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-M ÄchluMrrMgpex Jahrgang. W°—

18. Hrst.

Stuttgart, Leixslg, Rerlin, Wien.

Zn Ehren gekommen.
Eine Erzählung aus dem KinzigLhal.
Von
K. Steindorf.
(Alle Rechte Vorbehalten.)
war im Mai. Strahlend kam die Sonne hinter
dem Eichberg hervor. Die Wipfel der riesigen
Tannen, die den ganzen Gebirgszug bekrönen,
glänzten in Hellem Scheine.
Golden flimmerte es über das junge
Grün des prachtvollen Eichwaldes, der sich
tief hinab um den ganzen Berg hinzieht,
von welchem auch letzterer im Volksmunde
seinen Namen erhalten hatte. Höher und
höher stieg die Sonne; ihre Strahlen über-
fluteten jetzt das breite, weit vorspringende
Dach eines großen Bauernhauses, dessen
Rückseite sich an den Wald anzulehnen
schien und dessen hoher Vordergiebel mit
den zwischen braunem Gebälk weiß gestriche-
nen Flächen weit in die Gegend hinaus
leuchtete.
Nm das obere Stockwerk lief eine nach
Schweizer Art angebrachte Galerie, von
der aus man eine Fernsicht hatte, wie solche
sich kaum herrlicher denken ließ.
Die Apfelbäume, welche auf den um-
gebenden Wiesen in voller Blüte das Haus
umstanden und die Syringen und Weiß-
dornbüsche, die aus dem Garten herüber-
winkten, erhöhten die Lieblichkeit der ganzen
Umgebung.
Aus dem Walde tönte Vogelsang, im
Hühnerhof krähte der Hahn. Die Sonnen-
strahlen breiteten sich immer weiter aus und
spiegelten sich jetzt auch in dem klaren
Wasser, das aus einer dicken Röhre in
einen steinernen Trog sprudelte und von
dort, ein kleines Bächlein bildend, gurgelnd
den Berg hinabfloß.
Still und feierlich war's hier oben, dies
schien auch ein etwa zehnjähriges Bauern-
bübchen zu empfinden, das barfuß, mit
offenem Hemde, die Hände in den Hosen-
taschen, zwischen Haus und Brunnen stand
und fast andächtig ins Thal hinab schaute,
wo noch die Morgennebel wogten.
Eine Lerche stieg trillernd neben ihm
in die Höhe, dies weckte auch ihn aus seiner
Beschaulichkeit. Einen Hellen Jauchzer aus-
stoßend, schlug er einen Purzelbaum und
stand mit einem Satze am Brunnen.
Den Kopf tief untertauchend, rieb er
mit vergnüglichem Pusten Gesicht und
Nacken, fuhr hierauf in die Höhe und
schüttelte sich wie ein nasser Pudel, der
aus dem Wasser steigt.
Das Geschäft des Abtrocknens überließ
er der lieben Sonne, die denn auch bald
die hängen gebliebenen Tropfen aufgesogen
hatte.
Hierauf stülpte er die Hosen in die
Höhe und sprang ins Bächlein, vergnügt
seinem Schwesterchen zurufend, das eben
vom Hause hergelaufen kam, ein Gleiches
zu thun. Dies ließ sich nicht lange bitten,
flugs saß es auf dem Rasen, zog Schuhe

und Strümpfe aus und plätscherte mit dem Bruder um die
Wette. Nach einer guten Weile tönte Hundegebell von
der Südseite des Berges her, ein Zeichen, daß der Bauer
und seine Leute, die schon seit Tagesanbruch bei der Arbeit
waren, zur Morgensuppe anrückten.
Bald sah man von verschiedenen Richtungen her
Knechte und Mägde gegen das Haus schreiten. Aus dem
Weinberge kam der Bauer mit seinem ältesten etwa fünf-
zehnjährigen Sohn, ein schwarzer Spitzer sprang bellend
den beiden Vorau.

Die Kinder beeilten sich, den Heimkehrenden sich an-
zuschließen, denn auf dem Eichberg ging alles wie am
Schnürchen und keines wollte das letzte sein.
Eben als der Bauer die Haustreppe hinaufschritt, trug
die Bäuerin die dampfende „Erdäpfelsupp" in die Stube,
die zwölfjährige Lisel folgte mit einer Schüssel Milch.
Jedes stellte sich an seinen Platz, der Vater sprach ein
kurzes Gebet, worauf man sich setzte und mit bestem
Appetit zu essen begann.
Als alle gesättigt, wurden für den Vormittag noch
einige Arbeiten besprochen und die Leute
gingen ans Geschäft. Während Frau und
Tochter die Stube in Ordnung brachten,
trat der Bauer in die daneben liegende
Kammer und kam bald im Sonntagsstaat
wieder heraus.
Er war seit einigen Jahren Ratschreiber
in der Gemeinde und hatte als solcher heute
seines Amtes zu walten.
Die drei Jüngsten, Lisel, Heiner und
Mariannle, hatten sich unterdessen zur
Schule gerüstet und sprangen lustig dem
Vater voran den Fußpfad hinab, den die
Bewohner des Eichhoses zur Abkürzung
des Weges sich neben dem Bächlein aus-
getreten hatten.
Der Eichberger, wie der Bauer nach
Lage seines Gutes allgemein genannt wurde,
war ein schöner, stattlicher Mann von etwa
sechsunddreißig Jahren. Rasch und leb-
haft in seinen Bewegungen, war von der
würdevollen Bedächtigkeit und Gemächlich-
keit, welche die meisten Großbauern der
Gegend zur ^chau tragen, nicht viel an
ihm zu bemerken.
Sein Gesicht, nach dortiger Sitte völlig
bartlos, war von Natur dunkel, durch
Sonne und Luft nur noch mehr gebräunt.
Die Züge regelmäßig und schön. Kohl-
schwarze lockige Haare umgaben seinen Kopf.
Einen merkwürdigen Kontrast zum
Ganzen bildeten die großen blauen Augen,
die freundlich aus dem sonst etwas ernsten
Gesicht schauten und von vornherein fast
jeden für ihn einnahmen.
Einige hundert Schritte oberhalb des
Dorfes stand auf dem Wege, zwischen dem
Eichhof und ersterem, ein kleines Häuschen
mit schönem Vorgarten.
Der Bauer schritt über den Steg, den
Kindern nachrufend, weiter zu gehen, er
wolle nur schnell der Großmutter „guten
Morgen" sagen. Das kleine Mariannle
sprang zurück und brachte dem Vater einige
schöne, große Vergißmeinnicht, der „Ahni"
Lieblingsblume, die es an: Rande des
Bächleins eben gepflückt hatte.
Der Bauer trat ein. All einem von
der Morgensenne hell beschienenen Fenster
saß eine kleine blasse Frau, auf dem Tische
neben ihr lag ein aufgeschlageneö Gebetbuch.
Freudig begrüßte sie den Sohn und
streichelte zärtlich die harte braune Hand,
welche ihr die Blümchen zwischen die
Blätter hineinlegte. „O Heiner!" sagte
sie dabei, „mir ist heut so pudelwohl, d'r
Huste schier ganz weg, i g'spühr mi so
leicht wie lang nit mehr, nur noch e bißle
zitterig."


Erste Freundschaft. Gemälde von A. Liezenmayer.

Jllustr. Welt. 1890. 18.

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