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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1882

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Sepp, ...: Verfehlte Kunstmotive in der Auffassung der Kreuzwegstationen, [2]: Vortrag von Prof. Dr. Sepp, gehalten im Kunstgewerbeverein am 3. Januar 1882
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Verfehlte Kunstmotive in der Auffassung der Kreuzwegstationen.

Vortrag von Prof. Or. Sepx, gehalten im Aunstgewerbeverein am 3. Januar ;882. (Schluß.)

f(£Jv Verfall der religiösen Aunst ist ebenso hand-
greiflich, als tief bedauerlich, und äußert sich
hauptsächlich in deit peinlichen Darstellungen der
Leidensgeschichte. Bei unfern Passionsbildern in
Skulptur wie Malerei ist feit anderthalb Jahr-
hunderten eine Veränderung, wahrlich nicht zum Bessern
eingetreten. Die alten Leidensstationen, so bei A. Dürer,
waren mit der Todesangst Lhristi am Delberg eröffnet
(unser perr in der Rast bildet bei unserm Nürnberger
Meister eine eigene Station) und schlossen mit der Auf-
erstehung. Dürer läßt zuerst aus - künstlerischen Motiven
den peiland inmitten des Bildes unter der Last des Areuzes
zusammensinken, um aller Augen auf ihn zu ziehen, was
Raphael ihm nachthat. Das Evangelium und die frühere
Aunstdarstellung weiß davon nichts. Die Verwilderung der
Aünstlerphantasie ist in zunehmender Steigerung, als ob es
gelte, das Volk an rohe Vorstellung zu gewöhnen, statt zu
veredeln. Da müssen neben den römischen Soldaten, welchen
die Einrichtung vorzunehmen oblag, noch einige Henkers-
knechte mit prügeln einhermarschiren, und die Ausführung
artet in eine förmliche Wirthshausschlägerei aus. Mer hat
je gesehen oder gehört, daß ein armer Sünder, der unglücklich
Verurtheilte, aus dem Mege zur Richtstatt noch mißhandelt,
überfallen und blutig geschlagen wurde? So verkommen
ist die Menschheit doch nicht, und was hätte der Legionär
dazu gesagt, dem man so in's pandwerk greifen wollte!
Die orientalische Airche weiß nichts von derlei Areuzwegen,
sie hat keinen Martin von Aochem, um aus dessen Be-
trachtungsbuch über das Leiden Thristi und die vier letzten
Dinge den Stoff zu haarsträubenden Bildern zu schöpfen.
Sie hat keinen pöllenbreughel, der die unglaublich gräßlichen
Torturen in jener Melt vornehmen läßt, daß der gläubige
Leser und Beschauer davon wahnsinnig werden möchte.
Der Aapuziner-Mrden hat sich überhaupt zur Aufgabe ge-
stellt, die schmerzhafte Mutter mit den sieben Schwertern
im Kerzen und die Dualen der Verdammten so gräßlich
.wie möglich aus den Altar zu bringen. Die morgenländische
Thristenheit ist nicht in der Lage, eine Airche zu betreten,
um sich am Anblick der Martyrgerippe auf den Altären
und einer Pinrichtungsscene darüber zu erbauen, als ob
das Lhristenthum nur eins penkerreligion wäre, denn bei
uns gibt es Gotteshäuser, worin über jedem Altar geköpft
oder gehenkt wird, abgesehen von den gräulichen vierzehn
Leidensbildern, die an den Wänden umher hängen.

