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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 7.1892

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Hauser, Oscar: Die sogenannte wagenbesteigende Frau, ihre Tracht und Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37649#0065
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Hauser, Die sogenannte wagenbesteigende Frau, ihre Tracht und Bedeutung.

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aetate posteriore etiam pallium solum invenitur, nun quam vestitus hujus figurae«.. Wir
werden zeigen, wie unrichtig in allen Hauptpunkten diese Aufstellungen Müllers sind.
Viel vorsichtiger war Boehlau in den Quaestiones de re vestiaria Graecorum (Weimar
1884) zu dem Schlufs gekommen: »ad sexum nmlieris in cnrrum ascendentis ectypi
nobilissimi Attici definiendum periblematis formam nil valerei (S. 34). Wir wären also
— wenigstens von Seiten der Tracht aus — zu dem leidigen Eingeständnis des
»ignorabimus« genötigt, wenn sich nicht zeigen liefse, dafs auch Boehlau bei seiner
sorgfältigen und nützlichen Untersuchung auf einen für unsere Frage nicht unwesent-
lichen Unterschied in der alten griechischen Tracht bei Frauen und Männern und
ihrer Darstellung auf alten Denkmälern nicht genügend geachtet hat.
Vor allem sind die einzelnen Bestandteile der Tracht unserer Figur klarzu-
stellen. Denn nicht einmal hierüber scheint bei allen Archäologen eine sichere und
gleiche Vorstellung zu herrschen. Overbeck nämlich (Plastik I3 S. 154) unterschied
am Gewand der Figur drei Teile: 1) »den ganz feinen Wollenstoff des Untergewandes,
der nur am Ärmel3 sichtbar wird«, 2) »den schwerer faltenden der Hauptbekleidung,
die auf die Fiifse hinabgeht«, 3) »den leinenartig scharf faltenden des dreieckig ge-
legten Umwurfs (Ampechone?)«. Hiebei ist vor allem wohl unrichtig die Unter-
scheidung eines Untergewandes von einer bis auf die Fiifse herabgehenden Haupt-
bekleidung, eine Unterscheidung, welche mit Overbeck noch andere Gelehrte geteilt
zu haben scheinen4. Denn einmal: wie sollte denn diese »Hauptbekleidung« um-
gelegt sein, da am enganliegenden Untergewand, welches am Oberkörper aufser
jenem Überwurf allein zu sehen ist, nach unten keine Unterbrechung wahrgenommen
werden kann? Sodann und hauptsächlich geht aus den Vergleichungen, welche in
neueren Untersuchungen über die welligen Kräuselfalten sowohl an Denkmälern der
Plastik als bei Vasengemälden angestellt worden sind, zur Genüge hervor, dafs es
bei den alten Künstlern gar nichts Ungewöhnliches war, an einem und demselben
Chiton die einen Teile mit jenen welligen, die andern mit einfach geschwungenen
Faltenlinien darzustellen5. Overbeck also und die andern hatten Unrecht, wenn sie
offenbar aus den verschiedenen Faltenlinien am Chiton oben und unten auf zwei ver-
schiedene Gewandstücke: ein »Untergewand« und eine »Hauptbekleidung« schliefsen
zu müssen glaubten. Die Wellenlinien am geknöpften Ärmel und an der Brust
unserer Figur wie überhaupt6 sollen nur den engen An- und Zusammenschlufs des
Chitons darstellen7; denn es soll auch nicht der »ganz feine Wollenstoff« von an-
deren Stoffen durch die angeführten Wellenlinien unterschieden werden, was die

3) In ganz der gleichen Weise übrigens auch an
dem hervortretenden Streifen der Brust.
4) Vgl. Benndorf a. a. O. S. 1566. Er fand »das
Obergewand zwischen den Beinen schlechter-
dings unverständlich«.
5) W. Müller S. 26 Boehlau S. 78.
G) Ein besonders bekanntes Beispiel für diese Ma-
nier der Kräuselfalten auf dem Gebiete der alten

Sculptur bietet der Chiton der sog. Athena des
Endoios (vgl. die Abbildungen bei O. Jahn, De
antiquissimis Minervae simulacris Taf. I No. 2
u- 3)-
7) Vgl- Müller a. a. O., welchem auch Blümner (Deut-
sche Litt. -Ztg. 1891 No. 8 S. 269) wenigstens
hinsichtlich der Erklärung der Kräuselfalten bei-
gestimmt hat.
 
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