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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 7.1892

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Kieseritzky, Gangolf von: Apollo von Naukratis
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https://doi.org/10.11588/diglit.37649#0190
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i8o

Kieseritzky, Apollo von Naukratis.

da sie durch das Herausschälen der anliegenden Fleischtheile gewonnen sind; Augen-
brauen, Augenlider und Pupillen hebt schwarze Farbe hervor. Die schmale Nase
zeigt einen glatten, kantigen Rücken. Die horizontal stehende und rothgefärbte
Mundspalte liegt den Augen parallel; die Oberlippe ist dick, dagegen die Unterlippe
sehr schmal und zurücktretend; noch mehr weicht das wenig hervortretende halb-
mondförmige Kinn zurück. Auf der Oberlippe ist mit schwarzer Farbe ein Schnurrbart
angegeben, zu welchem sich unterhalb der Unterlippe eine schwarze »mouche« 1 fügt.
Der Hals setzt sich dick und kegelförmig auf die abfallenden Schultern; wie
die Brust sich schön vorwölbt, so ist auch der Leib kräftig und von quadratischem
Querschnitt; Schlüsselbeine und Rippen sind nicht angegeben, ebenso zeigt nur eine
feine Linie, von dem wagerecht auf ihr stehenden Halsabsatz ausgehend, die Stelle,
worunter das Brustbein steckt; die Hüften sind noch einmal so schmal als die Schulter-
breite beträgt (0,036 : 0,072). Die Geschlechtstheile treten ohne Vermittelung einer
Flautfalte aus dem Unterleibe hervor, über ihnen ist mit schwarzer Farbe das Scham-
haar in Form eines abwärtsgerichteten Dreiecks mit zackiger Grundlinie angegeben.
Der Knochenbau des Körpers tritt nirgends hervor, ebenso fehlen Nabel und Brust-
warzen, wenn diese nicht etwa einst durch Farbe hervörgehoben waren. Die Ober-
schenkel runden sich kräftig, anders die Glutäen, die verhältnifsmäfsig klein geblieben
sind. Das Kreuz ist sehr wenig eingezogen; auf dem kräftigen Rücken bildet die
wenig vertieft laufende Mittellinie die einzige Gliederung. — Sahen wir bisher das
Können des Künstlers auf einer verhältnifsmäfsig hohen Stufe, so finden wir ihn in
der Wiedergabe des Armes weniger hoch, indem er die Ellenbogenbeuge ganz in
Vorderansicht giebt, während doch die Innenseite der Faust am Oberschenkel anliegt;
es war ihm die Stellung der Muskeln, wie sie die natürliche Stellung des Armes
hervorbringt, zu schwierig, oder besser, er legte überhaupt, wie wir schon sahen,
auf die Ausarbeitung des Körpers gegenüber dem Kopfe weniger Werth. Das tritt
auch darin hervor, wie hier alle drei untersten Gelenke des kleinen Fingers einge-
schlagen sind, statt blos zweier.
Wie der Leser beim Anblick der Tafel schon erkannt haben wird, handelt
es sich hier um eine Wiederholung des sogenannten Apollotypus der ältesten
griechischen Kunst, der uns bisher aus drei von einander verschiedenen Schulen
bekannt war: aus der böotischen, der korinthischen und der von Thera2. Mit der
neuen Statuette blicken wir in eine neue, vierte Schule, die von den obigen scharf

!) Von dieser letzteren sind nur zwei kleine schwarze
Farbflecken übrig geblieben.
2) Aus dem Rahmen dieses Aufsatzes herausfallend
und ablenkend wäre eine auch nur das Wesent-
lichste hervorhebende Angabe der Unterschiede
dieser drei Schulen, darum lasse ich dies bei
Seite, da es zum Verständnifs unserer Statuette
nicht so dringend erforderlich ist. •— In der
nach Druck dieses Aufsatzes in meine Hände

gelangten 4. Auflage von Overbeck’s Geschichte
der griechischen Plastik finden sich jetzt die
stilistischen Unterschiede dieser drei Schulen
behandelt. Mit leichterer Zugänglichkeit des
schon vorhandenen Materiales werden sich wohl
noch einige andere Schulen anfügen lassen, denn
wenn auch der gröfste Theil der betreffenden
Statuen sich in diese Schulen einordnen läfst, so
widersteht dem doch mancher Torso.
 
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