Lassen wir doch die heilige Schrift ein Mort mitreden.
Sie meldet, wie die Römer Anfangs an dem Aönig der
Juden ihren ganzen Groll ausließen, welchen sie überhaupt
gegen diese Nation empfanden. Sie setzten den vermeint-
lichen Rebellen gegen den Aaiser auf einen Thron, etwa
wie piob auf den Mist, krönten ihn mit einem Dornkranz,
wenn auch nicht so kannibalisch, daß vier Mann mit ge-
kreuzten Stangen ihm denselben bis in das Stirnbein drückten,
gaben ihm ein Moosrohr statt des Szepters in die pand,
hingen ihm einen rothen Soldatenrock statt des königlichen
Purpurmantels um, knieten zum Spotte vor ihm, salbten
ihn mit Speichel, und was sonst soldatischer Muthwille

eingab. Gegen den jüdischen Aronprätendenten war Alles
erlaubt. Aber wie änderte sich die Szene, als sie wahr-
nahmen, daß dieser Mann eben von den fanatischen, all-
zeit zum Aufruhr geneigten Juden zur Pinrichtung begehrt
wurde, und sie mit seiner Mißhandlung dem verhaßten
Volk der Beschnittenen einen Gefallen erwiesen! wie sie
sahen, daß der Landpfleger ihn persönlich verhörte, der den
„Aönig der Wahrheit und Gerechtigkeit" etwa für einen
platonischen Philosophen hielt, welcher an eine politische Rolle
gar nicht denke. Als Pilatus vollends feine pände in
Unschuld wusch, und sich öffentlich von der Mordschuld los-
fagte, nachdem ihm die allzeit mißmuthigen Päupter der
Juden eben das Todesurtheil abgepreßt hatten, wollte er
nicht beim Aaiser verklagt und seines Landpflegerpostens
verlustig werden! da änderte sich die Stimmung der
Soldaten.

Von Stund an trat die Soldateska inehr auf die Seite
des Iustizopfers. Die Geschichte meldet von Marius, Mark
Anton, Aaiser Probus und pertinax, daß die gegen sie
ausgesandten Schaaren beim ersten Erkennungswort zurück-
wichen. Dasselbe widerfuhr den Tempelsoldaten am Del-
berge, und der Eindruck vor der Würde und Majestät des
unschuldig Verurtheilten mochte wohl auch aus die Schloß-
wache aus dem Burghügel, wie auf deren Pauptmann
wirken, der das Aommando bei der Ausführung übernahm.
Jeder zum Areuztod Verdammte mußte das Marterholz
selbst auf die Richtstatt schleppen, also auch beide Schächer.
Es ist ein Akt der Pochachtung und Parteinahme für den
Weisen aus Israel, wenn die Römer Jesu das Areuz ab-
nahmen und es durch Simon von Tyrene ganz allein hinaus-
tragen ließen; denn zwei können nicht an einem Areuze
tragen, ohne daß es dem Vordermanns noch schwerer ge-
macht wird. Von schwerem Areuze ist überhaupt nicht zu
reden, da es in Palästina kaum noch polz gibt, das einen
Querbalken zu ziehen erlaubt; die Areuze waren daher so
niedrig, daß man die Leichname auch abnahm, damit sie
nicht über Nacht von punden und Schakalen angefressen
würden. Wenige Aünstler, wie Lautensack, Lebrun, lassen
auch die Schächer das Areuz tragen, fast keiner ist, der
Thristus ohne Areuz und Dornenkrone, die nicht mehr am
Platze ist, ausführen läßt. Am Ziele angelangt erhält der
große Rabbi oder Rabbuni, wie ihn Magdalena nennt,
den Myrrhentrank zu kosten, ebenso die beiden Schächer,
der zwar wie Galle und Essig schmeckte, aber gut gemeint
war. Es geschah zur Betäubung der Sinne, damit die
Schmerzen der Pinrichtung weniger fühlbar waren. Jesus
lehnte ihn übrigens ab. Und wer reichte diesen Becher?
Niemand anders als die weinenden Frauen, die den perrn
auf dem Richtgange begleiteten, mit Veronika an der Spitze.
Es bestand nämlich in Jerusalem, wohin der Prätor von
Läsarea auf alle Festzeiten kam und nach seinem Richter-
spruch regelmäßig die Pinrichtungen am Vorabende Ange-
sichts alles Volkes stattfanden, eine fromme Genossenschaft
adeliger Damen, welche den Würzwein wie einen Schlaf-
trunk aus Mitleid und Barmherzigkeit bereiteten. Es war
also kein Akt wilder Rache, dem in den Tod Gehenden
 
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