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-M LchluMrrWzM Jahrgang. W


M Stuttgart, VriWg, Rrrtin, Wien. W—

Die Grundmühle.
Hrimmalroman von Iriedrich Jacobsen.
—(Fortsetzung.)
s lag eine gewisse Spannung im Blick des
Revierförsters, eine Erwartung, als müsse
der Mann da hinter dem Gerichtstisch eine
Spur gefunden ha-
ben, die er, der Berichtende,
selbst nicht angeben konnte oder
wollte.
Und Stein schien auf dieser
Spur zu sein.
„Es kann demnach nur ein
Wilderer gewesen sein," sagte er
rasch und bestimmt.
Der Revierförster blickte un-
geduldig und fast unmutig zur
Decke des Zimmers empor.
„Ich wüßte keinen Wilderer-
in der Gegend," erwiderte er
dann langsam und nachdenklich,
„denn der einzige, den wir viel-
leicht hatten — ich sage vielleicht,
weil ihm niemals etwas Positives
nachgewiesen worden ist — sitzt
hinter Schloß und Riegel."
„Sie meinen Klaus Merten
aus der Grundmühle!" rief der
Amtsrichter lebhaft.
„Wenn Sie ihn nennen,
brauche ich es nicht zu thun,"
entgegnete jener gelassen.
„Aber Klaus Merten ist
frei," fuhr der Amtsrichter erregt
fort, „seine Strafzeit lief vor-
gestern oder gestern früh ab."
Wieder glitt ein scharfer, for-
schender Blick aus Sellings Au-
gen über den Richter.
„Frei, sagen Sie? Ja, das
habe ich nicht gewußt. Dann
freilich —"
Inzwischen hatte Stein seinen
Gedankengang weiter ausgespon-
nen und einen neuen Anhalts-
punkt gefunden.
„Sie waren auf dem An-
stand, Herr Revierförster," sagte
er, „sind Sie zum Schuß ge-
kommen?"
„Nein, Herr Amtsrichter."
„Erstreckt sich Ihr Revier-
bis an die Grundmühle?"
„Nein, die liegt weit abseits."
„Gibt es Jagdpächter in der
Gegend?"'
„Keinen einzigen: wir haben
lauter Staatsforsten."
„Dann sind wir auf der
Spur, Herr Nevierförster. Ich
habe nämlich gestern abend etwa
um acht oder halb neun Uhr
zwischen Schönborn und Rosen-
hain — genauer kann ich die
Gegend nicht bezeichnen — einen
Schuß fallen hören. Und um

dieselbe Zeit muß Klaus Merten auf dem Wege nach der
Grundmühle gewesen sein. Dann habe ich etwas später
— ich ging nach Rosenhain hinüber — neben der soge-
nannten Heidbuche einen Menschen beobachtet, welcher sich
am Stamm des erwähnten Baumes zu schaffen machte,
und dieser Mensch — warten Sie, warten Sie —"
° Stein schlug eifrig in den Akten wider Klaus Merten
das Signalement auf, las es hastig durch uud fuhr tief-
atmend fort:

„Dieser Mensch muß der entlassene Sträfling Klaus
Merten gewesen sein."
Der Revierförster Selling war bei den Worten des
Amtsrichters aufgestanden und nach der Thür gegangen.
Dort lehnte er sein Gewehr hin, blieb einen Augenblick
in abgewandter Stellung stehen und fuhr sich mit den:
Taschentuch über die Stirn. Dann kehrte er an den Tisch
des Richters zurück und sagte tonlos:
„Seltsam, Herr Amtsrichter, sehr seltsam!"
„Ja, seltsam in der That,"
pflichtete Stein bei. „Denn bei
alledem bleibt es mir unerklär-
lich, daß Klaus Merten, nachdem
er kaum das Zuchthaus verlassen
hatte, ja vielleicht bevor er noch
das Elternhaus betrat, bereits
zwei neue Strafthaten, einen
Diebstahl und ein Jagdvergehen,
auf sich geladen haben soll."
Selling lächelte.
„Bevor er das Elternhaus
betrat, Herr Amtsrichter? Sie
haben ja da wohl die Strafakten
des Merten liegen, glauben Sie
wirklich, daß er es mit den:
Wredersehen so eilig hatte?"
Vor dem geistigen Auge des
Richters stieg ein düsteres Bild
auf.
Er sah den ausgestoßenen
Sträfling auf der stürmischen
Heide stehen, er sah, wie derselbe
sich ins nasse Heu einwühlte,
kaum eine Viertelstunde von der
elterlichen Wohnung entfernt, er-
sah alles mit den Augen des
Kriminalrichters und mußte den-
noch unwillkürlich seufzen.
„Es kann kaum anders sein,
als wir vermuten," sagte er und
teilte sodann in kurzen Wörter:
dem Revierförster seine Beobach-
tungen mit.
Der Mann mußte auch eine
gewisse Teilnahme mit dem Un-
glücklichen fühlen, denn er wurde
blaß und strich sich wiederholt
mit einer nervösen Handbewegung
über die Stirn.
„Ins Heu, sagen Sie, Herr
Amtsrichter? Ins Heu? Meiu
Gott, das ist ja wie ein wildes
Tier! Und das war ganz irr der
Nähe von der Heidbuche?"
„Kaum zwanzig Schritte da-
von entfernt."
„Mein Gott, mein Gott!"
Die Teilnahme war fast auf-
fällig; Slein schwieg: er über-
legte, was zu thun sei.
Da stand Selling auf und
sagte:
„Es ist für mich höchste Zeit,
ins Revier zu gehen. Also meine
Sache ist in guten Händen und
ich darf auf günstigen Erfolg
hoffen? Ich habe die Ehre, mich
zu empfehlen."
Schon auf der Schwelle


Zeichnung von H. Giacomelli.

.Illustr. Welt. 1890. 3.
 
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