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halben „Dusel" gar nicht bemerkte. Heiner und seine
Tänzerin überließen sich unterdessen ahnungslos dem
Glücke der Gegenwart. Sepp blieb bei ihnen bis zum
„Kehraus". Verwundert hörten sie unten vom Wirt, daß
der Vater längst heimgegangen.
Gundel war nicht furchtsam; Heiner als Führer und
Sepp als Begleiter genügten ihr vollständig. Glückselig
überließ sie Heiner ihre Hand und unter fröhlichem Ge-
plauder kamen die drei in der Nähe des Fichtenhofes an.
Sie hatten gar Wichtiges zu besprechen gehabt und zuletzt
mußte auch noch das Siegel aufgedrückt werden. Plötz-
lich wurde das Mädchen mit grober Faust weggerissen
und Heiner verspürte einen Stoß auf der Brust, der ihn
taumeln machte. Heiser vor Wut schrie der Bauer dem
verblüfften Burschen zu: „Tropf, armseliger! Mach,
daß De vom Hof fortkommst, oder i vergreif mi an D'r,
morge sollst scho noch meh von m'r höre!", und Gundel,
die sich bittend an den erzürnten Vater wenden wollte,
vor sich her ins Haus stoßend, schlug er die Thüre hinter
sich zu, daß es wie Donner von den Bergen dröhnte.
Heiner stand zuerst sprachlos und starrte den Ver-
schwundenen nach, dann kam der Zorn über ihn. Er hob
die Faust und schüttelte sie drohend gegen das Haus, er
wollte heftige Worte ausstoßen, als Sepp, der sich bisher
abseits gehalten, seinen Arm niederzog und bat: „Geh!
Sei still, Heiner, un sag nix, was den Vatter noch meh
verzürne könnt, sonst ist gar alles g'fehlt, wart's nur ab,
die Sach wird schon wieder ins Gleis komme."
Heiner sah ein, daß der Freundesrat gut gemeint, und
machte sich grollend auf den Heimweg.
Der Bauer kannte sich kaum vor Wut, besonders weil
er sich sagen mußte, der Mathis behalte jetzt recht mit
seinen Anspielungen, das Ei sei diesmal klüger gewesen
als die Henne, und er, der Fichtenhofer, der bis dahin
immer der „G'scheidtste" hatte sein wollen, sei von dem
jungen Volk übertölpelt worden. Er schalt seine Frau
und Gundel und Sepp und drohte, jeden hinauszu-
schmeißen, der sich unterstehen würde, mit dem herg'laufeneu
„Bettelbuben", dem er noch selber den Kopf waschen wolle,
ferner zu verkehren.
Gundel weinte, seine Frau saß bleich und erschrocken
auf der Ofenbank und der sonst immer heitere Sepp
schaute trotzig zum Fenster hinaus in die Nacht. Keines
gab ihm eine Antwort, denn sie wußten, daß ihm jeder
Laut neuen Zündstoff geben würde. Er schlug mit der
Faust auf den Tisch, daß die Fenster klirrten, und schrie
mit vor Wut fast erstickter Stimme:
„Ich, seit länger als zwölf Jahr Burgemeister im
Dorf, hab' Ordnung g'halte in der G'meind allewiel un
sollt jetzt mein eige Haus nit meh regiere könne? Euch
will i zeige, wo Barthel d'r Most holt!"
Endlich, als er etwas ruhiger geworden, ging seine
Frau zu ihm hin und meinte, er solle von der Sache „doch
nit so viel G'schrei" machen, damit sei ja nicht geholfen
und der ganze Hof brauche doch nicht zu wissen, was
„passirt".
Das leuchtete ihm ein; denn die Schänd, daß die
Fichtenhof-Gundel sich einem „herg'laufenen Taglöhner"
an den Hals geworfen, könnte er nicht überleben, wenn
die Sache weiter bekannt würde.
Polternd ging er endlich in die Kammer, während seine
Frau der Tochter eindringlich zuredete.
Heiner verbrachte eine schlaflose Nacht. Er war in
letzter Zeit so glücklich gewesen, Gundel hatte ihm ihre
Liebe so deutlich gezeigt, der Fichtenhofer selbst ihn bevor-
zugt in jeder Weise, so daß er vollständig vergessen hatte,
welch große Kluft zwischen ihm und der einzigen Tochter
des reichen Hofbauern lag.
Sein verstörtes Aussehen an: nächsten Morgen wurde
der: Nachwehen der Kirchweih zugeschrieben, niemand be-
redete ihn darüber.
Ein Schrecken fubr ihm durch alle Glieder, als er noch
ziemlich früh den Fichtenbauer gegen das Haus kommen
sah. Als jener eintrat, drehte Heiner sich schnell gegen
ihn mn.
