Aussteuer gesorgt werden,
es kann noch eine Weile dauern, ehe die beiden so viel er-
spart haben. Hatte der Baron kein äußeres Erkennungs-
zeichen? Zum Beispiel eine Narbe im Gesicht, oder —"
„Nein, ich erinnere mich eines solchen Erkennungszeichens
nicht," unterbrach Moritz Wurm ihn rasch; „weshalb for-
schen Sie so angelegentlich darnach? Glauben Sie denn
wirklich, jener Herr sei nicht der Baron Franz von Feldern?"
„Darüber kann ich nicht urteilen," erwiderte Ganter
scheinbar gleichgiltig, obgleich sein lauernder Blick wiederum
durchdringend das Antlitz des kleinen Mannes streifte, „ich
habe ja damals den Baron nicht gekannt! Ich meine nur,
er könne es nicht sein, weil er kein Herz für das Kind
hat."
„Nun ja, das ist allerdings verdächtig, aber es beweist
nichts," sagte Moritz Wurm gedankenvoll. „Es gibt viele
herzlose Menschen in der Welt!"
Sie hatten das Haus, in dem sie wohnten, erreicht,
langsam stiegen sie die Treppen hinauf, der kleine Mann
war so rasch gegangen, daß er mehrmals stehen bleiben
mußte, um nach Atem zu ringen.
„Wenn das Kind stirbt, so bleibt ihm viel Ungemach
erspart und Fräulein Lenders ist von einer Last befreit,
die ihr mit jedem Jahre schwerer und drückender geworden
wäre," nahm Ganter wieder das Wort, „man könnte allen
Teilen dieses Ende nur wünschen."
„Eine Last, die man gerne trägt, drückt nicht so schwer,"
erwiderte Moritz Wurm, „der Tod des Kindes würde eine
große Lücke hinterlassen —"
„Die Sie ja ausfüllen können!"
„Ich?"
„Heiraten Sie Fräulein Lenders! Das Mädchen ist
zwar nicht mehr jung, aber noch immer hübsch und dabei
ein gutherziges Geschöpf, Sie werden's sicherlich nicht be-
reuen, denn Sie beide passen zusammen."
Ein wehmütiges Lächeln umspielte die Lippen des kleinen
Mannes, er schüttelte ablehnend das Haupt.
„Das ist leicht gesagt," antwortete er, „Sie vergessen
nur, daß Fräulein Minna eine bessere Erziehung erhalten
hat als ich und daß ich aus diesem Grunde ihr nicht ge-
nügen würde."
Er blieb stehen und nahm mit einem Kopfnicken von
seinem Begleiter Abschied, dann trat er auf den Fußspitzen
geräuschlos in das Zimmer Minnas.
Das Mädchen saß am Fenster und hielt das Antlitz
mit beiden Händen bedeckt, Thränen schimmerten in ihren
Augen, als sie zu dem Eintretenden aufschaute.
„Sie kommen zu spät, Moritz," sagte sie mit zitternder
Stimme, „das Kind ist tot, es starb in meinen Armen."
(Fortsetzung folgt.)
Elite bequeme Eroberung.
(Bild S. 4VI.)
Wiederum ist ein selbständiger, unabhängiger Staat von der
Landkarte verschwunden. Das hinterindischs Königreich Birma,
vormals Ava genannt, siel vor kurzem dem britischen Länderhunger
zum Opfer. Dasselbe umfaßte in früheren Zeiten das ganze
Thalgcbiet des mächtigen Jrawaddh, des Sittang und des Saluen.
Dieses einstige Birmanenreich, von dem wilden Jäger Alompra
in der zweiten Hälfte Les verflossenen Jahrhunderts Lurch glück-
liche Kriege zu gebietender Stellung auf der hinterindijchen Halb-
insel eniporgehoben, mußte den Schlägen unterliegen, welche im
Interesse ihres Handels die überlegene britische Macht ihm ver-
setzte. Bereits zweimal hat das in Indien eingenistete England
das benachbarte Königreich bekriegt, nämlich 1824—182s und 1852.
