BRUNO GOLDSCHMITT
GOTT SCHWEBT ÜBER DEN WASSERN
Aus der Holzschniitfolge „Die Bibel"
BRUNO GOLDSCHMITTS HOLZSCHNITTE ZUR BIBEL*)
Kein ehrwürdigeres Thema nach Größe des
Stoffes und nach Wucht künstlerischer Ver-
gleichsmöglichkeit kann es für den zeitgenös-
sischen Künstler geben als die Bibel. In ihr
ruht alles und lebt alles, sie ist der unermeß-
liche Kosmos selbst. Irdisches, Allzu-Irdisches
stößt mit Übersinnlichem zusammen. Neben
saftigen Realitäten steigen die rätselvollsten
Symbole empor. Vor urweltlichen Landschaften
spielen sich farbige Begebenheiten ab, der Ton
des Heldenliedes wechselt mit der sanften Weise
der Idylle, und Menschen ziehen herauf mit
erschütternden Schicksalen, Männer in stolzer
Kraft, mit Gesinnungen, die wie Gespenster
aufwachsen und das All erfüllen, Frauen, die
sich ihrer Bestimmung nicht entziehen und die
Männer mitreißen in ihre Geschicke. Über dem
*) „Die Bibel." Eine Folge von 30 Original-Holzschnitten
von Bruno Goldschmitt. Fünf Lieferungen mit je 6 Blatt. Aus-
gabe I (Nr 1 — 5) handkoloriert, vergriffen; Ausgabe II auf
Japan (Nr. 6--50), M. 500. — jede Lieferung; Ausgabelllauf
Bütten (Nr. 51—350) M. 150.— jede Lieferung. München,
F. Bruckmann A.-G.
allen aber das Geheimnis und Rätsel, von ehr-
fürchtigen Schaudern umwittert: das ist das
Buch der Bücher; es speiste eine Religion, die
eine Weltmacht ist; aus ihm ergoß sich eine
Kultur, die zwei Jahrtausende abendländischen
Geschehens bestimmte . . .
Die ersten Zuckungen nachklassischer Kunst
hängen aufs innigste mit Stoffen und Motiven
der Bibel zusammen; viele Jahrhunderte hin-
durch wurden Malerei und Plastik von der
Bibel unumschränkt beherrscht. Das erste Buch,
das man druckte, war die Bibel, und als man
begann, Bücher mit Abbildungen zu schmücken
in der Technik des Holzschnittes, da behauptete
die Bibel ihren Rang. So ,.bildhaft" ist uns die
Bibel durch die Schöpfungen der Künstler aller
abendlichen Länder und aller Zeiten geworden,
daß wir uns kaum eine der Bibelgeschichten
vorstellen können, ohne sie durch eine bildliche
Ausformung zu sehen. Es wird uns, mit anderen
Worten, fast unmöglich gemacht, uns bei dem
Lesen der Bibel aus eigener Vorstellungskraft
Die Kuns: für Alle. XXXVI
185
24
GOTT SCHWEBT ÜBER DEN WASSERN
Aus der Holzschniitfolge „Die Bibel"
BRUNO GOLDSCHMITTS HOLZSCHNITTE ZUR BIBEL*)
Kein ehrwürdigeres Thema nach Größe des
Stoffes und nach Wucht künstlerischer Ver-
gleichsmöglichkeit kann es für den zeitgenös-
sischen Künstler geben als die Bibel. In ihr
ruht alles und lebt alles, sie ist der unermeß-
liche Kosmos selbst. Irdisches, Allzu-Irdisches
stößt mit Übersinnlichem zusammen. Neben
saftigen Realitäten steigen die rätselvollsten
Symbole empor. Vor urweltlichen Landschaften
spielen sich farbige Begebenheiten ab, der Ton
des Heldenliedes wechselt mit der sanften Weise
der Idylle, und Menschen ziehen herauf mit
erschütternden Schicksalen, Männer in stolzer
Kraft, mit Gesinnungen, die wie Gespenster
aufwachsen und das All erfüllen, Frauen, die
sich ihrer Bestimmung nicht entziehen und die
Männer mitreißen in ihre Geschicke. Über dem
*) „Die Bibel." Eine Folge von 30 Original-Holzschnitten
von Bruno Goldschmitt. Fünf Lieferungen mit je 6 Blatt. Aus-
gabe I (Nr 1 — 5) handkoloriert, vergriffen; Ausgabe II auf
Japan (Nr. 6--50), M. 500. — jede Lieferung; Ausgabelllauf
Bütten (Nr. 51—350) M. 150.— jede Lieferung. München,
F. Bruckmann A.-G.
allen aber das Geheimnis und Rätsel, von ehr-
fürchtigen Schaudern umwittert: das ist das
Buch der Bücher; es speiste eine Religion, die
eine Weltmacht ist; aus ihm ergoß sich eine
Kultur, die zwei Jahrtausende abendländischen
Geschehens bestimmte . . .
Die ersten Zuckungen nachklassischer Kunst
hängen aufs innigste mit Stoffen und Motiven
der Bibel zusammen; viele Jahrhunderte hin-
durch wurden Malerei und Plastik von der
Bibel unumschränkt beherrscht. Das erste Buch,
das man druckte, war die Bibel, und als man
begann, Bücher mit Abbildungen zu schmücken
in der Technik des Holzschnittes, da behauptete
die Bibel ihren Rang. So ,.bildhaft" ist uns die
Bibel durch die Schöpfungen der Künstler aller
abendlichen Länder und aller Zeiten geworden,
daß wir uns kaum eine der Bibelgeschichten
vorstellen können, ohne sie durch eine bildliche
Ausformung zu sehen. Es wird uns, mit anderen
Worten, fast unmöglich gemacht, uns bei dem
Lesen der Bibel aus eigener Vorstellungskraft
Die Kuns: für Alle. XXXVI
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