Der Bauer schritt mit finsteren: Gesicht und kaum
hörbarem Gruß an den Tisch, legte ein kleines Päckchen
vor den Burschen hin und sagte:
„Da ist Dein noch rückständiger Lohn, i bring 'n selber,
um Dir sage z'könne, daß Du Dich nit mehr in die Gegend
vom Fichtehof verirre sollst, sonst thät ich D'r heimzünde,
daß D'r 's Wiederkomme für Dein Lebtag verging."
Darauf drehte er sich kurz um und polierte zur Thüre
hinaus.
Heiner war bei der brutalen Rede alles Blut in Kopf
geschossen, am liebsten hätte er den „ungeschlachten" Men-
schen erwürgt, aber — es war ja ihr Vater! Von
Gundel lassen? — „ums Lebe nit!" Das „Heimzünden"
sürchtete er auch nicht, vorkommenden Falles hätte er
wieder „gezunden"; aber — was nützte das alles? Da
regte sich auch bei ihm der Stolz, er schaute starr dem
eben um die Ecke biegenden protzigen Bauern nach und
knirschte zwischen den Zähnen durch: „Der soll schon au
noch Respekt vor m'r kriege, dafür will i sorge, so schwätzt
'r g'wiß kei zweit'smal nut m'r." Er drehte sich um und
sah seine Mutter unter der Thüre stehen, die traurig
auf ihn hinschaute.
„Willst mi schelte?" fragte er, wehmütig lächelnd.
Illustrirle Welt.
Susel schüttelte trübselig den Kopf und meinte:
„Sell thät jetzt doch nir meh nutze, aber was wird
d'r Vetter sage?"
„Ja," rief dieser, mit hochrotem Gesichte eintretend,
„was kann m'r da no lang sage? Ebe hat m'r d'r Fichte-
bauer die G'schicht verzählt, un i mein halt, dös wär wieder
e Lehr, daß m'r d'r Kopf nit z'hoch trage sollt, unser
Herrigott sorgt allewiel dafür, daß d'Bäum nit in Himmel
wachse. — Du brauchst drum nit dastehe wie e'n ver-
donnerter Kater un an d' groß Glock brauchst's au nit
hänke, daß Du auf'm Fichtehof d'r Laufpaß kriegt hast,
am 'en andern Ort gibt's au no z'schaffe; als mitgangen
in Wald un einbrennt, daß d' Schwarte krache, sell treibt
d' Mucke 'naus. — So sin ihr jung's Volk," fuhr er
Heiner an, als dieser keine Anstalt machte, ihm nachzu-
kommen, „erst vor Uebermut nit wisse, wo 'naus, un geht
dann nit glei alles, wie ihr's auödenkt hen, no laßt ihr
d'r Kopf hänke."
Auf dem Hofe gab's an diesem Tage nochmals großen
Skandal. Der Bauer hatte verlangt, daß auch Sepp den
Umgang mit Heiner aufgeben solle, und war ganz außer
sich gewesen vor Zorn, als Sepp sich dessen geweigert.
Es war so weit gekommen, daß der Alte mit erhobener
Faust auf den Sohn zustürzte, der trotzig erklärt hatte,
daß er sich lieber als Knecht anderwärts verdingen wolle,
als im Dorfe den Schein erwecken helfen, Heiner hätte sich
auf dem Fichtenhofe irgend etwas Ehrenrühriges zu Schulden
kommen lassen, was unfehlbar die Folge wäre von einen:
gänzlichen Verkehrsabbruch.
Ruhig war Sepp stehen geblieben, um den Faustschlag
zu empfangen, mit der festen Absicht, darnach das Haus
zu verlassen, als ihn seine Mutter, die eben dazu kam,
noch glücklich zur Thür hinaus schob und durch ihr Zu-
reden den schnaubenden Bauern allmälich besänftigte.
Gundel wurde tagelang von ihrem Vater weder eines
Blickes noch eines Wortes gewürdigt, und als Mariann
ihn bat, das Mädchen doch nicht vollends zu „verschühchen"
(scheu zu machen), da sagte er: „Wer mit Bettelvolk
charmirt, der ist nit wert, von e'me Fichtehofer ang'schaut
z'werde."
Die Bäuerin wollte ihm ins Gedächtnis bringen, wie
gern er selber den Bursche:: immer gehabt und wie dieser
ihm gefallen, aber da gab er schroff zur Antwort: „Wer
mir als Taglöhner g'fallt, kann m'r nit als Tochtermam:
passe, sell sollst selber wisse."
Es waren ungemütliche Tage für alle.
