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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 36.1920-1921

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Eisler, Max: Anton Hanak
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Weiss, Konrad: Wilhelm Steinhausen 75 Jahre
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https://doi.org/10.11588/diglit.14150#0199

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entrückte, in sich ruhende und schwebend be-
freite, weiß strahlende Marmormasse. Daß der
Gedanke in einen Menschenleib eingehen mußte,
stand bei dieser Kunst, die ihre Lebensanschau-
ung und ihr Weltgefühl immer nur in einen
Menschenkörper faßt, schon von vornherein
ebenso fest, wie daß er diesmal, froh und schön,
wie er war, einen reifen Frauenkörper zu seinem
Gehäuse wählen mußte. Aber dann, im Schritte
der Arbeit, unter dem Zwange des schaffenden
Blutes, veränderte sich auch diese große Freude
zum „Großen Leid".

Immer ist es hier so. Immer nimmt ein
kleiner, alltäglicher, verschieden gefärbter An-
laß im Fortschritt seiner Verarbeitung allmäh-
lich den schweren Takt dieses Künstlerblutes
an. Und darüber hinaus den größeren kosmi-
schen Rhythmus. Denn die Empfindungsweise
dieses Künstlers ist nur im ersten Augenblick
ihrer leidenschaftlichen Erregung rein persön-
lich, dann erweitert sie sich zum Allgemeinen,
zur Idee. Umsonst müht sich der gefesselte
„Fanatiker", aber der wegessichere „Neuerer"
überschreitet die „Irdischen Grenzen", hört die
„Stimme von oben", er sieht das „Goldene
Antlitz" und er verweilt im „Gebet". Aus
dunklen, triebhaften Gründen heraufgestiegen,
tastet die Empfindung nach der Idee. Und
diesem Zustand der tastenden Berührung beider
Elemente gibt der Bildner die Form. Dies ist
der Prozeß und dies das Erlebnis. Aus dunklen,

strömenden Bewegungen der Seele zu einer
nicht immer restlos klaren Sichtbarkeit geführt,
auch zuletzt noch mannigfach beschwert, nicht
ganz befreit, mehr machtvoll ergriffene Emp-
findung, der die Hand nachspürt, als abgerückte,
abwägende Anschauung, steigert diese Kunst
doch jedes ihrer Werke zu wahrhaft monu-
mentaler Haltung und Würde.

Die Landschaft, in der er haust, die Musik,
die er über alles liebt, und die innere Einsam-
keit, die ihn schaffend umfängt, das sind die
drei Stimmen, die diesen Menschen bewegen,
diesen Künstler aufwärts tragen und in seinem
Werk als die Ursachen von dessen äußerer und
inwendiger Einheit, von dessen sichtbarer und
tönender Macht Gestalt gewinnen.

Niemals hat Österreich einen echteren, eige-
neren und größeren Bildhauer gehabt, und auch
das Ausland kann ihm gegenwärtig nicht seines-
gleichen entgegensetzen.

Anton Hanak ist ein hervorragendes Glied
in der allgemeinen Entwicklung der Kunst.
Immer auf die größten Maßstäbe, auf die Hel-
lenen und auf Michelangelo gerichtet, im Wider-
streit mit Rodin, schreitet der Meister rüstig
und unverdrossen zu den höchsten Zielen fort.
Noch kennen wir sie nicht. Aber sie werden
auf jenem freien Gipfel liegen, wo — geliebt
von den Jüngern der Kunst, verehrt von den
Schreibern der Geschichte — die Gesetzesgeber
des bildenden Schaffens wohnen.

WILHELM STEINHAUSEN 75 JAHRE

r~\as Organische ins Seelische eingekleidet, Über- handene allgemeine Charakter eines Volksteils,
gänge weiter Bezirke in nahen, still berühren- eines bestimmten Volksgeistes. So betrachtet wird
den Formen, sanfte Neigung eines Ackers, die sie Zeugnis einer innerdeutschen, innerreligiösen,
Ackergrenze fast in den tiefen Uferrand fallend, bekennerhaften Entwicklungslinie, die uns Heuti-
schimmernde Fläche des Wassers, ein hoher Hori- gen die Lage des Volkes mittrklärt, seine Schwäche
zont übergehend in milden Himmel, Kreislauf vielleicht, aber eine gute Schwäche deutlich macht,
einer Atmosphäre über der Scholle, ein Halt kaum Denn hier zeigt sich resthaft eine seelische Un-
organisch in der Natur, aber des Wesentlichen verlierbarkeit, größer und deutlicher als in Heimat-
sthnsüchtig gewiß, das ist die irdische Spaltung, künsten, wodurch man sie retten wollte, mehr ge-
lyrische Behaltung von Steinhausens Kunst. schichtlich als naturhaft mit unserem Dasein ver-

Das Lebende ist wie ein dunkler Fittich, trau- wachsen. Denn das Geschieht iche eines Volkes

merisch gewitterhaft unter Wolken schwebend, ist wesentlich -auch für sein Naturhaftes. Und

durch die eine Strahlenordnung der Sonne schießt; Steinhausens stärkere Seite, seine Naturkunst, ist

aber das unbeirrbare Gefühl des Religiösen ist in doch ein Ausfluß, eine Stoffwahl seiner seelischen

lautlosen Gründen geborgen oder siedelt spielend Gestimmtheit im religiösen Organismus und christ-

im irdisch vertrauten himmlischen Garten. lieh noch vorhandenen Zeitgefühl.

Ein spätnazarenisches Gemüt (während sonst Solche Überlegungen sind uns heute allerdings

das Nazarenertum konfessionell in Formalismus meistens fremd. Und wenn nun Gestalten wie

ausging) bildet einen aktiv empfänglichen, paräne- Steinhausen—gerade solche Altersnaturen leben

tischen Charakter. noch patriarchalisch unter uns — in unsere anders-

Wenn ein Meister, wie nun Steinhausen, sein artige Generation hineinragen, so tut schon diese
75. Jahr erreicht hat, so weckt er durch die Länge bloße Tatsache Wirkung. Sie erinnern daran, daß
seinerLebensgemeinschaft mit seinemVolke gleich- in der Kunst Geltenlassen wichtiger ist als eine
artige Empfindungen. Solcher Kunst wird man unfruchtbare Reinheit der Begriffe,
mehr von der allgemeinen geistigen und Gemüts- So lebt nun Steinhausen, 1846 in Sorau (Nieder-
haltung her nahen müssen als von der gewalt- lausitz) geboren, heute in Frankfurt, in den Be-
tätig einzelhaften Kunstleistung. Denn sie ist. so schwerden des Alters, im Nachglanz eines seelisch
sehr sie innig mit dem Empfindungswesen einer bangenden Menschenalters, der sein stilles, bei-
Einzelnatur zusammenhängt, doch der noch vor- seite geschehenes Werk verklärt. Konrad Weiß

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