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Wörner, Ernst
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Provinz Rheinhessen: Kreis Worms — Darmstadt, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.18790#0271

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WORMS

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Figur ein Wappenschild mit drei horizontal geteilten Feldern; das oberste hat drei
goldne Türme in Blau, das mittlere ist golden ohne Bild, das untere zeigt in Gold
einen nicht deutbaren Gegenstand von roter Farbe und Linsenform. Der Holz-
rahmen ist augenscheinlich noch der ursprüngliche und von geschmackvoller Form;
er möchte dem Ansehen nach wie das Bild in das 17. Jahrhundert zu setzen sein.
Mit dieser Zeitstellung stimmt das beschriebene Wappen, wenn man die Darstellung
für ein missverstandenes Wappen der Ulner von Dieburg hält. Johann Gerhard
Ulner heiratete 1617 Anna aus der Familie der Kämmerer von Worms gen.
von Dalberg. Er starb 1677 und hatte einen Sohn Franz Blenkard, welcher
pfälzischer Kämmerer war. Das Wappen der Ulner hat ebenfalls drei goldene
Türme in Blau, an Stelle der zwei unteren Felder mit der linsenförmigen Figur
aber vielfach einen Unterbau der Türme mit rundbogigem Thor.

Der gotische Kreuzgang schliesst sich im Norden an die Kirche an. Erhalten Kreuzgang
ist noch der Nordflügel; der Westflügel ist vollständig in ein Haus verwandelt;
nur einige Spitzbögen sieht man noch in der Mauer dieses Hauses; auch an die
Stelle des Ostflügels ist ein Haus getreten, in dessen Westwand noch die Konsolen
stecken, welche einst den zweiten Stock des Kreuzganges trugen. Der Nordflügel
stellt sich als eine zweistöckige Anlage dar, die heute als Magazin dient. Das
Erdgeschoss öffnet sich in sechs spitzbogigen Arkaden nach Süden; die Bögen sind
in Hausteinen aufgeführt. Das obere Stockwerk wird von dem unteren durch eine
flache Decke getrennt, deren Balken auf Steinkonsolen ruhen. Der obere Stock
zeigt zwei teilweise vermauerte grössere spitzbogige Fenster und zwei kleinere Fenster
zu deren Seiten, von denen eines rundbogig, das andere durch einen spitzen Klee-
blattbogen geschlossen ist.

Sagen. Den Ostgiebel bekrönt das von den Stürmen der Zeit arg mitgenommene Sagen
Steinbild eines Adlers, das jedoch die Sage als Gans bezeichnet. An das Bild knüpft
sich nemlich folgende Sage: Im Jahre 1349 wüteten der schwarze Tod, die Geissler-
fahrten und die Judenverfolgungen. Edle Christen, ein Priester darunter, verbargen
viele Juden, aber auf alle Häuser, in welchen ein Jude versteckt war, flog eine
zauberhafte Gans. Der Priester gab seinem Schützling sein Amtsgewand, Niemanden
war bekannt, wer er war, und so hielt derselbe an das Volk eine ergreifende Rede.
»Seht!«, rief er, »auch auf dieser heiligen Kirche, darin gewiss kein Jude ist, sitzt
der Vogel des Mordes!« Das Volk eilte hinaus; auf dem Giebel sah es die ver-
zauberte Gans; das stillte seine Mordlust. Der fremde Prediger ward nicht mehr
gesehen; auf dem Giebel aber blieb die Gans; sie war zu Stein geworden. (Fuchs.)

Eine jüdische Sage will in der Martinskirche die alte Synagoge erkennen;
vor mehr als 1100—1500 Jahren habe hier eine schöne und grosse Synagoge
gestanden, während die Martinsgasse den eigentlichen Hauptteil der Judengasse
gebildet habe. Später seien die Juden auf die heutige Judengasse beschränkt und
die Synagoge in ein christliches Gotteshaus umgewandelt worden. Die ursprüngliche
Bestimmung erkenne man noch daran, dass der Psalmstelle entsprechend die Stufen
abwärts in die Kirche führten, wie es bei Synagogen üblich sei. (Fuchs.)

Litteratur. Quast, Die romanischen Dome des Mittelrheins S. 49. Wagner, Die geistl.
Stifte in Rheinhessen S. 447. Falk, Heil. Mainz S. 184 fF.

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