Auf dem Felde viel zu schaffen, der zuverlässigste
Arbeiter fehlte, der Bauer schrie und schimpfte den ganze::
Tag.
„'s ist bei uns e Lebe zum Davoulaufe!" klagte Sepp
am darauffolgenden Sonntag seinem Freunde.
Dieser war sehr unglücklich, auch in dem kleinen Häus-
chen hatte das gemütliche Zusammenleben einen Stoß er-
litten. Der alte Velly ärgerte sich über Heiners Nieder-
geschlagenheit und war „unwirsch" wie noch nie. Er trieb
den Burschen von einer Arbeit zur andern und lief mit
vor Aufregung zinnoberrotem Kopfe umher.
Am unglücklichsten aber war Susel. Daß der Bauer
mit der Geschichte nicht zufrieden sein konnte, leuchtete ihr
wohl ein, aber der Heiner war „so ein braver, schöner
Bub", gar so arg hätt's drum der Fichtenhofer „nit mache
brauche".
Ihr kamen die Thränen in die Augen, so oft sie den
Burschen ansah.
„So kann's nit lang mehr fortgehe!" sagte der Vetter
jeden Abend, wenn er mit Heiner aus dem Walde kau:
und dieser, statt wie früher zu singen, zu pfeifen oder
allerlei Spässe zu machen, jetzt trübselig vor sich hin-
brütete. „Kopfhänker un Ofehocker hab i mein Lebtag
noch nie aussteh' könne un so e dummer Streich, wie Du
ein g'macht, wär mir mit achtzeh Jahr durch andere
Streich ausdriewe wore, un sell wär e guts Mittel gsi,
das kannst glaube," schalt er eines Abends heftig auf den
Burschen ein.
In Heiners Alter brauche nun: noch nichts anderes zu
denken, als wie man's anstellen wolle, ein richtiger Mensch
zu werden, und wer mit ihm, den: alten Velly, „gut
Freund" sein wolle, der möge sein Thun und Trachten
darnach einrichten, eiferte er weiter.
Heiner wollte es nach all dem im Dorfe gar nicht
mehr gefallen. Er hatte von jeher seine Neider gehabt,
denn manch anderer wär' im Fichtenhof auch gern „oben
dran" gewesen, es hatte ihn aber keiner „ausstechen"
können, weil alles zu ihn: gehalten.
Jetzt „wurmte" ihn hauptsächlich die schnöde Art, mit
welcher der protzige Bauer ihn behandelt. Die Gundel
hatte er gern gehabt, seit er denken konnte, und niemals
ein Hehl daraus gemacht, warum wurde nun diese That-
sache ihm plötzlich zum Verbrechen gestempelt?
Der Zorn des alten Vetters war ihm auch nicht gleich-
giltig, auch das traurige Gesicht seiner Mutter that ihm
weh, er grübelte Tag und Nacht, wie er aus diesem un-
erträglichen Zustande herauskomme:: könnte. Sein ein-
ziger Trost war nock Sepp, der jede freie Stunde bei ihm
zubrachte und mit dem er alle seine Pläne besprach, und
eines Morgens überraschte er den Vetter und die Mutter
mit der Nachricht, sich freiwillig zum Militär melden zu
wollen.
Susel erschrak, denn es sollte den Soldaten in neuerer
Zeit gar schlecht ergehen. Der Eichberger Franz, der
letztes Jahr war gezogen worden, konnte nicht genug klagen
über schlechtes Essen und strengen Dienst; dem Vetter
aber erschien das Auskunftsmittel nicht übel. Was ein
„Lodrian" wie der Franz schreibe, dürfe man auch nicht
alles glauben, sagte er, davon sei jedenfalls ein gut Teil
übertrieben. Er betrachte es als Glück, daß jetzt jeder
seine eigene Haut zu Markte tragen müsse, dem Franz
seiner schade dies gewiß nichts, hauptsächlich räsonnire der
wohl nur über das Soldatenleben, weil er sich dort in
die Ordnung finden müsse und nicht in allem seinen: eigenen
Kopfe folgen könne.
Der Vetter hatte recht, denn von dem alten Eichberger
überreich mit Geld versehen, fehlte es dem Burschen dort
an nichts als an der Freiheit, seine Tage und Nächte im
Wirtshaus zu verbringen, wie er dies von daheim aus
gewohnt war.
Heiner war achtzehn Jahre alt und groß und stark.
Soldat zu werden, war ihm gewiß, da stimmte ihm der
Vetter, nachdem der Entschluß nochmals gemeinschaftlich
überlegt worden war, bei und leitete die nötigen Schritte ein.
