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338

Illustrirte Welt.

vom Wetter zerfetzter Weymouthskiefern, deren einige vom Sturme
gebrochen und von der Hochflut bis hinunter zum Wasser ge-
rissen worden waren. Weiter vorn, rechts, sah ich unter weit
auseinander stehenden Bäumen, zwischen denen hindurch der Blick
auf offenes, grasiges Terrain fiel, die Touristen mit ihrer Schutz-
wache lagern. Sie hatten allem Anscheine nach den Kessel des
Kai-p'a schon in Augenschein genommen, und ihre Pferde waren
in der Nähe angebunden; nur ein mit einem Damensattel ver-
sehenes lief frei herum und knusperte die Blätter von den we-
nigen Zweigen, die es gab; es war das der Lady mit den
schönen, guten Augen.
Aber auf derselben Seite, nur noch weiter Zurück, sah ich
etwas, was die Weißen wegen der dazwischen liegenden Felsen
nicht bemerken konnten, nämlich eine Schar von wohl über vierzig
Indianern, von denen jeder bei seinem Pferde stand, bereit,
augenblicklich in den Sattel Zu springen und sich auf die Bleich-
gesichter zu werfen. Schon wollte ich mich zu den letzteren
schleichen, um sie zu warnen, da wurden die Töne des.,singenden
Wassers' stärker. Das waren keine Elementarlaute, sondern das
war eine menschliche Stimme; sie erklang unweit von mir vom
Wasser herauf. Zugleich erblickte ich die Lady, welche, von den
Tönen angezogen, den Lagerplatz verließ und nach dem Wasser
kam. Dort ließ sie sich nieder, um den Punkt Zu erlauschen,
an welchem der Gesang entstand. Ihr Pferd war ihr nach-
gelaufen und blieb drüben bei den Weymouthskiefern stehen.
„Ich schob mich weiter vor, bis an den hohen Rand des
Wasserkessels und sah hinab. Dort lag — ein Indianer eng
zusammengeduckt hinter mehreren Steinen und ahmte mit ge-
schlossenem Munde durch die Nase den Klang des ,singenden
Wassers' nach. Es war Avaht-uitjch, der Häuptling der Schlangen-
indianer; ich kannte ihn.

„Ich begriff, daß er es zunächst auf die Lady abgesehen hatte.
Er wollte sie vom Lager weglocken, damit sie beim Ueberfalle
nicht verwundet oder gar getötet werden sollte. Er wollte sie
unbeschädigt nach seinem Wigwam bringen. Jetzt war sie da
am Wasser und ich wußte, daß er in wenigen Augenblicken das
Kriegsgeheul als Zeichen zum Angriffe erschallen lassen werde.
Das mußte verhütet werden. Schießen durfte ich nicht, da sonst
die Indianer sich sofort aus ihrem Verstecke auf die ahnungs-
losen Weißen geworfen hätten; darum ergriff ich einen schweren,
neben mir liegenden Stein, um ihn dem gerade unter mir befind-
lichen Häuptling auf den Kopf Zu werfen. Ich traf so gut, daß
der Note wie tot zusammenbrach.
„Da ich mich dabei hatte halb aufrichten müssen, war ich
von der Lady gesehen worden. Sie fuhr betroffen in die Höhe.
Wie sie mir später sagte, hatte sie mich sofort erkannt. Ich
glaubte sie gerettet, hatte mich aber geirrt. In ihrer Nähe lagen
einige große Steine, hinter welchen Zwei Rote verborgen ge-
wesen waren Diese hatten meinen Angriff auf den ,Großes
Messer* bemerkt; sie sprangen hervor , ergriffen die Dame und
zerrten sie eiligst hinauf nach den Weymouthskiefern, wo das
Pferd stand. Die Lady ließ keinen Laut hören, sie war sprach-
los vor Schreck. Auch die beiden Indianer verhielten sich still
und Zögerten, den Kriegsruf hören zu lassen, da sie sich noch zu
nahe bei den Weißen befanden. Ich richtete mich auf, um zu
schießen, mußte das aber bleiben lassen, denn die Kerls bildeten
mit dem Mädchen eine so verschlungene Gruppe, daß ich die
schönen, guten Augen leicht hätte für immer auslöschen können.
Ich schnellte mich also zu meinem Pferde, sprang in den Sattel,
trieb es in einem weiten Sprunge über den Bach und jagte auf
die Weißen Zu. An ihnen vorüberfliegend, deutete ich nach hinten
und schrie: ,Zu den Waffen, dort sind Indianer!' Sie sprangen

