unter dem römischen Himmel mit Feder und Pinsel
die Bäume, die Poussin in ihren Stämmen, Kronen.
Zweigen und Blättern als beseelte Wesen erschienen
und die Claude beobachtend und graphisch zeich-
nend in ihren Schatten und Umrissen erfühlte. Pous-
sin erlebte die Natur wie das Schicksal der Menschen
von innen her. Claude atmete ihren Frieden und
wiegte sich in ihrem Glück. Er arbeitete auch mit der
Radiernadel und zergliederte und zerteilte die For-
men, während bei Poussin das Einzelne malerisch
zum lebendigen Ganzen verwächst. Claude tastet sich
in der Zeichnung vom Rande der Mitte zu, wo Pous-
sin den Kern dehnt und weitet zum Unbegrenzten,
das der Rahmen immer nur in einem Ausschnitt faßt.
Am Abend ihres Lebens haben Poussin und Claude
einen Zyklus von Jahres- und Tageszeiten gemalt.
Poussin, der 1594 bei Andelys an der Seine geboren
wurde, vollendete die vier Bilder kurz vor seinem
Tode 1665, Claude, der von 1600 bis 1682 lebte, in
den Jahren 1661, 1665, 1667 und 1672. Poussin maß
das Leben und den Wandel der Natur nach dem Gang
der Gestirne und der Drehung der Erde um die Sonne.
Claude aber ließ sich vom Reigen der Stunden durch
den Tag zum Abend führen und setzte dem Bilde des
Ewigen das Gleichnis des menschlichen Lebens ent-
gegen. Bis tief in die Nacht, erzählt Sandrart, blieb er
draußen in der Campagna, „damit er die Tagröte, der
Sonne Auf- und Niedergang, neben den Abendstun-
den recht natürlich zu bilden erlernte". Das Zykli-
sche und Rhythmische war eine Bild- und Denkform
des Barock, der Ebbe und Flut von Zeit und Raum
im Wogengang der Jahres- und Tageszeiten miter-
lebte. Pieter Breughel malte nach der Zeitteilung der
mittelalterlichen Stundenbücher die Monate. Poussin
und Claude vereinfachten und sammelten die Zwölf-
zahl der Reibung zum Akkord der vier Zeiten.
Die Jahreszeiten und die Tageszeiten zeigen Poussin
und Claude auf der Höhe ihrer künstlerischen Selbst-
erfüllung, und zugleich sind sie in der Größe des zu-
sammenklingenden Entgegengesetzten ein einiges
Denkmal der Zeit. Aber wenn sich im 17. Jahrhun-
dert zeitverwandte Geister wie Rubens und Rem-
brandt, Veläzquez und Murillo, Reni und Quercino
oder Corneille und Racine, Locke und Leibniz im Stil
ihrer persönlichen Anschauungen. Methoden und
Ausdrucksmittel denkbar voneinander unterschieden,
ähnelten sich Poussin und Claude wie Borromini und
Bernini oder Bach und Händel in der Erscheinung
ihrer Bildformen und im Ton der Empfindung. Diese
Übereinstimmung der Haltung bei großer Gegensätz-
lichkeit des Persönlichen verband die beiden franzö-
sischen Meister, die sich von ihrer römischen Umge-
bung völlig absonderten, zu einem gemeinsamen
Schulbegriff, den die Nachfolger ungeteilt aufnah-
men und weiterentwickelten. Die Jahreszeiten von
Poussin befinden sich im Louvre in Paris vereint, die
Tageszeiten von Claude, früher in Kassel, gelangten
1814 in die Eremitage in Petersburg. Beide Maler
wählten Legenden des Alten Testamentes zur Be-
lebung der Landschaft, die mit Ausnahme des Win-
ters in die idyllische Weise der Pastoralpoesie ein-
stimmen. Poussin wechselte von Bild zu Bild den
Charakter der Erfindung und Gestaltung, daß seine
Jahreszeiten wie vier selbständige Sätze einer Sym-
phonie aufeinanderfolgen. Claude aber variierte das
eine Thema Bäume, Tempel, Himmel nur in der
Schattierung des Lichtes und der Tonhöhe der Far-
ben. Die Jahreszeiten verändern die Erde, während
die Tageszeiten nur wie ein malerischer Schein über
die Landschaft wegziehen.