Heiner wurde tauglich befunden und den: Leibgrenadier-
regiment zugeteilt. Als er über seine nächste Zukunft in:
reinen war, kehrte auch sein früherer Humor allmälich
wieder.
Jeden Abend kam Sepp, dessen Umgang mit Heiner,
nachdem er seinem Vater hatte versprechen müssen, keine
Aufträge von oder an Gundel zu übernehmen, von jenem
stillschweigend geduldet wurde. Auch Mariann hatte ein-
mal Susel heimgesucht, um ihr zu sagen, daß durch die
Geschichte ihr beiderseitiger Verkehr nicht leiden solle; vor-
erst konnte Susel es aber nicht übers Herz bringen, den
Hof zu betreten, wo man ihren Heiner nicht mehr dulden
wollte.
Als Heiner einrücken mußte, kam Sepp, um ihn an
die Station zu führen, dies hatte er sich nicht wehren
lassen. Der Abschied von daheim war schwerer, als der
Bursche sich gedacht. Seine Mutter konnte sich in die
Trennung fast nicht finden. Der Vetter hatte ihn auch
noch ein Stück Wegs begleiten wollen, da war ihn: aber
im letzten Moment „etwas ins Aug geflogen", er konnte
nickt recht sehen und mußte beständig wischen, da war's
besser, er blieb daheim.
„Sei brav un komm g'sund wieder," hatte der Alte
beim Abschied gesagt, „un schreib recht oft, denn 's wird
gar still jetzt werde bei uns." Einen tiefen Griff that er
in seinen Sparbeutel, „nit daß d'Brief unfrankirt komme,"
drohte er schmunzelnd mit dem Finger, als er Heiner die
harten Thaler zusteckte.
Susel hatte nur noch nicken können.
Bevor Heiner im Dorfwege verschwand, drehte er sich
nochmals um und sandte den Nachschauenden einen letzten
Gruß hinauf. Unterwegs hatten sich die Freunde noch
viel zu fragen und zu erzählen. Der Abschied an der
Bahnstation war kurz, der Zug stand schon zur Abfahrt
bereit, als die beiden nach genossenem Scheidetrunk dort
ankamen. Frohen Mutes zog Heiner in der Residenz ein
und wurde mit noch einigen Schicksalsgenossen, die unter-
wegs mit ihm zusammengetroffen, in die Kaserne ein-
geführt.
Au Ordnung und Pünktlichkeit von Jugend auf gewöhnt,
waren ihn: diese Eigenschaften „ins Blut übergangen",
und er lebte fick leicht in den Dienst ein.
Kurz zuvor waren preußische Offiziere und Unteroffiziere
zu den badischen Truppen kommandirt worden, um letztere
nach dortigen: Muster „einzutrillen". Es gab viel „bös
Blut" bei der Sache, weil von der einen Seite zu viel
Ueberhebung und von der andern zu wenig guter Wille
beigebracht wurde.
Beim alten Velly daheim hatte es immer auch geheißen:
„nicht mucksen", wenn etwas befohlen oder verboten wurde,
und da Heiner von vornherein den Willen hatte, seine
Pflicht zu thun, ging alles gut. Er hielt etwas auf sein
Aussehen und gefiel sich in der Uniform sehr wohl. Er
zeigte sich überall freundlich und anstellig und sorgte, daß
immer alles blank und sauber war. Seine Vorgesetzten
hatten diese Eigenschaften bald herausgefunden und manches
„Donnerwetter", das einen Nebenmann fast in „Erds-
boden" schlug, ging an ihn: spurlos vorüber. Schon nach
kurzer Zeit konnte er, seiner Mutter zur Freude und den:
Vetter zur Beruhigung, Heimschreiben, daß ihm das
Soldatenleben wohl gefalle und ihm die Montur sehr gut
stehe. Eins aber war doch, das ihm nicht paßte. Der
Eichberger Franz befand sich in der gleichen Compagnie
und zwar seit kurzer Zeit als Gefreiter. Der bösartige
Mensch ließ natürlich keine Gelegenheit entschlüpfen, sich
Heiner gegenüber als Vorgesetzten aufzuspielen und diesen
zu coujoniren und zu drangsaliren. Besonders ging er
darauf aus, den nicht eben sanftmütigen Heiner zum Zorn
zu reizen, um ihn dann wegen Insubordination zur Anzeige
bringen zu können. Schon einigemal war dieser nahe
daran gewesen, loszuschlagen, doch war ihm immer noch
rechtzeitig die Besinnung gekommen.