Damals, 1825, reichten Lie Grenzen Birmas im Süden und Süd-
osten bis Siam, im Osten bis China, fast bis Tonkin, und im
Westen, Süden und Nordwesten bis zu den indischen Besitzungen
Englands. Seit dem Jahre 1826, in welchem der König von
Birma im Vertrage von Handabo Assam, Arrakan, dann die Land-
schaften He, Tavoy und Tenasjerim an die ostindijche Gesellschaft
Sllustrirte Welt.
abtreten mußte, haben sich die Grenzverhältnisse dieses Reiches be-
deutend verschoben. Die Grenze nach den englischen Besitzungen
zu bildeten damals die Patkoigebirge, welche ziemlich zwischen dem
Brahmaputra und dem Jrawaddh sich hinziehen, und Birma er-
streckte sich nordwärts bis auf die Höhen des östlichen Himalaya,
das heißt bis in die Nachbarschaft Tibets. Allmälich wurden
aber die Birmanen durch die Singsu oder Kachyen, die Bewohner
jener nördlichen Gebiete, südwärts gedrängt, bis Las Königreich
etwa auf die Hälfte seines früheren Umfanges eingeschränkt war.
In unseren Tagen zahlten die Singfu nicht einmal inehr Tribut
nach der birmanischen Hauptstadt Mandalay. Von China, Tonkin
und Annam, sowie von Siam ward Birma durch ein Gebiet ge-
schieden, das, im Norden schmal, sich nach Süden bedeutend ver-
breitert. Im Norden desselben schieben sich noch Singfu zwischen
China und Birma, während weiter südwärts bis nach Siam völlig
unabhängige Schanstämme unter souveränen Fürsten wohnen.
Andererseits rissen die Kriege der Engländer jedesmal auch von
Süden her dem Reiche einen Fetzen los. Der zweite Krieg gegen
Birma, 1852, ging durch die Besitzergreifung oder, um ein nun
schon wieder in der Gunst der Zeitgenossen erblassendes Wort zu
gebrauchen, durch die Annexion von Pegu, das heißt des unteren
Jrawaddygebietes, zu Ende, so daß der Ubriggebliebene Rest, das
unabhängige Königreich Birma, auf das eigentliche Oberbirma be-
schränkt und vom Meere abgeschlossen, teils von den oben genannten
Singfu und Schon, teils von den indischen Besitzungen Englands
umgeben war.
Der nördliche Teil des Reiches ist wildes Gebirgsland, das
bis zu einer Höhe von 4500 Nieter ausstcigt, mit der Stadt Bhamo
am oberen Jrawaddh. Beträchtlich südlicher liegt an dem näm-
lichen Strome die eigentliche Reichshauptstadt Mandalay auf
sumpfigem Terrain und aus ineinandergeschobenen Vierecken be-
stehend. Im innersten Quadrat wohnte der König mit seiner
Familie und seinen Palastbeamten. Die äußere, durch große
Mauern von der innern abgeschlossene Stadt wird von den Kauf-
leuten, Handwerkern und Aerzten bewohnt. Die Gesamtbevölle-
rung Mandalays schätzt man aus 100,000 Köpfe. Den Haupt-
bestandteil der Landesbevölkerung bilden die buddhistischen Birmanen;
ihre Sprache ist einsilbig und ihre Schriftzeichen haben eine runde
Gestalt. Bei diesem Volke ist das Tättowiren noch immer im
Schwange. Die Kleidung besteht aus einem breiten Baumwoll-
tuche, das um die Hüften geschlagen wird. Polygamie ist zwar
gesetzlich erlaubt, kommt aber selten vor. Die Birmanen rechnen
nach Mondjahren und beginnen das Jahr mit dem April. Mit
dem achten oder neunten Jahre treten die Knaben in Klöster ein,
um dort dürftigen Schulunterricht zu genießen; für die Mädchen
fehlen alle Unterrichtsanstalten. Die Toten werden, wenn Lie
Nüttel es gestatten, feierlich verbrannt, die Armen beerdigt oder
in das Wasser geworfen. Musik und Schauspiel sind sehr beliebt;
die Birmanen sind auch leidenschaftliche Opiumraucher. Dem
Charakter nach gelten sie als höflich und gastfrei, aber auch als
unzuverlässig, lügnerisch und treulos. Die Regierung war natürlich
völlig despotisch und auf Leibeigenschaft aufgebaut. Seine gold-
sllßige Majestät war der unbedingte Gebieter des Landes, des
Besitztums und Lebens seiner Unterthanen. „Sklave des Königs"
war ein Ehrentitel; sämtliche Töchter des Landes standen, sobald
er es wünschte, zu seiner Verfügung. So lautete seine und feines
Volkes Ueberzeugung. Kein Beamter erhielt einen festen Gehalt,
sondern den höheren ward Land und ein Teil der Bewohner zu-
gewiesen, Lie anderen erhielten Lehen, Sporteln und dergleichen.