! auf, um sich zu verteidigen, ich aber jagte weiter, um der Lady
j Zu helfen.
„Diese war bis zu ihrem Pferde geschleppt worden. Einer
der Noten stieg auf; sie wurde zu ihm emporgerissen und -ge-
hoben, dann sprengte der Kerl mit ihr fort, während der andere
hinter Felsen und Bäumen verschwand. Ich sah den Reiter mit
seiner Beute nach der vorhin erwähnten offenen Prärie galoppiren
und schoß ihm nach, kaum zweihundert Schritte von ihm ent-
fernt. Ter Damensattel genirte ihn, er mußte die Lady halten,
so daß er seine Reitkunst nicht ganz entwickeln konnte. Ich kam
ihm immer näher. Nach zwei Minuten hatte ich ihn bis auf
hundert, nach drei Minuten bis auf siebenzig Schritte eingeholt.
Er sah sich um und bemerkte mich. Die Lady begann, sich zu
sträuben; das störte ihn noch mehr. Er griff zum Messer und
erhob die Hand wie zum Stoße, um ihr anzudeuten, daß sie
sich ruhig Zu verhalten habe, und Zugleich mir durch diese Panto-
mime zu sagen, daß er sie lieber töten als mir überlassen werde.
Vom Pferde aus durfte ich nicht schießen. Ich wartete also, bis
ich mich ihm auf fünfzig Schritte genähert hatte, hielt dann an,
sprang aus dem Sattel und richtete das Gewehr auf ihn. Meine
Hand zitterte nicht. Um die Lady nicht zu treffen, mußte ich
möglichst hoch, nach seinem Kopfe, zielen. Das war ein schwerer
Schuß — er krachte; der Rote machte eine Bewegung nach vorn,
als ob er von hinten einen Schlag erhalten habe; die Lady ent-
glitt seinen Armen und fiel Zur Erde. Ich war gar nicht wieder
aufgestiegen, sondern hinterher gerannt. Schon stand ich bei ihr
und hob sie auf. Sie war unverletzt, aber vor Entsetzen so
schwach, daß ich sie en mich drücken mußte. Sie hielt die Augen
geschlossen, doch, alter Jim, Du kannst mir glauben, sie war
auch ohne den warmen Augenstrahl so reizend, daß es meinen
bärtigen Mund mit unwiderstehlicher Gewalt auf ihre Lippen


Ein Löwe als Kun streitet

zog. Der erste Kuß in meinem Leben, aber — §oä, der
letzte noch lange nicht! Doch davon nichts weiter! Ich will
nur sagen, daß ich ihr Pferd einfing, sie in den Sattel hob,
dann auf das meinige stieg und mit ihr Zurückkehrte.
„Ta hörten wir Schüsse knallen und das Geheul der Wilden.
Ich durfte meine Lady nicht neuen Gefahren aussetzen, suchte
also schnell ein gutes Versteck für sie, ließ die Pferde bei ihr
und rannte nach dem Kampfplatze. Die Dragoner hatten sich
tapfer gewehrt, aber die Touristen waren weder Kriegs-, noch
Westmünner, sie schossen beharrlich daneben. Doch eüeor up,
meine Büchse begann, ein Wort mitzusprechen, und schon nach
kurzer Zeit machten sich die Roten aus dem Staube. Es hatte
Opfer gekostet. Zwei Dragoner und drei Touristen waren tot
und leidlich viele verwundet. Ich selbst hatte ein Kugelloch im
Schenkel und einen tüchtigen Streifer über der Hüfte. Dennoch
ritt ich Zurück, um die Miß, um welche es große Sorge gab, zu
holen. Ihr Vater war auch blessirt, er hatte einen Pfeil in die
Schulter erhalten, ein ziemlich unangenehmes Ding für einen,
der nicht Westmann ist.
„Natürlich sah ich nun auch nach dem Häuptlinge. Er lag
noch wie tot am Wasser und wurde heraufgezogen; das Singen
war ihm schlecht bekommen. Später kam er zu sich und wurde
gut gefesselt, um als Geisel bei uns Zu bleiben und dann von
den Dragonern mit nach Old Fort genommen zu werden. Ich
wurde jetzt aus anderen Augen betrachtet. Man nannte mich
den Retter nicht nur der Lady, sondern der ganzen Gesellschaft,
wogegen ich mich auch gar nicht sträubte. Tausendmal lieber
aber waren mir die Blicke, mit denen die Augen der Miß immer
und immer wieder auf mir ruhten. Und ich — nun ich hätte
mir ihr schönes, liebes Gesicht bis in alle Ewigkeit hinein be-
trachten können; aber dazu gab es keine Zeit. Die Toten mußten