Eines Tages trafen die beiden wieder aufeinander und
nach kurzem Hinundher war Heiner, der sich nicht länger
halten konnte, im Begriff, seinen ihm höhnisch ins Gesicht
grinsenden Widersacher an der Kehle zu packen, als er
halben „Dusel" gar nicht bemerkte. Heiner und seine
Tänzerin überließen sich unterdessen ahnungslos dem
Glücke der Gegenwart. Sepp blieb bei ihnen bis zum
„Kehraus". Verwundert hörten sie unten vom Wirt, daß
der Vater längst heimgegangen.
Gundel war nicht furchtsam; Heiner als Führer und
Sepp als Begleiter genügten ihr vollständig. Glückselig
überließ sie Heiner ihre Hand und unter fröhlichem Ge-
plauder kamen die drei in der Nähe des Fichtenhofes an.
Sie hatten gar Wichtiges zu besprechen gehabt und zuletzt
mußte auch noch das Siegel aufgedrückt werden. Plötz-
lich wurde das Mädchen mit grober Faust weggerissen
und Heiner verspürte einen Stoß auf der Brust, der ihn
taumeln machte. Heiser vor Wut schrie der Bauer dem
verblüfften Burschen zu: „Tropf, armseliger! Mach,
daß De vom Hof fortkommst, oder i vergreif mi an D'r,
morge sollst scho noch meh von m'r höre!", und Gundel,
die sich bittend an den erzürnten Vater wenden wollte,
vor sich her ins Haus stoßend, schlug er die Thüre hinter
sich zu, daß es wie Donner von den Bergen dröhnte.
Heiner stand zuerst sprachlos und starrte den Ver-
schwundenen nach, dann kam der Zorn über ihn. Er hob
die Faust und schüttelte sie drohend gegen das Haus, er
wollte heftige Worte ausstoßen, als Sepp, der sich bisher
abseits gehalten, seinen Arm niederzog und bat: „Geh!
Sei still, Heiner, un sag nix, was den Vatter noch meh
verzürne könnt, sonst ist gar alles g'fehlt, wart's nur ab,
die Sach wird schon wieder ins Gleis komme."
Heiner sah ein, daß der Freundesrat gut gemeint, und
machte sich grollend auf den Heimweg.
Der Bauer kannte sich kaum vor Wut, besonders weil
er sich sagen mußte, der Mathis behalte jetzt recht mit
seinen Anspielungen, das Ei sei diesmal klüger gewesen
als die Henne, und er, der Fichtenhofer, der bis dahin
immer der „G'scheidtste" hatte sein wollen, sei von dem
jungen Volk übertölpelt worden. Er schalt seine Frau
und Gundel und Sepp und drohte, jeden hinauszu-
schmeißen, der sich unterstehen würde, mit dem herg'laufeneu
„Bettelbuben", dem er noch selber den Kopf waschen wolle,
ferner zu verkehren.
Gundel weinte, seine Frau saß bleich und erschrocken
auf der Ofenbank und der sonst immer heitere Sepp
schaute trotzig zum Fenster hinaus in die Nacht. Keines
gab ihm eine Antwort, denn sie wußten, daß ihm jeder
Laut neuen Zündstoff geben würde. Er schlug mit der
Faust auf den Tisch, daß die Fenster klirrten, und schrie
mit vor Wut fast erstickter Stimme:
„Ich, seit länger als zwölf Jahr Burgemeister im
Dorf, hab' Ordnung g'halte in der G'meind allewiel un
sollt jetzt mein eige Haus nit meh regiere könne? Euch
will i zeige, wo Barthel d'r Most holt!"
Endlich, als er etwas ruhiger geworden, ging seine
Frau zu ihm hin und meinte, er solle von der Sache „doch
nit so viel G'schrei" machen, damit sei ja nicht geholfen
und der ganze Hof brauche doch nicht zu wissen, was
„passirt".
Das leuchtete ihm ein; denn die Schänd, daß die
Fichtenhof-Gundel sich einem „herg'laufenen Taglöhner"
an den Hals geworfen, könnte er nicht überleben, wenn
die Sache weiter bekannt würde.
Polternd ging er endlich in die Kammer, während seine
Frau der Tochter eindringlich zuredete.
Heiner verbrachte eine schlaflose Nacht. Er war in
letzter Zeit so glücklich gewesen, Gundel hatte ihm ihre
Liebe so deutlich gezeigt, der Fichtenhofer selbst ihn bevor-
zugt in jeder Weise, so daß er vollständig vergessen hatte,
welch große Kluft zwischen ihm und der einzigen Tochter
des reichen Hofbauern lag.
Sein verstörtes Aussehen an: nächsten Morgen wurde
der: Nachwehen der Kirchweih zugeschrieben, niemand be-
redete ihn darüber.
Ein Schrecken fubr ihm durch alle Glieder, als er noch
ziemlich früh den Fichtenbauer gegen das Haus kommen
sah. Als jener eintrat, drehte Heiner sich schnell gegen
ihn mn.
