Friedrich Schüz. Rom, Quirinal
Große Deuische Kunstausstellung München 1943
ein rein „statischer"" in der Urbedeutung dieses
Wortes.
So ist grundlegend die leichte Verdickung der Säule
nach unten der Ausdruck der Anpassung an die Zu-
nahme des Eigengewichts, während die Schwellung
nach der Mitte zu, die „Entasis", der Knickbeanspru-
chung entspricht, die hier stärkere Querschnitte ver-
langt.
Fragt man sich nun, welchen Sinn die bei der dori-
schen Säule zuerst auftretenden Kannelüren besitzen,
so sind sie nicht nur keine Durchbrechung dieser tech-
nischen Zweckgestalt, sondern stellen offenbar die
nach dem eben erwähnten Urgefühl berechtigte noch-
malige Betonung dieser Zweckform durch das Linien-
bündel der zusammenstoßenden Kanten, bzw. die ent-
sprechenden Schattenwirkungen der Auskehlungen
dar. (Ein bezeichnendes Gegenstück hierzu ist die
glatte Barocksäule, die eben nicht diese Ausdrucks-
möglichkeit besitzt, weil die Rundung eine gewisse
Verschwommenheit mit sich bringt und die deshalb
auch eine stärkere Entasis aufweisen muß.)
Einen Widerstreit zwischen dieser Zweckform und
dem Schmuckbedürfnis läßt die kleine Fabel von
Lessing „Der Besitzer des Bogens" erkennen. Ein
Mann hatte einen trefflichen Bogen, mit dem er sehr
weit und sicher schoß und den er ungemein wert
hielt. Da alle seine Zierde die Glätte war und er dem
Mann so ein wenig plump vorkam, ließ dieser vom
Künstler ein Jagdbild in den Bogen schnitzen. Der
Mann war voller Freude: „Du verdienst diese Zier-
arten, mein lieber Bogen"; als er ihn aber versucht
und spannt, zerbricht der Bogen.
Nun hat die Säule im Laufe der Zeit eine Entartung
durchgemacht, die sich — abgesehen vom Alter-
tum — in der Romantik ausspricht. Wie besonders
die Reste der Kaiserpfalz in Wimpfen am Neckar zei-
gen, wo nebeneinander die „Knotensäule" und die
„Schraubensäule" verwendet sind, wird hier beide-
mal ein aus der Zugbeanspruchung von Seilen her-
rührendes und hierfür sehr eindrucksvolles Motiv
nicht nur sinnlos, sondern geradezu sinnwidrig auf
einen auf Druck beanspruchten und demgemäß aus
einem entsprechenden Werkstoff hergestellten Kör-
per übertragen. Diese Entwicklung findet ihren Ab-
schluß in der „Korkziehersäule" des Barocks, die jetzt
überhaupt nichts mehr tragen kann und auch nur
noch als Schmuckform verwendet wird, also gleich-
sam zum Zerrbild einer Säule und gleichzeitig zu
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Große Deuische Kunstausstellung München 1943
ein rein „statischer"" in der Urbedeutung dieses
Wortes.
So ist grundlegend die leichte Verdickung der Säule
nach unten der Ausdruck der Anpassung an die Zu-
nahme des Eigengewichts, während die Schwellung
nach der Mitte zu, die „Entasis", der Knickbeanspru-
chung entspricht, die hier stärkere Querschnitte ver-
langt.
Fragt man sich nun, welchen Sinn die bei der dori-
schen Säule zuerst auftretenden Kannelüren besitzen,
so sind sie nicht nur keine Durchbrechung dieser tech-
nischen Zweckgestalt, sondern stellen offenbar die
nach dem eben erwähnten Urgefühl berechtigte noch-
malige Betonung dieser Zweckform durch das Linien-
bündel der zusammenstoßenden Kanten, bzw. die ent-
sprechenden Schattenwirkungen der Auskehlungen
dar. (Ein bezeichnendes Gegenstück hierzu ist die
glatte Barocksäule, die eben nicht diese Ausdrucks-
möglichkeit besitzt, weil die Rundung eine gewisse
Verschwommenheit mit sich bringt und die deshalb
auch eine stärkere Entasis aufweisen muß.)
Einen Widerstreit zwischen dieser Zweckform und
dem Schmuckbedürfnis läßt die kleine Fabel von
Lessing „Der Besitzer des Bogens" erkennen. Ein
Mann hatte einen trefflichen Bogen, mit dem er sehr
weit und sicher schoß und den er ungemein wert
hielt. Da alle seine Zierde die Glätte war und er dem
Mann so ein wenig plump vorkam, ließ dieser vom
Künstler ein Jagdbild in den Bogen schnitzen. Der
Mann war voller Freude: „Du verdienst diese Zier-
arten, mein lieber Bogen"; als er ihn aber versucht
und spannt, zerbricht der Bogen.
Nun hat die Säule im Laufe der Zeit eine Entartung
durchgemacht, die sich — abgesehen vom Alter-
tum — in der Romantik ausspricht. Wie besonders
die Reste der Kaiserpfalz in Wimpfen am Neckar zei-
gen, wo nebeneinander die „Knotensäule" und die
„Schraubensäule" verwendet sind, wird hier beide-
mal ein aus der Zugbeanspruchung von Seilen her-
rührendes und hierfür sehr eindrucksvolles Motiv
nicht nur sinnlos, sondern geradezu sinnwidrig auf
einen auf Druck beanspruchten und demgemäß aus
einem entsprechenden Werkstoff hergestellten Kör-
per übertragen. Diese Entwicklung findet ihren Ab-
schluß in der „Korkziehersäule" des Barocks, die jetzt
überhaupt nichts mehr tragen kann und auch nur
noch als Schmuckform verwendet wird, also gleich-
sam zum Zerrbild einer Säule und gleichzeitig zu
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