Die Rechtsprechung war sehr mangelhaft, Lie Leibesstrasen grau-
sam und raffinirt, das Volk in jeder erdenklichen Weise ausgesogen.
Alle Männer zwischen dem siebenzehnten und sechzigsten Lebens-
jahre waren zum Kriegsdienste verpflichtet. Die gewerbliche Thätig-
teit der Birmanen ist ziemlich entwickelt, besonders die Fabrikation
von Glocken, Waffen, Papierwaren, Holzschnitzereien, wie auch von
Baumwollen- und Leinenweberei. Gold, Blei und Marmor, auch
Bernstein und ausgezeichnete Edelsteine, Rubinen, Saphire, purpur-
rote Amethyste und Topase, oft von außerordentlicher Größe, werden
in Birma gewonnen und wanderten meist in den königlichen Schatz.
Reich ist der Ertrag des Erdöls. Obst und Gemüse aller Art
werden gezogen, dagegen steht der Ackerbau auf niedriger Stufe
und ist Viehzucht, weil der Buddhismus den Genuß von Fleisch-
speisen verbielet, gar nicht vorhanden; man hält bloß Zug- und
Lastvieh und andere Haustiere. Tie Hauptaussuhr des Landes
besteht aus Thee, Leder und Edelsteinen, Lie Haupteinsuhr aus
Baumwolle, Seide, Tuch, Stahl, Pulver, Waffen und Reis.
Seitdem nun England in Pegu sich festgesetzt und diese Provinz
unter dem Namen Britisch-Birma seinen indischen Besitzungen ein-
verleibt hatte, warf es auch begehrliche Blicke auf den unabhängig
gebliebenen Teil des Jrawadoythales. Mit Rücksicht aus seine
eigene neue Provinz, wie im Interesse Vorderindiens, das heißt
in seinem (Englands) Interesse, verlangten Lie Briten, daß auch
das Hinterland, das noch unabhängige Birma, ihnen erschlossen
werde. Seinen Urgrund hatte dieses Begehren in dem Bemühen
der Engländer, einen Ucberlandweg für den Handel durch Birma
nach dem im Norden Hinterindiens sich emportürmcnden jüdchine-
sijchen Alpenlande zu erschließen. Dort liegt das zum himmlischen
Reiche gehörende Hünnan, weiterhin die reichen Provinzen Kweitschu
und Kuangsi. Birma unterbindet nun den Handel zwischen den
östlichen Provinzen Indiens und dem gewaltigen chinesischen Reiche,
von dessen Erschließung sich die englische Handelswelt goldene Berge
verspricht. Ties bildete den Kern der seit lange schwebenden
englisch-birmanischen „Frage". Was die Briten überall suchen,
ist bloß ein Vorwand, eine Handhabe zur Einmischung in die
Angelegenheit der begehrten Länder; bietet ihnen sich diese, so
folgt der Rest, Las heißt Las Vcrschlungenwerden von dem eng-
lischen Weltreiche, in längerer oder kürzerer Frist ganz von selbst.
