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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 58.1942-1943

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Curtius, Ludwig: Bildwerke von Hans Wimmer
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https://doi.org/10.11588/diglit.16491#0046

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spanische Könige ihren Malern stille hielten, er-
scheint in diesem Porträt plötzlich so menschlich, wie
ihn noch keiner gesehen.

In jedem dieser Werke, die unahhängig nebenein-
ander stehen, weil sie gar keine äußerliche Manier
verbindet, ist ein bestimmter Charakter menschlicher
Erscheinung geschaffen, der deshalb so überzeugend
wirkt, weil er mit den einfachsten Mitteln ausge-
drückt ist, die ganz der Sprache des Künstlers ange-
hören. Vor der kleinen Bronzestatuette des Bronze-
gießers mag man sieb an Peter Vischers Statuette
vom Sebaldusgrab in Nürnberg erinnert fühlen, aber
das Naturerlebnis ist ein ganz anderes. Die Knaben-
figur kann durch Erfahrungen des Künstlers vor der
Antike in Italien angeregt sein, aber sie ist frischer als
alle die unzähligen klassizistischen Versuche, die wir
kennen. Die Mädchenfiguren wären nicht möglich,
wenn nicht Minne und Lehmbruck vorausgegangen
wären, aber sie sind viel schlichter als ihre Werke.
Der Versuch, der über ein Hindernis setzenden Reiter-
figur, ist überhaupt noch nie gewagt worden, und bei
ihm sind wir nicht ganz sicher, ob er schon gelungen
ist. Auch das Porträt des Duce hat keinen Vorläufer,
wenn es nicht das Römische Porträt ist, und vor ihm
mag man an Rodin oder an Adolf Hildebrand, die
großen Antipoden, zurückdenken, um sich klar zu
machen, welche Stilwandlung sich seither vollzogen
hat.

Wir leugnen freilich den Stilwandel als unsichtbare,
unpersönliche hinter dem Künstler stehende Zeit-
macht. Stil wird nicht von der vergänglichen Zeit ge-
schaffen, sondern immer nur von der einzelnen künst-
lerischen Persönlichkeit, die freilich in der Tradition
der Zeit steht, die von anderen künstlerischen Indi-
viduen bestimmt ist. Aber die von Adolf Hildebrand
ausgehende Tradition Münchens, deren verehrungs-
würdige, sie weiterbildende Träger Bleeker und Wak-
kerle sind, erklärt für Hans Wimmer nur wenig. Er
erscheint uns als eine plastische Urbegabung, deren
Geheimnis die Geburt ist. Aus der ungebrochenen
Naivität seiner künstlerischen Phantasie entstehen
diese Jünglingsfiguren, die in einer von so vielen
Widersprüchen gequälten Zeit etwas von der unmit-
telbaren Einfachheit der Antike haben. Da spielt kein
Pathos rethorischer Zeitideen mit, keine einem ver-
gangenen Stil entliehene Pose, da gibt es kein Schie-
len nach einer anderen gelungenen Wirkung. Man
könnte sagen, daß dies bayerisch wäre und könnte an
die niederbayerische Heimat des Künstlers erinnern.
Aber die geläuterte Form seiner Figuren hat alles
Bäurische hinter sich gelassen und alle Gefahren des
Schauspielerischen, die gerade das Bayerische um-
lauern.

Aber, um zu unseren Eingangsworten zurückzu-
kehren, wer diese Werke Hans Wimmers nur von der
Empfindungsseite her auf sich wirken läßt, wird sie
kaum richtig erfahren. Die Schlagkraft und Eindring-
lichkeit ihrer inhaltlich seelischen Gebärde, die den
Betrachter gefangen nimmt, hat deshalb gar nichts
Sentimentales an sich, weil sie nicht am Anfang der
künstlerischen Vision steht, sondern als ihr Resultat
am Ende. Wimmer selbst sagte einmal in einer jener
Stunden der Niedergeschlagenheit, durch deren rei-
nigendes Fegefeuer jeder große Künstler immer wie-

