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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1882

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Sepp, ...: Verfehlte Kunstmotive in der Auffassung der Kreuzwegstationen, [2]: Vortrag von Prof. Dr. Sepp, gehalten im Kunstgewerbeverein am 3. Januar 1882
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Die Bayerische Landes-Industrie, Gewerbe- und Kunstausstellung in Nürnberg, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7026#0090

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y 76 4-

gleichwohl von diesem auserwählten Volke der Neuzeit ziem-
lich abgewandt hat. Und diesen modernen Tultus fördert
noch dazu der Orden, welcher früher für den bedeutendsten,
wenigstens einflußreichsten, in der abendländischen Christen-
heit angesehen war und es noch ist. Da hört Alles auf und
wir erkennen eben, wie die thörichte Jungfrau, welche die
kirchliche Aunst repräfentirt, das Gel in der Lampe ver-
schüttet. Der morgenländische Thrist, wie der Türke und
Araber wendet sich mit schaudern von solchein Anthropo-
morphismus im Peiligthum ab, er hat das Gefühl, daß
seine Gottesverehrung nicht so tief gesunken sei.

Nicht genug. Die Franzosen führen auch eine neue
Madonna ein. Visionärrinen (mit zwei r geschrieben) von
La Salette bis Lourdes haben Gesichte von der „unbefleckten
Empsängniß"; bald erscheint sie mit dem Schwert in der
pand, um die Deutschen aus Frankreich und Elsaß hinaus-
zutreiben , aber charakteristisch im Aufzug einer Ballet-
dame oder Bajadere, einer ersten Liebhaberin im flotten
und flatternden Gewand, wobei nach der gerechten Rüge
eines einsichtsvollen Aanonikus der Anopf am Pantoffel
nicht fehlt, damit das wallende Aleid nicht etwa von:
Winde gehoben wird. Aurz, ein reizendes Mädchen mit
glühendem Perzen will als Madonna auf den Altar gestellt
werden, und wir Deutsche sollen uns all derlei Zumuthungen
gefallen lassen? Die alte Airche ließ nach dem Vorbilde
der Isis mit den: Sohne Porus oder der Leukothsa mit
dem Bacchusknaben und lichtumstrahlten Paupte nur die

Jungfrau mit dem göttlichen Sohne auf dem Arme oder
im Schooße in der christlichen Aunst zu — gegenwärtig
überwiegt die obscönc Darstellung nicht bloß in: Theater.
Pier ist das Veto an: Platze. Betrachtet man die meisten
unserer heutigen überladenen Airchen, so möchte man wie
aus Götzentempeln wieder hinauslaufen, so widert uns das
Bildwerk und die Malereien und Pinseleien schon dem
Gegenstände nach an. Viele gehen lieber gar nicht mehr
hinein, um sich den Unwillen zu ersparen, paben wir die
Aesthetik der Griechen denn gänzlich verlassen? Der schönste
Tempel der hellenischen Welt, das Parthenon auf der Akro-
polis in Athen war der Verehrung der Pallas Athene ge-
weiht, die jungfräulich in der Empsängniß wie Geburt
nach der Religionsidee den Spruch Goethe's rechtfertigte:
Das ewig Weibliche zieht uns hinan. Der Tempel zu
Olympia mit der Bildsäule des ewigen Vaters Zeus, dessen
Paupt fast die Decke berührte, stimmte so zu staunender
Ehrfurcht und heiliger Andacht, daß der Spruch ging:
„Wer den Zeus des phidias in Olympia gesehen, kann
nie mehr ganz unglücklich sich fühlen." peute verdirbt die
Airche uns die christliche Aunst und wir gewahren immer
mehr mit Entsetzen, wie der moderne Fiesole, unser edler
Overbeck, dessen persönlicher Bekanntschaft ich mich erfreute,
ja der selbst nach meinem Leben Thristi Manches compo-
nirte, in: heiligen Rechte ist, wenn er die fünf thörichten
Jungfrauen auf die verkehrte christliche Aunstübung bezieht,
welcher das Gnadenlicht ausgegangen ist.

Die Bayer. Bandes-Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung in Nürnberg.

(Fortsetzung.)

Soll. Es ist natürlich selbstverständlich, daß wir bei
der nunmehrigen Besprechung der einzelnen Gruppen in:
Einblick auf die engen Grenzen, welche uns bezüglich des
zur Verfügung stehenden Raumes geboten sind, hauptsächlich
nur das vom kunstgewerblichen Standpunkte aus allgen:ein
Interessante, das nach dieser Richtung hin Prinzipielle ins
Auge fasten können und daß wir von einer Nennung aller
jener Aussteller-Namen, welche bei einen: ausführlicheren
Berichte hervorgehoben werden müßten, in diesem Falle
abzustehen haben.

Ueberblicken wir zuerst die Gruppe I „Gewerbliche
Aonsumtionsprodukte für Leben und paushalt", so ge-
winnen wir schon hier die Ueberzeugung, daß die Aunst
des Ausstellens auch bei uns in Bayern wesentliche Fort-
schritte gemacht hat.

Zum mindesten kann behauptet werden, es sei fast
durchgehends bei den Ausstellern die Ueberzeugung zun:
Durchbruche gekommen, daß man, wenn es sich uni Re-
präsentation des Geschäftes handelt, nicht in: Werkstatt-
kostüme erscheinen dürfe. Ulan hat sich die bitteren Er-
fahrungen, welche die Deutschen in Paris, Wien und
Philadelphia machen nmßten, entschieden zu Perzen ge-
no:n:::en und hat sich das bahnbrechende Vorbild, welches
München :::it seiner so genial durchgeführten „Deutschen
Aunst- und Aunstindustrie-Ausstellung" im Jahre f876

gegeben, wie in Berlin, Aarlsruhe, Düsseldorf, Stuttgart
u. s. w. auch in Nürnberg zu Nutzen gemacht. Freilich
läßt sich nicht leugnen, daß in mancher Beziehung zu viel
des Guten geschehen ist und vielfach ein zu den Ausstell-
ungsobjekten nicht mehr in: richtigen Verhältnisse stehender
Bon:bast entwickelt wurde, der hohl und unwahr wirkt.
Die höchste Aunst des Ausstellens besteht nicht darin, allen
möglichen Po:::p und alle mögliche Pracht zu entwickeln,
koste es was es wolle; sie besteht vieln:ehr darin, das, was
man leistet, in charakteristischer, den gegebenen Verhältnissen
angepaßter, geschmackvoller Weise dem Beschauer zur Dar-
stellung zu bringen. Das Auftreten in: öffentlichen Leben
will gelernt sein, wie jede andere Aunst; man hat sich
ebenso vor den: zu Vielen, wie vor dem zu Wenigen zu
hüten. Möge man ein triviales aber sprechendes Beispiel
nicht verübeln. Ein reicher Bauer, der des Sonntags zur
Stadt fährt, wird, wenn er dies auf einen: seiner schmutz-
igen Aartoffelkarren unternimmt, ohne Zweifel verhöhnt
werden; würde er die Fahrt in einer vierspännigen Aarosse
mit goldstrotzenden Livre-Bedienten zu machen versuchen,
so würde man ihn sicherlich verlachen; putzt er aber seine
Gäule ländlich auf und schmückt er sein blank gescheuertes
Wägelchen mit flotten Sträußen, sich selbst mit bäuerlichem
Sonntagsstaat, dann wird jeder seine Freude an den: be-
häbigen Landmanne haben.
 
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