Lv gespannt die Verhältnisse zwischen England und Birma auch
blieben, so kam es doch zu keinem vollständigen Bruche, so lange
König Munglon lebte. Als dieser aber am 2. Oktober 1878, wie
die offizielle Nachricht besagte, sehr wahrscheinlich aber schon am
11. September in seinem Palaste verschieden war, setzte sich die
Partei des Thi-Bo, das heißt des „Thronfolgers", in Besitz der
Macht und dieser bestieg den Thron unter Versprechungen einer
höchst konstitutionellen Regierung. Im Februar 1879 ward aber
plötzlich Europa durch die Mitteilung überrascht, daß der junge
König alle gefährlich scheinenden Glieder der königlichen Familie
und Les Hosstaates habe ermorden lassen. An hundert Personen
wurden hingeschlachtet. England machte Vorstellungen, sein Ver-
treter wurde aber verhöhnt und fand es rötlich, vor den drohend
aufsteigenden Gefahren, welche eine ähnliche Katastrophe wie in
Kabul besorgen ließen, im September 1879 die birmanische Resi-
denz zu verlassen. Der italienische Konsul übernahm die Ver-
tretung der englischen Staatsangehörigen. Auch der französische
Bischof für Birma blieb in Mandalay. Die Lage ward sehr
gespannt, doch kam es auch diesmal trotz gegenseitiger Truppen-
aufstellungen an den Grenzen zu keinem Bruche. Als aber Birma
seit 1883 in der äußeren Politik Anlehnung an Frankreich suchte
und im Januar 1885 seinen Abgesandten in Paris der Abschluß
eines neuen Handels- und Freundschaftsvertrages gelang, da er-
klärten die Engländer, irgend einer europäischen Macht zu gestatten,
politischen Einfluß in Mandalay zu erlangen, — wie Frankreich nicht
übel Lust zeigte — würde so viel bedeuten, als sie innerhalb ihrer
eigenen Citaoelle festen Fuß fassen zu lassen. Es galt also, rasch
zu handeln. Zudem hat sich China unter englischem Einflüsse ent-
schlossen, zum Eisenbahnbau überzugehen. Läge Birma nicht im
Wege, so könnte der englische Handel seine ehernen Fangarme un-
gehindert bis in das himmlische Reich ausstrecken. Also mußte
Birma fallen und cs handelte sich bloß noch darum, einen passen-
den Vorwand für einen neuen Raubzug zu finden.
Einen solchen lieferte der unkluge König gar bald, indem er
1885 die Forste der Bombay and Burma Trading Company be-
schlagnahmte, weil sich die Gesellschaft weigerte, eine Schuld von
etwa sieben Millionen Mark zu bezahlen. Diese Verfügung stützte
sich auf das Erkenntnis eines birmanischen Gerichtshofes. Die
indische Regierung focht nun die Gesetzlichkeit des gerichtlichen Ver-
fahrens aus dem Grunde an, weil in Gemäßheit eines zwischen
England und Birma abgeschlossenen Vertrages die streitige An-
gelegenheit einem gemischten Gerichte hätte unterbreitet werden sollen.
Sie schlug daher vor, die ganze Angelegenheit einem Schieds-
gericht vorzulegen, was die birmanische Regierung jedoch mit der
Erklärung ablehnte, daß die Verordnung gegen die Gesellschaft
ohne Verzug in Kraft gesetzt würde. Ties war ein genügender
Vorwand zum Kriege, der übrigens Lurch Schilderungen von der
Grausamkeit und dem Wahnsinne Les birmanischen Monarchen in
üppigster Weise umkleidet wurde. Der trotzigen Antwort Birmas
folgte indischerseits das unvermeidliche Ultimatum, in welchem
kategorisch erklärt ward, Laß die Inkraftsetzung des Dekrets als
eine Kriegserklärung betrachtet würde. Mittels Expreßdampsers
ging dasselbe am 20. Oktober von Rangun nach Mandalay ab.
Die meisten englischen Blätter empfahlen, nicht viel Federlesens
mit dem birmanischen Fürsten zu machen, ihn zu entthronen und
sein Land zu annektiren, wenn kein besserer Herrscher gefunden
werden könne. Lord Ripon, der frühere Vizekönig von Indien,
riet allerdings von einer förmlichen Annexion Les Landes ab, da
seiner Ansicht nach zwischen China und Indien besser ein Busser
in der Gestalt eines unabhängigen Staates existiren sollte, aber
wer England kennt, gab nur wenig auf solche Worte und der edle
Lord selbst kam sehr bald von feiner Meinung zurück.
Mittlerweile wurden beiderseits militärische Maßnahmen ge-
troffen. In Birma wurde jeder verfügbare bewaffnete Mann ein-
berufen und im ganzen Lande herrschte im Herbst 1885 eine feind-
selige Stimmung gegen alle Ausländer. In der birmanischen
Regierung waren zwei sich widerstrebende Elemente vorhanden: die
Partei des Fortschrittes mit dem Premierminister an der Spitze,
deren Streben darauf ausging, das Land zu entwickeln und freund-
liche Beziehung mit dem zivilisirten Auslände zu pflegen, und die
Partei, welche die Einführung der westlichen Zivilisation bekämpfte.
