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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 7.1892

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Hauser, Oscar: Die sogenannte wagenbesteigende Frau, ihre Tracht und Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37649#0064
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DIE SOGENANNTE WAGENBESTEIGENDE FRAU,
IHRE TRACHT UND BEDEUTUNG
Über die ursprüngliche Bestimmung, die Composition, ja sogar das Geschlecht
und die Bedeutung der sogenannten wagenbesteigenden Frau, jenes schon lange be-
kannten und berühmten, auf der Akropolis zu Athen gefundenen Reliefs1, ist man
bis heute noch nicht zu einer sicheren Vorstellung gekommen. Vielleicht gelingt
es mir im Folgenden wenigstens die Frage nach dem Geschlecht und der Bedeu-
tung zu lösen, wobei ich zunächst von der Tracht ausgehe, zumal sie es ist, auf
welche man in neuerer Zeit die verbreitete Annahme der Weiblichkeit unserer Figur
besonders stützen zu können vermeint2.
Zwar Julius Braun (Geschichte der Kunst 1858 II S. 188. 549) hatte — freilich
ohne näheres Eingehen — die Gewänder für altionische Männertracht und demnach
die Figur selber für männlich erklärt; auch Michaelis (Der Parthenon 1870 S. 123)
hielt an der Männlichkeit der Figur fest, weil sie vollständig busenlos sei; als männ-
lich wollte sie auch Conze (bei Friederichs-Wolters a. a. O. Anm.) angesehen wissen,
endlich führt auch Helbig (Das homerische Epos2 1887 S. 179 u. Anm. 11) unsere
Relieffigur als einen Wagenlenker an. — Benndorf dagegen (Göttingische gelehrte
Anzeigen 1870 S. 1565) erklärte die wagenbesteigende Figur wegen ihrer Fein-
heit und Zartheit für weiblich; auch für Overbeck (Griechische Plastik I3 S. 152ff.)
und Brunn (Münchener Sitzungsberichte 1870 II S. 212 ff.) steht die Bezeichnung der
wagenbesteigenden Frau fest. Neuerdings ist es, wie gesagt, hauptsächlich die Tracht,
speciell auch die Manteltracht der Figur gewesen, welche die Annahme ihrer Weib-
lichkeit als wahrscheinlich erscheinen liefs. So lesen wir bei Friederichs-Wolters a. a.
O.: »doch halten wir wegen der aufserordentlich zarten Arme und Hände die letzte
Annahme für wahrscheinlich, zumal die Manteltracht kaum für einen Mann
pafst« und ebenda in der Anmerkung: »und die Art den Mantel zu tragen ist echt
weiblich«. Neuestens gar hat Walther Müller in seinen Quaestiones vestiariae (Göttin-
gen 1890) S. 44 behauptet: >>figura, quae in currwn ascendit, non virilis, sed feminea
est propter vestitum. Nam aurigae semper fere longa tunica sola vestiti sunt,

9 Litteratur grofsenteils bei Friederichs-Wolters zu
96 f. Anstatt der fast durchweg nicht genügen-
den Abbildungen stütze ich mich auf den Ber-
liner Abgufs.
2) Für Verwechslungen sicher männlicher Figuren
mit weiblichen eben in Folge der vermeintlich
weiblichen Tracht bietet die Geschichte der
Denkmälererklärung auffallende Beispiele sowohl
aus neuerer, als auch der alten Zeit selber. Ich
erinnere an die Wagenlenker im Parthenonfriese,

die bekannte Geschichte 'bei Pausanias (I, 19, 1)
von Theseus in Mädchentracht, an den von Ro-
bert und Th. Reinach mit Wahrscheinlichkeit
angenommenen Irrtum des Pausanias (VIII, 9, 1
vgl. Jahrbuch 1890 S. 228, 16; Anzeiger 1891
S. 44), welcher den mit langem Chiton und ein-
fach über den Rücken gelegten Überwurf be-
kleideten Apollon der Basis von Mantinea für
eine Muse genommen hatte, wie ja in neuer Zeit
noch mit der »barberinischen Muse« geschah.
 
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