Der Frühling Poussins ist das Paradies mit dem ersten
Menschenpaar, der Morgen Claudes ein Elysium mit
der poetischen Begegnung Jakobs mit Rahel und den
weidenden Schafen, gebadet in silbernen Morgen-
schein. Adam und Eva ruhen umgeben von dichtem
Gebüsch unter den Bäumen als Geschöpfe der Erde
und mit ihr verwachsen wie die Bäume selbst, die ihre
hellgrünen Kronen fächerig in die Luft erheben
und die geschwellt sind vom Saft der malerischen For-
mung und der Belebung der feinsten Zweige und
Blätter. Die Bäume geben der Erde ihr Antlitz.
Claudes Menschen und Bäume sind nicht eigentlich
der Erde entsprossen, sondern aus einem dichterischen
Gefühl auf die Bühne gesetzt. Seine Landschaft ist
ein Schauspiel des Lichtes und der Wolken und der
leisen Nebel, die sich heben und entschleiern. Claude
sieht das Werden des Lichtes, wo Poussin das klare
Sein erfaßt. Aus einer Gesamtergriffenheit der Natur
gegenüber läßt er in der einmaligen Landschaft den
Gedanken an die kosmische Welt aufsteigen. Er be-
harrt bei dem Sosein des Bildes und der Formung und
zwingt den Geist des Beschauers zum Beharren.
Claude flieht das Sein und wandelt sich im Werden
der Stunden und ihrer Stimmungen und Empfindun-
gen.
Der Sommer Poussins ist ein Erntebild aus der Cam-
pagna mit Porträtzügen der römischen Natur. Grup-
pen von Erntearbeitern schneiden das Korn, Mägde
bereiten im Schatten des Baumes das Mahl, ein Dudel-
sackpfeifer spielt sein Lied, ein Viergespann stampft
die Ähren. Im Vordergrund wird die schöne Ernte-
legende von Boas und Ruth erzählt. Die Figuren des
Bildes sind durch einen rhvthmischen Wechsel des
Maßstabes und eine getragene Linienführung ver-
bunden. Schichtweise und langsam gleitet die Land-
schaft nach der Tiefe zu. Die feierliche Ruhe ergibt
sich aus dem Gleichgewicht der Bewegtheit, die sich
selbst aufhebt. Auch Claudes Mittag ist ein Bild der
Stille. Es ist die Stunde, da Werden und Vergehen
sich die Waage halten und Pan den Atem anhält.
Nähe und Ferne verschwimmen in eins. Müde neigt
sich die Krone des Baumes über das Wasser. Im Wasser
badet eine Kuh. Umgeben von weidenden Schafen und
Ziegen ruhen Maria und Joseph auf ihrer Flucht. Uber
die Brücke läuft ein Hirte den fliehenden Schafen
nach und leitet den Blick zum Anfang des Bildes zu-
rück, zu dem Tempel mit den vier Säulen. Poussin
dichtete eine Ode. Claude eine Elegie, wo nicht der
Vers, sondern der Ton der fließenden Worte die Stim-
mung erweckt.
In seinem Herbst nähert sich Poussin dem Abend
von Claude. Denn, wenn er sonst die Natur willen -
mäßig zum Bild gestaltet, läßt er sich hier von einer
Empfindung traurigen Vergehens tragen. Der Herbst
ist trüb und melancholisch, der Abend klar und feier-
lich wie der Morgen oder der Mittag. Die Bilder
Poussins sind Bekenntnisse der Alterserfahrung.
