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M NutkMtz Leippg, Rrrlm, Wien.

W Kchlunddrrlßizltrr Aalirgang. W

Die Ooundmüstte.
Kriminalroman
von
Ariedrich Jacobsen.
(Fortsetzung.)
N i^l^nna Bode entgegnete kein heftiges
Wort. Sie setzte sich nur wie
erschöpft auf einen Stein und
W raffte die Kleider zusammen;
dabei warf sie einen bittenden Blick auf
den erregten Mann.
Stein setzte sich neben sie, und die
Berührung ihres Körpers übte einen be-
ruhigenden Einfluß aus; er nahm die
Hand des Mädchens und küßte dieselbe.
Nach einer kleinen Pause sagte Anna:
„Es kann nicht mehr verborgen blei-
ben; Du mußt irgend etwas erfahren
haben, und die Ungewißheit regt Dich
auf. Du hast ganz recht, mißtrauisch zu
werden. Also höre zu."
Stein beugte sich gespannt vor; dabei
glitten seine Äugen über den bewachsenen
Hügel in die Ferne und er sah etwas,
das ihn seltsam durchzuckte, aber er
schwieg.
„Selling verfolgt mich," sagte Anna.
„Er liebte mich, vielleicht haßt er mich
jetzt; wer kann das wissen, wer kann in
diese düstere Seele blicken!
„Vor einiger Zeit — ich war erst
kurz zuvor aus Berlin zurückgekehrt —
machte er mir einen förmlichen Antrag.
Er hatte schon früher unverhohlen sein
Interesse für mich an den Tag gelegt,
und mein Vater schickte mich deshalb fort.
Der finstere Mann flößte mir immer
eine seltsame Abneigung ein, und als er
nun mit einem Antrag vor mich hintrat,
fühlte ich ein förmliches Grausen. Ich
war ja schon Deine Braut, Arthur.
„Und als ich ihm mit einem entschie-
denen Nein antwortete, mit einem Nein
ohne Angabe der Gründe, Arthur, da er-
kannte ich, wie berechtigt meine Abnei-
gung gewesen war.
„Er brach in einen furchtbaren Zorn
aus; er sagte, daß ich ihn mit meiner
Weigerung zu einem elenden Menschen
machen würde, er schwor, daß es sein und
mein Untergang sei, wenn ich bei meinem
Nein beharre. O Arthur, er sagte noch
viel mehr. Ich würde es Dir nicht mit-
teilen, aber nun muß ich es, damit Du
Dich in acht nimmst. Er sagte, ich liebe
einen andern, sonst könnte ich nicht so
grausam sein, aber wenn er jemals diesen
andern entdecke, dann —"
Das erregte Mädchen vermochte nicht
weiter zu sprechen, die Schrecken der Er-
innerung überwältigten sie und sie brach
in Thränen aus.
Stein nahm sie in seine Arme und
versuchte zu trösten, aber ihm selbst war
es beklommen zu Mut.
Jüustr. Welt. 1890. 6.

Abendsegen. Originalzeichnung von Eduard Kurzbauer. (S. 13^.)
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