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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 36.1920-1921

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Braungart, Richard: Otto Wirsching
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https://doi.org/10.11588/diglit.14150#0074

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ist ein Zyklus von zehn Holzschnitten, die unter
dem Titel „Vom Totentanz anno igis'- zusam-
mengefaßt sind. Die Erinnerung an Holbein
ist hier wohl bewußt wachgerufen. Trotzdem
geben sich diese Blätter schon dem ersten Blick
in jeder Linie als Produkte der Gegenwart zu
erkennen. Wirsching hat mit scharfem Auge
und sicherer Hand das Wesentliche des Krieges
zu fast formelhaften Zeitsymbolen gestaltet;
und man findet in diesen Blättern eine Kon-
zentration des Gedankens und des bildlichen
Ausdruckes, die nur den wenigsten zu erreichen
vergönnt ist. In vielem, vor allem in der mu-
stergültigen Raumbehandlung und in der Präg-
nanz der Ideenformung, diesem Totentanz ver-
wandt sind die Holzschnitte, mit denen Wir-
sching 1918 den Hamlet illustriert hat. Mit dem
traditionellen Theaterhamlet hat diese Bilder-
folge Wirschings allerdings gar nichts zu tun.
Sie ist viel derber, mittelalterlicher und ganz
aus subjektivstem Empfinden heraus gestaltet.
Aber gerade das gibt ihr, neben den hohen
graphischen Qualitäten der Schnitte, ihren be-
sonderen Wert, der nicht von heute auf morgen
durch die wechselnde Mode in Frage gestellt
werden kann. In bestimmtem Sinne gilt das
auch von den ganz skizzenhaft-freien Zeichnun-

gen zu Scheffels „Ekkehard', die allerdings
stilistisch ganz und gar anders geartet sind,
so daß man sie kaum für Arbeiten Wirschings
halten möchte. Auch die Zeichnungen und
Aquarelle, die er von seinen Reisen mitgebracht
hat, sind ohne klar erkennbaren, persönlichen
Stil, an sich aber von hohem Reiz. Wirsching
ist eben als Graphiker nur dann er selbst ge-
wesen, wenn er seine Ideen in Holz schneiden
konnte. Und man muß es deshalb sehr be-
dauern, daß sein letztes Werk dieser Art, die
Holzschnitte zu dem schon erwähnten Äsku-
lapischen Dekameron, unvollendet geblieben ist.
Nur vier Blatt sind fertig geworden. Aber sie
genügen, um uns die Gewißheit zu geben, daß
hier wieder etwas schlechthin Vollendetes ent-
standen wäre. Nun: es hat nicht sollen sein.
Im übrigen sagten wir ja schon, daß es das
Klügste sei, Wirschings Werke trotz allem nicht
als Torso, sondern als ein im wesentlichen voll-
endetes Ganzes zu nehmen. Und wir dürfen
überzeugt sein, daß es gerade deshalb in seinen
Dimensionen dauernd in dem Maße zunehmen
wird, als wir uns zeitlich von ihm entfernen.
Sicher ist jedenfalls, daß es heute schon bei-
nahe historisch, um nicht zu sagen klassisch
wirkt. Richard Braungart

OTTO WIRSCHING HOCHZEITSWAGEN

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