58 AACHEN.
Obgleich sich zur beständigen Abwehr der Jülich'schen Hoheitsgelüste noch Fehden
aller Art gesellten, Raubritter die Wege unsicher machten und die Pest mit Gewalt ihre
Opfer forderte89, so ist die Entwicklung der jungen Stadt nicht aufgehalten worden, eine
Höhe zu erreichen, die sich nur mit dem Glänze Aachens unter Carl dem Grossen vergleichen
lässt. Eine grossartige Bauperiode verewigt diese Blüthe des 14. Jahrhunderts für immer.
Sie beginnt eigentlich mit jenem das Grass genannten Gebäude, welches als Rathhaus bezeich-
net wird, obgleich die Ausschmückung mit den Statuen der Churfürsten ihm eine nähere
Beziehung zum Reiche gibt.90 Die vielen öffentlichen Brunnen der Stadt — man zählte später
34 — werden 1334 erneuert, die Halle der Tuchwirker, welche schon längst in eine mächtige
Zunft vereint die Märkte Europa's ruhmvoll bezogen, wurde ebenfalls 1338 neu erbaut.91
Aber als ihre Zeit überragend haben wir den Neubau des Rathhauses und den Chorbau des
Münsters zu nennen. Beide rühren von dem verdienten Begiment des Bürgermeisters Chorus
her. Wie weit sich dieser gothische Neubau an den Grundplan des carolingischen Palast-
flügels, der hier stand, anschloss, ist nicht zu sagen. Jedenfalls lassen die Ueberreste, Abbil-
dungen und schriftlichen Nachrichten einen grossartigen Bau voraussetzen.92 Der gothische
Chor des Münsters ist uns in seiner ganzen Kühnheit erhalten. Die alte Choranlage mit der
Doppelcapelle blieb darin stehen, obwol sie auch einen gleichmässigen Umbau scheint erfahren
zu haben. Der neue Chor ward 1413 geweiht.93 Oft mögen die Feuersbrünste eine Be-
stauration verlangt haben; etwas früher ward nach einem Brande der erhöhte Aufbau der
Kuppel vorgenommen und die jetzt verschwundene Catharinencapelle gebaut, ebenso die von
Ludwig von Ungarn 1374 gestiftete jetzt verzopfte ungarische Capelle, ein Werk der um
diese Zeit zahlreich herbeiströmenden Wallfahrer zur Beiwohnung der Heiligthumsfahrten94,
welche Tausende von Pilgern stets herbeiführten. Und da bis 1295 die Pfalzcapelle die ein-
zige Pfarrkirche war, das gesteigerte Bedürfniss aber die Erhebung einiger der vielen Capellen
zu Pfarrkirchen verlangte, so schlössen sich diesen beiden Hauptbauten noch mehrere an,
z. B. derjenige des deutschen Ordens. In Glanz, Reichthum und Macht gelangte Aachen aus
dem 14. in das 15. Jahrhundert, wo ihm in bedenklicherem Umfange die Willkür, Unruhe und
89. In einer Fehde mit der Abtei Cornelimünster verbrannten die Aachener dieselbe schonungslos.
Meyer cap. 33—35.
90. Nach Quix II. 85 ist die jetzt fast verwitterte Inschrift an der Facade zu lesen: urbs. aquensis.
urbs. regalis. Regum. curia, decimo. anno. Das ist im zehnten Jahre nach der Krönung
Ricbard's 1267. Uebrigens beginnt auch eine Sequentia de S. Karolo bei Daniel, Thes.
hymnolog. V. 235, mit denselben Worten.
91. Noppius 110. M. 245.
92. Der um Aachen verdiente Stadtbaumeister Ark hat durch Wegschaffung späterer Zuthaten die Ge-
sammtheit des Baues um Vieles erkennbarer gemacht und zur Vervollständigung dient eme
Ilandzeichnung Dürers von seiner deutschen Reise herrührend auf der Bibliothek zu Paris.
Meyer p. 441 sagt, die Front des Rathhauses prangte mit marmornen Standbildern, ohne freilich
einen Nachweis dafür zu liefern.
93. Noppius p. 21.
94. Quix, Historische Beschreibung der Münsterkirche, p. 36. Ueber die ungeheure Zahl der lleilig-
thumsfahrer im 15. Jahrb. Floss p. 369.
