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--W KchkilnLdrelßlgstex Jahrgang. U°—


W Nullgarh Lripsig, Rrrlin, Wien. M—

Am Wtma-NyaM.
Eine Erzählung aus Ost-
afrika
von
H. Elster.
v.
In trübes Nachsinnen
versunken saß Anne Gordon
einige Tage später unter dem
großen Feigenbaum am
Rande des Waldes, von
welchem Platze aus man
eine prächtige Aussicht auf
das grüne Thal und den
schimmernden See genoß.
Das junge Mädchen fühlte
sich einsam und verlassen
auf der Welt. Ihr Vater
war in Begleitung Frederics
nach Rubaga abgereist;
Weston und Robert streiften
die meisten Stunden des
Tages im Wald umher oder
beschäftigten sich mit dem
Fischfang auf dem See.
Noch weniger als früher
sah Anne den jungen Deut-
schen; geflissentlich schien er
sich von ihr fern zu halten.
Tief aufseufzte sie bei
diesem Gedanken. Dann
schalt sie sich wieder, daß
ihre Gedanken mehr bei
dem jungen Deutschen weil-
ten, als bei ihrem Verlobten.
Und doch — konnte sie da-
für, daß ihr Herz sich sehnte
und härmte nach dem An-
blick des kühnen, tapferen
Mannes, der allen Gefah-
ren der Wildnis mit solch
frohem Mute trotzte, dessen
ritterliches Wesen selbst die
Gemüter der rohen Wilden
einnahm ? Konnte sie dafür,
daß sie ihren Verlobten nicht
liebte mit jener Liebe, welche
das Weib dem Manne seiner
Wahl entgegenbringen soll?
War Frederic Parker denn
überhaupt der Mann ihrer
freien Wahl? Wohl hatte
sie ihm das Jawort gegeben,
aber mehr gedrängt durch
das liebevolle Zureden ihres
Vaters und die Erwägun-
gen des kühlen Verstandes
als durch den Instinkt des
Herzens. Sie konnte den
finstern, fanatischen Mann
nicht lieben! Sie fühlte sich
oftmals abgestoßen durch
sein herbes Wesen, durch
seine du eren Reden. Und
wenn er ihre warme Hand
mit seiner kühlen, feuchten
Jllustr. Welt. 18?0. 16.

„Hab dich von Herzen lieb!" Gemälde von Friedrich Proelß. (>L>. 375.)


Hand berührte, dann schau-
derte sie zusammen. Es
mochte wohl unrecht von ihr
sein, aber sie vermochte dieses
Gefühl der Abneigung nicht
zurückzudrängen; deshalb
hatte sie auch zur Bedingung
gemacht, daß die Verbin-
dung erst geschlossen werden
sollte, wenn die Jntriguen
des Sadi Ben Mohammed
und ihre eigene Sicherheit
es durchaus erforderten. Als
der junge Deutsche angekom-
men war, hatte sie sich ge-
freut, daß von ihrer Ver-
lobung nicht gesprochen
wurde, und jetzt mußte er
es doch erfahren! Was
mochte er von ihr denken?
Seit jenem Tage, da ihr
Vater ihre Verlobung be-
kannt gegeben, war das
freundliche Lächeln aus dem
Antlitz Roberts verschwun-
den, seit jenem Tage mied
erste — o, und das schmerzte
sie, das that ihr weh im
Herzen, daß sie immer und
immer hätte weinen mögen!
Auch jetzt traten ihr wie-
der die Thränen in die Au-
gen, sie verhüllte ihr An-
gesicht in die Hände und
weinte bitterlich.
Plötzlich rauschte es leise
in dem Gebüsch, welches den
Aussichtsplatz umsäumte.
Vorsichtig wurden die Zweige
auseinandergebogen, ein
dunkles Gesicht kam zum
Vorschein und zwei schwarze,
flammende Augen hefteten
sich mit dem Ausdruck wil-
der Leidenschaft auf die
schlanke Gestalt des Mäd-
chens. Der Fuß des Lau-
schenden trat jetzt auf einen
trockenen Zweig, der kra-
chend zerbrack. Anne schreckte
empor, blickte sich um und
sah erstaunt in das dunkle
Gesicht Magassas!
Rasch wollte sie sich ent-
fernen, aber da sprang Ma-
gassa aus dem Gebüsch und
vertrat ihr den Weg. Anne
maß ihn mit stolzem Blick.
„Was willst Du von
mir, Magassa?" sprach sie
mit ruhiger Stimme, ob-
gleich ihr Herz heftig klopfte,
denn die wilden Augen des
jungen Kriegers schienen
Unheilvolles anzukündigen.
„Weshalb fliehst Du
vor mir, weiße Jungfrau?"
fragte Magassa zurück mit
tiefer, leise bebender Stimme.
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