Am 5. November lief die für die birmanische Antwort auf Las
englische Ultimatum gewährte Frist ab. Bis zum 10. mußte
dieselbe also in Rangun cintreffen, um den Ausbruch der Feind-
seligkeiten zu verhüten. Sie langte auch rechtzeitig an in Gestalt
eines langen Schriftstückes. Anstatt aber eine vollständige An-
nahme der englischen Bedingungen zu enthalten, lautete ihr Inhalt
unbefriedigend und feindlich. Auf die freilich für einen unab-
hängigen Staat ebenso unannehmbare als beleidigende Forderung
der Briten, die auswärtigen Beziehungen Birmas zu kontrolliren,
antwortete der König, daß er zuvor die befreundeten Mächte Deutsch-
land, Frankreich und Italien zu Rate ziehen müsse. Es läßt sich
Lenken, wie wenig eine solche Antwort Len Engländern entsprach,
welche durch ihre unverschämte Forderung Len französischen Einfluß
in Mandalay lahm zu legen bezweckten und nunmehr auch die er-
haltene Antwort dem Rate des dortigen französischen Konsuls
Haas zuschrieben. Angesichts ihres so unbefriedigenden Inhaltes
überschritt die unterdessen vorbereitete britische Expedition ohne
Verzug die Grenze. Der zum Befehlshaber ernannte General-
major Prendergast hat sich im persischen Kriege, sowie während
des Scpoyausstandcs in Indien vielfach ausgezeichnet. Auch hat
er den Feldzug gegen Abessinien mitgemacht und sich an der Ein-
nahme von Magdala beteiligt. Der bevorstehende Feldzug gegen
Birma bot freilich keine Gelegenheit zu neuen Lorbeeren. Wohl
aber beuteten englische Kaufleuie die Lage aus; sie schossen dem
Birmanenkönige zu ganz unerfüllbaren Bedingungen hohe Summen
vor in der fast offen ausgesprochenen Absicht, diese Summen nach
der Einverleibung mir Helfe des englischen Staatssäckels wieder
zurückzuerhalten!
Die britischen Truppen versammelten sich zu Thayetmyo, dem
letzten Orte von einiger Bedeutung innerhalb des briteschcn Ge-
bietes, und bewegten sich im Jrawaddythale aufwärts. Aue 20. No-
vember nahm Lie Flottenbrigade die birmanische «taüt Magwe
nach schwachem Widerstande und machte drei der italienischen
Techniker zu Gefangenen, welchen die Birmanen ihre Kriegsvor-
bereitungen anvertraut hatten. Am 23. langte Las Geschwader
in Dalay an, ohne auf Widerstand zu stoßen. Vier Vizekommissäre
und vier Gehilfin wurden ernannt, um die Verwaltung des Landes
zu übernehmen. Mit Ausnahme eines Gefechtes bei dem »er-
schau >ten Orte Myngyae konnten Lie Engländer ungehindert in
diesem rühmlosen Feldzüge bis Mandalay vordringen; der König
sandte ihnen Parlamentäre entgegen, um einen Waffenstillstand zu
erbitten. Prendergast forderte bedingungslose Unterwerfung des
Königs selber, seiner Armee, des ganzen Landes und Uebergabe
der gesamten Kriegsmunition. Nachdem diese vernichtenden Be-
dingungen zugcstanüen worden, landeten am 28. November die
britischen Truppeei lediglich zu dein Zwecke, die birmanischen Werke
zu besetzen, anstatt sie anzugreifen. Der König selbst ward gleich-
falls in seinem Palaste gefangen genommen. Nicht anders wenig-
stens ist es zu verstehen, wenn es heißt, daß am 29. November
1885 der König sich in Gegenwart seiner Minister an General
Prendergast überlieferte. Der letzte der Alompra hatte ausgehört
zu regieren. Seine Majestät bat dringend, daß ihm noch een
weiterer Tag seiner Freiheit erlaubt weroe, General Prendergast
lehnte aber das Gesuch ab und verlangte, daß sich der König neu
seinen zwei Frauen, seiner Familie und Schwiegermutter unver-
züglich an Bord begebe. Die Truppen standen in Reih und Glied