Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 36.1920-1921

DOI Artikel:
Lindner, Ludwig: Das Kaiser Wilhelm-Museum in Elberfeld
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14150#0177

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
GUSTAV CONZ

SOMMERTAG

DAS KAISER WILHELM-MUSEUM IN ELBERFELD

Die Zeit liegt noch nicht sehr weit zurück,
da man in den Mittelpunkten geistigen
Lebens häufig der Ansicht begegnete, als ob die
Städte der Industriegebiete allen künstlerischen
Dingen gegenüber eine nur begrenzte Anteil-
nahme zeigten. Man meinte wohl, daß im Rauch
und Rädergetriebe der Fabriken und neben den
Zahlenreihen der Geschäftsbücher kein Raum
mehr sei für die tiefe und zarte Beschäftigung
mit der Kunst. Dort, in den Bezirken am Nieder-
rhein, zwischen Lippe und Sieg, glaubte man
das ästhetische Bedürfnis vollkommen erschöpft
in der Umgebung von Makartbuketts, wohlfeilen
Öldrucken oder höchstens von Pendants mit
herzigen Tierköpfen und sinnigen Veduten.

Inzwischen haben jedoch die grauen Fabrik-
städte diese Meinung gründlich zerstört, ja, man
kann heute feststellen, daß hier das Gegenteil
jener ein wenig überheblichen Annahme viel eher
zutreffend gewesen ist. Denn es ist ohne weiteres
ersichtlich, daß die Monotonie des Alltags, das
nüchterne Milieu rastlosen Gewerbfieißes Gegen-
gewichte verlangte, mit deren Hilfe die zu kurz

Die Kunst flu Alle. XXXVI. April 1921 ]

gehaltene Phantasie Nahrung fände. Das nahe
Holland, das in mehr als einer Beziehung Ver-
gleichspunkte mit dem niederrheinischen Gebiet
der Arbeit erkennen läßt, gab von je auch dem
Schmuck der Bürgerstuben Vorbild und Rich-
tung. Die gelegentlich gezeigten Ausstellungen
1 aus Privatbesitz haben bewiesen, mit welchem
1 Takt die Patriziergeschlechter der Industrie-
; Städte oft jene feine und stille Kunst gesammelt
haben, die erst durch die Jahrhundertausstel-
1 lung igo6 in der breiteren Öffentlichkeit bekannt
wurde. Und wenn auch gerade hier eine ge-
1 pflegtere Geschmackskultur, die leitend und kor-
rigierend die Auswahl bestimmt hätte, in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermißt
wird, so liegen die Gründe dafür in der allge-
i meinen Verwirrung dieser Zeit und ferner darin,
l daß ausschließlich Düsseldorf, die einstmalige
Zentrale aller geistigen Strömungen, mit seiner
; unantastbar akademischen Kunst die Fabrik-
i Städte des Hinterlandes generationenlang mit
Werken eines spießig-trockenen, novellistischen
: Genres versorgte.

161 21
 
Annotationen