Der Bauer schritt mit finsteren: Gesicht und kaum
hörbarem Gruß an den Tisch, legte ein kleines Päckchen
vor den Burschen hin und sagte:
„Da ist Dein noch rückständiger Lohn, i bring 'n selber,
um Dir sage z'könne, daß Du Dich nit mehr in die Gegend
vom Fichtehof verirre sollst, sonst thät ich D'r heimzünde,
daß D'r 's Wiederkomme für Dein Lebtag verging."
Darauf drehte er sich kurz um und polierte zur Thüre
hinaus.
Heiner war bei der brutalen Rede alles Blut in Kopf
geschossen, am liebsten hätte er den „ungeschlachten" Men-
schen erwürgt, aber — es war ja ihr Vater! Von
Gundel lassen? — „ums Lebe nit!" Das „Heimzünden"
sürchtete er auch nicht, vorkommenden Falles hätte er
wieder „gezunden"; aber — was nützte das alles? Da
regte sich auch bei ihm der Stolz, er schaute starr dem
eben um die Ecke biegenden protzigen Bauern nach und
knirschte zwischen den Zähnen durch: „Der soll schon au
noch Respekt vor m'r kriege, dafür will i sorge, so schwätzt
'r g'wiß kei zweit'smal nut m'r." Er drehte sich um und
sah seine Mutter unter der Thüre stehen, die traurig
auf ihn hinschaute.
„Willst mi schelte?" fragte er, wehmütig lächelnd.
Illustrirle Welt.
Susel schüttelte trübselig den Kopf und meinte:
„Sell thät jetzt doch nir meh nutze, aber was wird
d'r Vetter sage?"
„Ja," rief dieser, mit hochrotem Gesichte eintretend,
„was kann m'r da no lang sage? Ebe hat m'r d'r Fichte-
bauer die G'schicht verzählt, un i mein halt, dös wär wieder
e Lehr, daß m'r d'r Kopf nit z'hoch trage sollt, unser
Herrigott sorgt allewiel dafür, daß d'Bäum nit in Himmel
wachse. — Du brauchst drum nit dastehe wie e'n ver-
donnerter Kater un an d' groß Glock brauchst's au nit
hänke, daß Du auf'm Fichtehof d'r Laufpaß kriegt hast,
am 'en andern Ort gibt's au no z'schaffe; als mitgangen
in Wald un einbrennt, daß d' Schwarte krache, sell treibt
d' Mucke 'naus. — So sin ihr jung's Volk," fuhr er
Heiner an, als dieser keine Anstalt machte, ihm nachzu-
kommen, „erst vor Uebermut nit wisse, wo 'naus, un geht
dann nit glei alles, wie ihr's auödenkt hen, no laßt ihr
d'r Kopf hänke."
Auf dem Hofe gab's an diesem Tage nochmals großen
Skandal. Der Bauer hatte verlangt, daß auch Sepp den
Umgang mit Heiner aufgeben solle, und war ganz außer
sich gewesen vor Zorn, als Sepp sich dessen geweigert.
Es war so weit gekommen, daß der Alte mit erhobener
Faust auf den Sohn zustürzte, der trotzig erklärt hatte,
daß er sich lieber als Knecht anderwärts verdingen wolle,
als im Dorfe den Schein erwecken helfen, Heiner hätte sich
auf dem Fichtenhofe irgend etwas Ehrenrühriges zu Schulden
kommen lassen, was unfehlbar die Folge wäre von einen:
gänzlichen Verkehrsabbruch.
Ruhig war Sepp stehen geblieben, um den Faustschlag
zu empfangen, mit der festen Absicht, darnach das Haus
zu verlassen, als ihn seine Mutter, die eben dazu kam,
noch glücklich zur Thür hinaus schob und durch ihr Zu-
reden den schnaubenden Bauern allmälich besänftigte.
Gundel wurde tagelang von ihrem Vater weder eines
Blickes noch eines Wortes gewürdigt, und als Mariann
ihn bat, das Mädchen doch nicht vollends zu „verschühchen"
(scheu zu machen), da sagte er: „Wer mit Bettelvolk
charmirt, der ist nit wert, von e'me Fichtehofer ang'schaut
z'werde."
Die Bäuerin wollte ihm ins Gedächtnis bringen, wie
gern er selber den Bursche:: immer gehabt und wie dieser
ihm gefallen, aber da gab er schroff zur Antwort: „Wer
mir als Taglöhner g'fallt, kann m'r nit als Tochtermam:
passe, sell sollst selber wisse."
Es waren ungemütliche Tage für alle.