Obgleich sich zur beständigen Abwehr der Jülich'schen Hoheitsgelüste noch Fehden
aller Art gesellten, Raubritter die Wege unsicher machten und die Pest mit Gewalt ihre
Opfer forderte89, so ist die Entwicklung der jungen Stadt nicht aufgehalten worden, eine
Höhe zu erreichen, die sich nur mit dem Glänze Aachens unter Carl dem Grossen vergleichen
lässt. Eine grossartige Bauperiode verewigt diese Blüthe des 14. Jahrhunderts für immer.
Sie beginnt eigentlich mit jenem das Grass genannten Gebäude, welches als Rathhaus bezeich-
net wird, obgleich die Ausschmückung mit den Statuen der Churfürsten ihm eine nähere
Beziehung zum Reiche gibt.90 Die vielen öffentlichen Brunnen der Stadt — man zählte später
34 — werden 1334 erneuert, die Halle der Tuchwirker, welche schon längst in eine mächtige
Zunft vereint die Märkte Europa's ruhmvoll bezogen, wurde ebenfalls 1338 neu erbaut.91
Aber als ihre Zeit überragend haben wir den Neubau des Rathhauses und den Chorbau des
Münsters zu nennen. Beide rühren von dem verdienten Begiment des Bürgermeisters Chorus
her. Wie weit sich dieser gothische Neubau an den Grundplan des carolingischen Palast-
flügels, der hier stand, anschloss, ist nicht zu sagen. Jedenfalls lassen die Ueberreste, Abbil-
dungen und schriftlichen Nachrichten einen grossartigen Bau voraussetzen.92 Der gothische
Chor des Münsters ist uns in seiner ganzen Kühnheit erhalten. Die alte Choranlage mit der
Doppelcapelle blieb darin stehen, obwol sie auch einen gleichmässigen Umbau scheint erfahren
zu haben. Der neue Chor ward 1413 geweiht.93 Oft mögen die Feuersbrünste eine Be-
stauration verlangt haben; etwas früher ward nach einem Brande der erhöhte Aufbau der
Kuppel vorgenommen und die jetzt verschwundene Catharinencapelle gebaut, ebenso die von
Ludwig von Ungarn 1374 gestiftete jetzt verzopfte ungarische Capelle, ein Werk der um
diese Zeit zahlreich herbeiströmenden Wallfahrer zur Beiwohnung der Heiligthumsfahrten94,
welche Tausende von Pilgern stets herbeiführten. Und da bis 1295 die Pfalzcapelle die ein-
zige Pfarrkirche war, das gesteigerte Bedürfniss aber die Erhebung einiger der vielen Capellen
zu Pfarrkirchen verlangte, so schlössen sich diesen beiden Hauptbauten noch mehrere an,
z. B. derjenige des deutschen Ordens. In Glanz, Reichthum und Macht gelangte Aachen aus
dem 14. in das 15. Jahrhundert, wo ihm in bedenklicherem Umfange die Willkür, Unruhe und
89. In einer Fehde mit der Abtei Cornelimünster verbrannten die Aachener dieselbe schonungslos.
Meyer cap. 33—35.
90. Nach Quix II. 85 ist die jetzt fast verwitterte Inschrift an der Facade zu lesen: urbs. aquensis.
urbs. regalis. Regum. curia, decimo. anno. Das ist im zehnten Jahre nach der Krönung
Ricbard's 1267. Uebrigens beginnt auch eine Sequentia de S. Karolo bei Daniel, Thes.
hymnolog. V. 235, mit denselben Worten.
91. Noppius 110. M. 245.
92. Der um Aachen verdiente Stadtbaumeister Ark hat durch Wegschaffung späterer Zuthaten die Ge-
sammtheit des Baues um Vieles erkennbarer gemacht und zur Vervollständigung dient eme
Ilandzeichnung Dürers von seiner deutschen Reise herrührend auf der Bibliothek zu Paris.
Meyer p. 441 sagt, die Front des Rathhauses prangte mit marmornen Standbildern, ohne freilich
einen Nachweis dafür zu liefern.
93. Noppius p. 21.
94. Quix, Historische Beschreibung der Münsterkirche, p. 36. Ueber die ungeheure Zahl der lleilig-
thumsfahrer im 15. Jahrb. Floss p. 369.