Claude verschließt seine Menschlichkeit vor der Welt
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die Bäume, die Poussin in ihren Stämmen, Kronen.
Zweigen und Blättern als beseelte Wesen erschienen
und die Claude beobachtend und graphisch zeich-
nend in ihren Schatten und Umrissen erfühlte. Pous-
sin erlebte die Natur wie das Schicksal der Menschen
von innen her. Claude atmete ihren Frieden und
wiegte sich in ihrem Glück. Er arbeitete auch mit der
Radiernadel und zergliederte und zerteilte die For-
men, während bei Poussin das Einzelne malerisch
zum lebendigen Ganzen verwächst. Claude tastet sich
in der Zeichnung vom Rande der Mitte zu, wo Pous-
sin den Kern dehnt und weitet zum Unbegrenzten,
das der Rahmen immer nur in einem Ausschnitt faßt.
Am Abend ihres Lebens haben Poussin und Claude
einen Zyklus von Jahres- und Tageszeiten gemalt.
Poussin, der 1594 bei Andelys an der Seine geboren
wurde, vollendete die vier Bilder kurz vor seinem
Tode 1665, Claude, der von 1600 bis 1682 lebte, in
den Jahren 1661, 1665, 1667 und 1672. Poussin maß
das Leben und den Wandel der Natur nach dem Gang
der Gestirne und der Drehung der Erde um die Sonne.
Claude aber ließ sich vom Reigen der Stunden durch
den Tag zum Abend führen und setzte dem Bilde des
Ewigen das Gleichnis des menschlichen Lebens ent-
gegen. Bis tief in die Nacht, erzählt Sandrart, blieb er
draußen in der Campagna, „damit er die Tagröte, der
Sonne Auf- und Niedergang, neben den Abendstun-
den recht natürlich zu bilden erlernte". Das Zykli-
sche und Rhythmische war eine Bild- und Denkform
des Barock, der Ebbe und Flut von Zeit und Raum
im Wogengang der Jahres- und Tageszeiten miter-
lebte. Pieter Breughel malte nach der Zeitteilung der
mittelalterlichen Stundenbücher die Monate. Poussin
und Claude vereinfachten und sammelten die Zwölf-
zahl der Reibung zum Akkord der vier Zeiten.
Die Jahreszeiten und die Tageszeiten zeigen Poussin
und Claude auf der Höhe ihrer künstlerischen Selbst-
erfüllung, und zugleich sind sie in der Größe des zu-
sammenklingenden Entgegengesetzten ein einiges
Denkmal der Zeit. Aber wenn sich im 17. Jahrhun-
dert zeitverwandte Geister wie Rubens und Rem-
brandt, Veläzquez und Murillo, Reni und Quercino
oder Corneille und Racine, Locke und Leibniz im Stil
ihrer persönlichen Anschauungen. Methoden und
Ausdrucksmittel denkbar voneinander unterschieden,
ähnelten sich Poussin und Claude wie Borromini und
Bernini oder Bach und Händel in der Erscheinung
ihrer Bildformen und im Ton der Empfindung. Diese
Übereinstimmung der Haltung bei großer Gegensätz-
lichkeit des Persönlichen verband die beiden franzö-
sischen Meister, die sich von ihrer römischen Umge-
bung völlig absonderten, zu einem gemeinsamen
Schulbegriff, den die Nachfolger ungeteilt aufnah-
men und weiterentwickelten. Die Jahreszeiten von
Poussin befinden sich im Louvre in Paris vereint, die
Tageszeiten von Claude, früher in Kassel, gelangten
1814 in die Eremitage in Petersburg. Beide Maler
wählten Legenden des Alten Testamentes zur Be-
lebung der Landschaft, die mit Ausnahme des Win-
ters in die idyllische Weise der Pastoralpoesie ein-
stimmen. Poussin wechselte von Bild zu Bild den
Charakter der Erfindung und Gestaltung, daß seine
Jahreszeiten wie vier selbständige Sätze einer Sym-
phonie aufeinanderfolgen. Claude aber variierte das
eine Thema Bäume, Tempel, Himmel nur in der
Schattierung des Lichtes und der Tonhöhe der Far-
ben. Die Jahreszeiten verändern die Erde, während
die Tageszeiten nur wie ein malerischer Schein über
die Landschaft wegziehen.