Auf dem Felde viel zu schaffen, der zuverlässigste
Arbeiter fehlte, der Bauer schrie und schimpfte den ganze::
Tag.
„'s ist bei uns e Lebe zum Davoulaufe!" klagte Sepp
am darauffolgenden Sonntag seinem Freunde.
Dieser war sehr unglücklich, auch in dem kleinen Häus-
chen hatte das gemütliche Zusammenleben einen Stoß er-
litten. Der alte Velly ärgerte sich über Heiners Nieder-
geschlagenheit und war „unwirsch" wie noch nie. Er trieb
den Burschen von einer Arbeit zur andern und lief mit
vor Aufregung zinnoberrotem Kopfe umher.
Am unglücklichsten aber war Susel. Daß der Bauer
mit der Geschichte nicht zufrieden sein konnte, leuchtete ihr
wohl ein, aber der Heiner war „so ein braver, schöner
Bub", gar so arg hätt's drum der Fichtenhofer „nit mache
brauche".
Ihr kamen die Thränen in die Augen, so oft sie den
Burschen ansah.
„So kann's nit lang mehr fortgehe!" sagte der Vetter
jeden Abend, wenn er mit Heiner aus dem Walde kau:
und dieser, statt wie früher zu singen, zu pfeifen oder
allerlei Spässe zu machen, jetzt trübselig vor sich hin-
brütete. „Kopfhänker un Ofehocker hab i mein Lebtag
noch nie aussteh' könne un so e dummer Streich, wie Du
ein g'macht, wär mir mit achtzeh Jahr durch andere
Streich ausdriewe wore, un sell wär e guts Mittel gsi,
das kannst glaube," schalt er eines Abends heftig auf den
Burschen ein.
In Heiners Alter brauche nun: noch nichts anderes zu
denken, als wie man's anstellen wolle, ein richtiger Mensch
zu werden, und wer mit ihm, den: alten Velly, „gut
Freund" sein wolle, der möge sein Thun und Trachten
darnach einrichten, eiferte er weiter.
Heiner wollte es nach all dem im Dorfe gar nicht
mehr gefallen. Er hatte von jeher seine Neider gehabt,
denn manch anderer wär' im Fichtenhof auch gern „oben
dran" gewesen, es hatte ihn aber keiner „ausstechen"
können, weil alles zu ihn: gehalten.
Jetzt „wurmte" ihn hauptsächlich die schnöde Art, mit
welcher der protzige Bauer ihn behandelt. Die Gundel
hatte er gern gehabt, seit er denken konnte, und niemals
ein Hehl daraus gemacht, warum wurde nun diese That-
sache ihm plötzlich zum Verbrechen gestempelt?
Der Zorn des alten Vetters war ihm auch nicht gleich-
giltig, auch das traurige Gesicht seiner Mutter that ihm
weh, er grübelte Tag und Nacht, wie er aus diesem un-
erträglichen Zustande herauskomme:: könnte. Sein ein-
ziger Trost war nock Sepp, der jede freie Stunde bei ihm
zubrachte und mit dem er alle seine Pläne besprach, und
eines Morgens überraschte er den Vetter und die Mutter
mit der Nachricht, sich freiwillig zum Militär melden zu
wollen.
Susel erschrak, denn es sollte den Soldaten in neuerer
Zeit gar schlecht ergehen. Der Eichberger Franz, der
letztes Jahr war gezogen worden, konnte nicht genug klagen
über schlechtes Essen und strengen Dienst; dem Vetter
aber erschien das Auskunftsmittel nicht übel. Was ein
„Lodrian" wie der Franz schreibe, dürfe man auch nicht
alles glauben, sagte er, davon sei jedenfalls ein gut Teil
übertrieben. Er betrachte es als Glück, daß jetzt jeder
seine eigene Haut zu Markte tragen müsse, dem Franz
seiner schade dies gewiß nichts, hauptsächlich räsonnire der
wohl nur über das Soldatenleben, weil er sich dort in
die Ordnung finden müsse und nicht in allem seinen: eigenen
Kopfe folgen könne.
Der Vetter hatte recht, denn von dem alten Eichberger
überreich mit Geld versehen, fehlte es dem Burschen dort
an nichts als an der Freiheit, seine Tage und Nächte im
Wirtshaus zu verbringen, wie er dies von daheim aus
gewohnt war.
Heiner war achtzehn Jahre alt und groß und stark.
Soldat zu werden, war ihm gewiß, da stimmte ihm der
Vetter, nachdem der Entschluß nochmals gemeinschaftlich
überlegt worden war, bei und leitete die nötigen Schritte ein.
