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—<D KchtlmddkHigster Aahrgang. W—


W Nulkzark, Leipzig, Rrrlin, Wien. W—

Die Beter-Zenz.

Eure Allerheiligen-Geschichte
von

Kranz Ketd.

(Alle Rechte Vorbehalten.)
naa — grüß Gott vieltausendmal — der Herr
Doktor! Und wie prächtig die Fran Gemahlin
ausschaut! So schnell zurück von der Hochzeitsreis'?"
„Ist doch heut Allerheiligen!" erwiderte der Arzt
Doktor Berghaus seiner alten Haushälterin Anna. „Soll
ich denn da nicht einen Kranz auf der Eltern Grab legen?"
Anna, die ihr: „seit seinen ersten Hosen" kannte, ver-

gaß in überströmender Rührung alle durch die Zeit ge-
schaffenen Schranken.
„Ja wohl, ganz ein braver Bursch bist allwei' g'wesen,
mei' guter Maxl! Entschuldigend, Frau Doktor, i hab'
d'rauf vergess'n, daß er mir ja nimmer g'hört. Nu, das
Grab von der verstorbnen Herrschaft — Gott hab' sie
selig! — werden's schön hergericht't finden. Die Laternen,
noch vom Herrn Vater her, 's is lang, hab' ich vom
Boden g'holt. Eine Grabhüterin sitzt damit draußen, ein
arm's, alt's Weiberl — und so ehrlich schaut's aus! Die
Milchfrau hat's mir gebracht — na, wenn dem das fünf
Markt Betgeld net gut thur!"
Doktor Berghaus hatte erst vor einigen Wochen ge-
heiratet. Er kannte seine Frau schon seit anderthalb
Jahren. Aber seine Mutter, Witwe eines reichen Groß-
händlers, hatte sich der Verbindung ihres einzigen Sohnes

! mit dem ziemlich unbemittelten, wenn auch aus guter
Familie stammenden Mädchen widersetzt. Im vorigen
Herbst war sie gestorben. Der Sohn hatte das Trauer-
jahr abgewartet und vor drei Wochen mit der frisch pro-
movirten Frau Doktor Käthi eine kurze Hochzeitsreise
nach dem Luganersee angetreten.
Am frühen Nachmittag fuhr der Doktorwagen zwischen
dem kränzebepackten Menschenstrom zum südlichen Fried-
hof hinaus. Es war ein herrlicher, beschaulich klarer
Vorwintertag. Die netzförmigen Schatten der pudel-
köpfigen Trauerweiden schwankten über die engen Gräber-
wege hin, bisweilen gekreuzt von der massigen Schatten-
säule eines Lebensbaums. Während von fern die
Kirchenglocken ihr ernstes Geläut herübersandten, machten
die Menschen, die sich zwischen den Gräberzeilen schoben,
keinen sonderlich ergriffenen Eindruck. Es wurde ganz


Zllustr. Welt. 1890. 8.

Kirchgang. (S. 195.)

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