Der Frühling Poussins ist das Paradies mit dem ersten
Menschenpaar, der Morgen Claudes ein Elysium mit
der poetischen Begegnung Jakobs mit Rahel und den
weidenden Schafen, gebadet in silbernen Morgen-
schein. Adam und Eva ruhen umgeben von dichtem
Gebüsch unter den Bäumen als Geschöpfe der Erde
und mit ihr verwachsen wie die Bäume selbst, die ihre
hellgrünen Kronen fächerig in die Luft erheben
und die geschwellt sind vom Saft der malerischen For-
mung und der Belebung der feinsten Zweige und
Blätter. Die Bäume geben der Erde ihr Antlitz.
Claudes Menschen und Bäume sind nicht eigentlich
der Erde entsprossen, sondern aus einem dichterischen
Gefühl auf die Bühne gesetzt. Seine Landschaft ist
ein Schauspiel des Lichtes und der Wolken und der
leisen Nebel, die sich heben und entschleiern. Claude
sieht das Werden des Lichtes, wo Poussin das klare
Sein erfaßt. Aus einer Gesamtergriffenheit der Natur
gegenüber läßt er in der einmaligen Landschaft den
Gedanken an die kosmische Welt aufsteigen. Er be-
harrt bei dem Sosein des Bildes und der Formung und
zwingt den Geist des Beschauers zum Beharren.
Claude flieht das Sein und wandelt sich im Werden
der Stunden und ihrer Stimmungen und Empfindun-
gen.
Der Sommer Poussins ist ein Erntebild aus der Cam-
pagna mit Porträtzügen der römischen Natur. Grup-
pen von Erntearbeitern schneiden das Korn, Mägde
bereiten im Schatten des Baumes das Mahl, ein Dudel-
sackpfeifer spielt sein Lied, ein Viergespann stampft
die Ähren. Im Vordergrund wird die schöne Ernte-
legende von Boas und Ruth erzählt. Die Figuren des
Bildes sind durch einen rhvthmischen Wechsel des
Maßstabes und eine getragene Linienführung ver-
bunden. Schichtweise und langsam gleitet die Land-
schaft nach der Tiefe zu. Die feierliche Ruhe ergibt
sich aus dem Gleichgewicht der Bewegtheit, die sich
selbst aufhebt. Auch Claudes Mittag ist ein Bild der
Stille. Es ist die Stunde, da Werden und Vergehen
sich die Waage halten und Pan den Atem anhält.
Nähe und Ferne verschwimmen in eins. Müde neigt
sich die Krone des Baumes über das Wasser. Im Wasser
badet eine Kuh. Umgeben von weidenden Schafen und
Ziegen ruhen Maria und Joseph auf ihrer Flucht. Uber
die Brücke läuft ein Hirte den fliehenden Schafen
nach und leitet den Blick zum Anfang des Bildes zu-
rück, zu dem Tempel mit den vier Säulen. Poussin
dichtete eine Ode. Claude eine Elegie, wo nicht der
Vers, sondern der Ton der fließenden Worte die Stim-
mung erweckt.
In seinem Herbst nähert sich Poussin dem Abend
von Claude. Denn, wenn er sonst die Natur willen -
mäßig zum Bild gestaltet, läßt er sich hier von einer
Empfindung traurigen Vergehens tragen. Der Herbst
ist trüb und melancholisch, der Abend klar und feier-
lich wie der Morgen oder der Mittag. Die Bilder
Poussins sind Bekenntnisse der Alterserfahrung.
Claude verschließt seine Menschlichkeit vor der Welt
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