der durch muß, die Plastik sei doch eine verzweifelte
Angelegenheit. Der nackte menschliche Körper, ja,
die Figur überhaupt, gewähre so wenige künstlerisch
brauchbare Motive, und diese seien alle schon irgend
einmal glänzend gelöst worden. Der Malerei erschlös-
sen sich immer neue Gebiete der sichtbaren Welt, der
Architektur stelle das sich verändernde Leben der
menschlichen Gemeinschaft immer neue Aufgaben,
aber der menschliche Körper bleibe immer derselbe,
und gerade die Verwendungen, in denen er sich in
dem modernen technischen Zeitalter so glorios be-
währt, könne zwar der Dichter schildern, aber für
den Plastiker seien sie unbrauchbar. Wimmers eige-
nes Werk widerlegt ihn. Von den vielen Überlegungen
über das Wesen der Plastik, die man anstellen kann,
zu denen aber hier kein Raum ist, steht jedenfalls
eine am Anfang, nämlich die, daß Plastik die Kunst
der einen Körper begrenzenden und als solchen ihn
erst schaffenden Oberfläche ist. Was für den Dichter
das Wort ist, nicht das einzelne, sondern das zusam-
menhängende Wort mit seinem Klang und seiner Be-
fehlsgewalt über die Phantasie, was für den Musiker
der Ton, nicht der einzelne, sondern die Melodie mit
Rhythmus und symphonischer Farbe ist, die Empfin-
dungen hervorruft, deren Abstufungen nur ihre
Zaubermacht auslösen kann, das ist die Gestaltung
der Oberfläche, ihr innerer Zusammenhang, ihr Da-
hingleiten von Licht zu Schatten und von Schatten
zu Licht für den Bildhauer und seinen neuen
künstlerischen Körper, der scheinbar alles der Natur
entlehnt, aber ihr vor allem eines verleiht, was sie,
die Vergängliche, nicht besitzt: Dauer. Diese Führung
der Oberfläche das ist jedesmal der neue Stil der Zeit,
das ist jedesmal die eigenste persönliche künstlerische
Leistung. Alles andere, Bewegungsmotiv, seelischer
Ausdruck, Ähnlichkeit des Porträts, alles neue Wol-
len, alle Gärung der Zeit, alles individuelle künst-
lerische Bekenntnis kommt nur durch sie zustande
und muß stumm bleiben ohne sie. Wenn wir es unter-
nehmen wollten, wozu hier der Platz fehlt, das We-
sen des besonderen Stils Wimmers zu beschreiben, so
würden wir bald gewahren, daß in den innersten
Gründen des bildnerischen Vorgangs das Wort ein
müder Jagdhund ist. Nur das für sie empfindliche
Auge, nur die an den Flächen entlanggleitende Hand
mag nachfühlen, wie sie an der Figur des Speer-
werfers von den knappen Beinen zu dem mageren
und doch so wunderbar saftigen Unterkörper auf-
steigen und sich nachher über die Brust verbreiten.
Auch noch das Gesicht bleibt ganz in ihrem Zusam-
menhang. Für die Statuette des Bronzegießers kann
vielleicht der Ausgangspunkt die Freude gewesen
sein, daß es so einen biederen handfesten handwerk-
lichen Menschen auf der Welt gibt. Aber, wäre dieser
dürr und mager, so wäre nicht viel mit ihm anzustel-
len. Nun ist er aber so prachtvoll rund und massiv
und wird mit den Flächen seines Mantels zu einem
wahren Experiment eines menschlichen Kubus, bis
auf die Lederfäustlinge und die Mütze. In ein paar
Flächen nur ist die Gestalt des Mädchens eingefan-
gen, aber wie rieselt in ihnen das Leben der geschmei-
digen Gestalt von oben nach unten, wie steigt es wie
ein Springquell von unten nach oben.
Für das letzte Meisterwerk Wimmers, die Büste des

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