Heiner wurde tauglich befunden und den: Leibgrenadier-
regiment zugeteilt. Als er über seine nächste Zukunft in:
reinen war, kehrte auch sein früherer Humor allmälich
wieder.
Jeden Abend kam Sepp, dessen Umgang mit Heiner,
nachdem er seinem Vater hatte versprechen müssen, keine
Aufträge von oder an Gundel zu übernehmen, von jenem
stillschweigend geduldet wurde. Auch Mariann hatte ein-
mal Susel heimgesucht, um ihr zu sagen, daß durch die
Geschichte ihr beiderseitiger Verkehr nicht leiden solle; vor-
erst konnte Susel es aber nicht übers Herz bringen, den
Hof zu betreten, wo man ihren Heiner nicht mehr dulden
wollte.
Als Heiner einrücken mußte, kam Sepp, um ihn an
die Station zu führen, dies hatte er sich nicht wehren
lassen. Der Abschied von daheim war schwerer, als der
Bursche sich gedacht. Seine Mutter konnte sich in die
Trennung fast nicht finden. Der Vetter hatte ihn auch
noch ein Stück Wegs begleiten wollen, da war ihn: aber
im letzten Moment „etwas ins Aug geflogen", er konnte
nickt recht sehen und mußte beständig wischen, da war's
besser, er blieb daheim.
„Sei brav un komm g'sund wieder," hatte der Alte
beim Abschied gesagt, „un schreib recht oft, denn 's wird
gar still jetzt werde bei uns." Einen tiefen Griff that er
in seinen Sparbeutel, „nit daß d'Brief unfrankirt komme,"
drohte er schmunzelnd mit dem Finger, als er Heiner die
harten Thaler zusteckte.
Susel hatte nur noch nicken können.
Bevor Heiner im Dorfwege verschwand, drehte er sich
nochmals um und sandte den Nachschauenden einen letzten
Gruß hinauf. Unterwegs hatten sich die Freunde noch
viel zu fragen und zu erzählen. Der Abschied an der
Bahnstation war kurz, der Zug stand schon zur Abfahrt
bereit, als die beiden nach genossenem Scheidetrunk dort
ankamen. Frohen Mutes zog Heiner in der Residenz ein
und wurde mit noch einigen Schicksalsgenossen, die unter-
wegs mit ihm zusammengetroffen, in die Kaserne ein-
geführt.
Au Ordnung und Pünktlichkeit von Jugend auf gewöhnt,
waren ihn: diese Eigenschaften „ins Blut übergangen",
und er lebte fick leicht in den Dienst ein.
Kurz zuvor waren preußische Offiziere und Unteroffiziere
zu den badischen Truppen kommandirt worden, um letztere
nach dortigen: Muster „einzutrillen". Es gab viel „bös
Blut" bei der Sache, weil von der einen Seite zu viel
Ueberhebung und von der andern zu wenig guter Wille
beigebracht wurde.
Beim alten Velly daheim hatte es immer auch geheißen:
„nicht mucksen", wenn etwas befohlen oder verboten wurde,
und da Heiner von vornherein den Willen hatte, seine
Pflicht zu thun, ging alles gut. Er hielt etwas auf sein
Aussehen und gefiel sich in der Uniform sehr wohl. Er
zeigte sich überall freundlich und anstellig und sorgte, daß
immer alles blank und sauber war. Seine Vorgesetzten
hatten diese Eigenschaften bald herausgefunden und manches
„Donnerwetter", das einen Nebenmann fast in „Erds-
boden" schlug, ging an ihn: spurlos vorüber. Schon nach
kurzer Zeit konnte er, seiner Mutter zur Freude und den:
Vetter zur Beruhigung, Heimschreiben, daß ihm das
Soldatenleben wohl gefalle und ihm die Montur sehr gut
stehe. Eins aber war doch, das ihm nicht paßte. Der
Eichberger Franz befand sich in der gleichen Compagnie
und zwar seit kurzer Zeit als Gefreiter. Der bösartige
Mensch ließ natürlich keine Gelegenheit entschlüpfen, sich
Heiner gegenüber als Vorgesetzten aufzuspielen und diesen
zu coujoniren und zu drangsaliren. Besonders ging er
darauf aus, den nicht eben sanftmütigen Heiner zum Zorn
zu reizen, um ihn dann wegen Insubordination zur Anzeige
bringen zu können. Schon einigemal war dieser nahe
daran gewesen, loszuschlagen, doch war ihm immer noch
rechtzeitig die Besinnung gekommen.
Eines Tages trafen die beiden wieder aufeinander und
nach kurzem Hinundher war Heiner, der sich nicht länger
halten konnte, im Begriff, seinen ihm höhnisch ins Gesicht
grinsenden Widersacher an der Kehle zu packen, als er