begraben, die Verwundeten verbunden werden. Diese letzteren
waren der Pflege bedürftig, aber wir durften der Rachsucht der
Indianer wegen nicht am Kai-p'a bleiben. Wir machten uns
also, so gut es ging, nach Fort Aspen, der nächsten bewohnten
Stelle, wo wir gute ärztliche Behandlung fanden. Bent Harrison
that es nicht anders, ich mußte in einem Zimmer mit ihm liegen
und mich ebenso wie er von Amely pflegen lassen. Sie hat
alles mögliche gethan, aber ich kalkulire, daß ich doch mehr aus
purer Liebe so schnell wieder auf die Beine gekommen bin. Ich
war überglücklich, als ich von ihr erfuhr, daß sie mir den Kuß
da draußen am ,singenden Wasser' nicht übel genommen habe,
und als das ihr Vater erfuhr, war er der Meinung, daß sie
mir das auch fernerhin beweisen müsse — all b/ all, sie hat
mir gesagt, daß sie lieber ihre schönen, guten Augen für immer
auf unr ruhen lassen, als die Squaw des ,Großen Messers' werden
wolle, und hat den armen Scout zu einem Mann gemacht, der
fast gar nicht weiß, wohin und wo hinaus mit seinem Glück.
Oder nicht, Amely?"
Bill ist mit seiner Erzählung Zu Ende und blickt bei seiner
Frage strahlenden Auges zu seiner „Lady" hinüber. Diese er-
hebt sich, kommt zu ihm herüber, legt ihre Wange an die jeinige
und antwortet:
,Jl/ äarliuL, ich muß Dir ja gehören, weil ich ohne Dich
verloren gewesen und sicherlich gestorben wäre."
„Beim Himmel," ruft da Jim gerührt, „Du brauchst gar
keine Silbermine, um glücklich zu sein!"
„Nein, wirklich nicht, mein alter Jim. Die Mine ist ganz
überflüssig, sie macht uns schwere Sorgen, denn es fehlen uns I
die Hände, täglich so einen Haufen Dollars abzuzählen. Darum
sind wir gekommen, um euch abzuholen. Wollt ihr uns '
helfen?"

Da springt Jim auf, schleudert mit dem Fuße seinen Schemel
fort und jauchzt:
„Sofort, sofort! Frau, Kinder, die Not hat ein Ende Laß
Dich umarmen, alter Bill! In Zukunft werden nur jährlich
einmal nach den Bighornbergen wandern, um Deinen! -singenden
Wasser' unfern Dank zu bringen!"

Gin Löwe llk Killlstreäer.
Wahrhaftig, die Zivilisation schreitet vorwärts ! Nachdem uns
die Zirkusbesitzer zu den altgewohnten Pferde-, Hunde- und
Elefantenkünsten diejenigen bisher minder dressurfähiger Tiere,
wie Tauben, Gänse und sogar Schweine vorgeführt, bringen sie
jetzt eine Reiterlöwin in die Arena. Dies Schauspiel ist gegen-
wärtig im Londoner Coventgarden Zu sehen. Ein prächtiger
eisengitterumgrenzter Käfig wird allnächtlich dort vor den Augen
der Zuschauer im weiten Ring aufgeschlagen; wenn derselbe mit
dem gleichen Material gedeckt ist, betritt ihn Herr Hagenbeck
mit seinem Pferde. Sodann wird ein kleiner Käfig zunächst
hingesührt und ein schmales Gitter aufgethan, welchem eine
Löwin langsam und graziös entsteigt. Dann beginnen die
Exerzitien, bei welchen Herr Hagenbeck die stolze Tochter der
Wildnis nicht schonender behandelt, als wäre sie einer der Pudel-
hunde seines Zirkus. Kaum weiß der Zuschauer, wem er den
höchsten Preis zuerkennen soll, Herrn Hagenbeck, der überaus
präzis arbeitenden Löwin, oder dem mit bewunderungswürdiger
Kaltblütigkeit assistirenden Pferde.
 
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